Nein, formal hat das gebührenfinanzierte öffentlich-rechtliche Rundfunksystem seinen gesetzlich festgeschriebenen Informations- und Bildungsauftrag vergangenen Mittwoch nicht versäumt. Die Rede von Inge Deutschkron zum Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus am 30. Januar wurde live und in voller Länge aus dem Bundestag übertragen. Allerdings nur im Ereignis- und Dokumentationskanal Phoenix. Die Hauptprogramme präsentierten derweil Boulevard-TV. Im Ersten wurde bei »ARD-Buffet« Miesmuschel-Risotto zubereitet, das ZDF befasste sich in »Drehscheibe Deutschland« mit Spritklau und Abzo-cke bei Friedhofsgebühren.
gebühren Hätten Bundestagspräsident Norbert Lammert und der Präsident des Zentralrats, Dieter Graumann, diese, sagen wir es höflich, Instinktlosigkeit nicht öffentlich skandalisiert, sie wäre wahrscheinlich nicht weiter aufgefallen. Längst hat man sich daran gewöhnt, dass die Öffentlich-Rechtlichen in ihren Hauptprogrammen der kommerziellen Konkurrenz zum Verwechseln ähnlich geworden sind. Letztere schafft es mittlerweile sogar gelegentlich (und immer öfter), Programme von höherem intellektuellen und ästhetischen Niveau auf den Fernsehschirm zu bringen, als die selbsternannten Kulturträger ARD und ZDF.
Medienpolitisch ist das eigentlich anders gedacht. Deutschlands öffentlich-rechtliches System, das teuerste seiner Art weltweit, wird mit 7,5 Milliarden Euro jährlich aus Gebühren finanziert, damit ARD und ZDF frei von wirtschaftlichen Zwängen Qualitätsprogramme nach inhaltlichen statt kommerziellen Kategorien entwickeln und ausstrahlen. So ist es auch in den Landesrundfunkgesetzen für die ARD, beziehungsweise im Länder-Staatsvertrag für das ZDF festgeschrieben. Dort ist die Rede vom Informations- und Bildungsauftrag der Öffentlich-Rechtlichen. Inge Deutschkrons Rede im Bundestag entsprach diesem Auftrag fast idealtypisch.
ausgelagert Doch den Hierarchen von ARD und ZDF (die meisten arbeitenden Redakteure trifft keine Schuld: Die finden die Entwicklung selbst zum Heulen) reicht der Claim, der gesetzlich für sie abgesteckt ist, nicht. Sie wollen frei von den Zwängen des Markts dennoch Marktführer sein. Zu diesem Zweck bedient man sich eines Tricks: Die eigentlichen öffentlich-rechtlichen Kultur- und Informationsinhalte werden nach und nach abgeschoben in die Spartenkanäle arte, 3sat und Phoenix; im Hörfunk erfüllen Deutschlandfunk und Deutschlandradio Kultur tendenziell denselben Zweck. Hier findet man tatsächlich Programme mit Anspruch, Wagemut und Experimentierfreudigkeit. Derweil senden die Hauptprogramme zur Primetime Musikantenstadl oder Rosamunde Pilcher.
Diejenigen in den öffentlich-rechtlichen Chefetagen, die sich dieses System ausgedacht haben, kommen sich wahrscheinlich schlau vor. Sie sind es nicht, im Gegenteil. Dass ARD und ZDF in ihren Hauptprogrammen ihrem Auftrag nicht gerecht werden, ist mittlerweile Allgemeingut. Es festzustellen, reicht ein kurzer Griff zur Fernbedienung, bevor man wütend wegzappt. Die Frage, die sich immer mehr enttäuschte Zuschauer inzwischen stellen, lautet: Warum soll man für diesen Mist noch Geld bezahlen? Da hilft auch nicht, wenn WDR-Chefredakteur Jörg Schönenborn (der als möglicher neuer Intendant des Kölner Senders gehandelt wird) die GEZ-Gebühr zur »Demokratieabgabe« hochjazzt. Das ist angesichts des Debakels von vergangener Woche nicht einmal mehr ein schlechter Witz.
Genuin öffentlich-rechtliche Sender sind inzwischen de facto nur noch Phoenix, 3sat, Deutschlandfunk und Deutschlandradio Kultur. Sie sollten uns tatsächlich Geld wert sein. Sagen wir fünf Euro monatlich. Die Etats würden sich dadurch vervielfachen. Den Rest der monatlichen Rundfunkgebühr von mittlerweile 17,98 Euro kann man sich sparen. Ebenso wie ARD und ZDF.