Frau Kogman-Appel, der Fachverband Judaistik feiert jetzt den 50. Jahrestag seines Bestehens. Wenn Sie zurückblicken, was hat man in dieser Zeit alles erreicht?
Der Verband entstand mehr als zehn Jahre, nachdem die ersten judaistischen Institute an deutschen Universitäten eingerichtet worden waren. Im Laufe seines Bestehens haben wir uns viel mit der Definition des Faches befasst. Dies klingt auf ersten Blick trivial, ist es aber nicht. Judaistik ist ein betont multidisziplinäres Fach und muss, beziehungsweise kann von mehr methodischen Perspektiven aus erforscht werden, als man das bei einem kleinen Fach annehmen würde. Die Judaistik musste sich also im Fächerverband positionieren, und hier hat der Verband eine nicht unwesentliche Rolle gespielt.
In Frankfurt fand am Wochenende deshalb ein Festakt statt. Was genau hat die Gäste dort erwartet?
Unser Festakt war in erster Linie eine Feier. Es gab Musik von Jascha Nemtsov und Svetlana Kundish sowie einen Empfang. Inhaltlich haben wir uns mit dem Profil unseres Faches und seiner Geschichte beschäftigt. Ein Gastvortrag von Irene Zwiep von der Universität Amsterdam hat genau diese Themen angesprochen. Es gab Rückblicke, die sich spezifisch mit der Geschichte des Verbandes beschäftigen, so unter anderem ein Videointerview, das wir mit Peter Schäfer, einem der ehemaligen Vorsitzenden, geführt haben.
Mit welchen Themen beschäftigt man sich derzeit schwerpunktmäßig in dem Fachbereich Judaistik?
Traditionell war und ist die Judaistik ein betont philologisches Fach. Dabei geht es um Texte, deren sprachliche Entwicklung und Redaktionsgeschichte beziehungsweise ihre Einordnung in die jüdische Geschichte. In den jüngeren Jahrzehnten haben die Judaistik und die jüdischen Studien eine Wende hin zu den Kulturwissenschaften erfahren. Daher wurde an mehreren Instituten auch die Bezeichnung »Jüdische Studien« gewählt, die ein breiteres methodisches Spektrum impliziert. Dies hat nicht nur mit den methodischen Besonderheiten des Faches zu tun, sondern auch allgemein mit dem postmodernen Diskurs der letzten Jahrzehnte.
Wie sah das in den ersten Jahren des Fachbereichs aus? Gab es besondere Herausforderungen, mit denen man konfrontiert war?
In den Nachkriegsjahren waren judaistische Professuren in Deutschland an christlich-theologischen Fakultäten verankert. Da im Mittelpunkt immer das Hebräisch als semitische Sprache stand und steht, war die Orientalistik ein anderer Bereich, in dem die Judaistik mitunter angesiedelt wurde. Das erklärte Ziel des Verbandes war es nun allerding, die Judaistik von den Theologien und der Orientalistik »zu emanzipieren« – ein Punkt, der bei der Feier in einem kurzen Referat von Giuseppe Veltri angesprochen wurde. Heute sind unsere Studiengänge in der Tat an geisteswissenschaftlichen, und spezifisch an kultur- oder literaturwissenschaftlichen Fachbereichen angesiedelt. Auch die Philologie selbst hat, unabhängig von unserem Fach, so manche Entwicklung in Richtung einer kulturwissenschaftlichen Wende erlebt.
Wie ist die Außenwahrnehmung der Judaistik? Wer interessiert sich für das Fach heute?
Die Außenwahrnehmung ist vielschichtig. Innerhalb der Universitätsbetriebe wird die Judaistik immer als »kleines Fach« wahrgenommen, mit all den Herausforderungen, die dies so mit sich bringt, vor allem die Bedrohung durch Budgetkürzungen und die Streichung von Professuren. Außerhalb des akademischen Betriebes wird das Fach zumeist als primär religionswissenschaftliches Fach gesehen, also als ein Fach, das sich in erster Linie mit Theologie und religiösen Inhalten beschäftigt. Das ist ein Profil, in dem wir uns allerdings nicht wirklich sehen. Oft wird auch erwartet, dass wir durch Aufklärung und Information dem Antisemitismus entgegenwirken, eine Herausforderung, der wir uns ebenfalls versuchen zu stellen.
Gibt es Herausforderungen, die in der Zukunft an Bedeutung gewinnen?
Da ist zunächst einmal die Herausforderung, vor der alle sogenannten kleinen Fächer gestellt sind – weltweit. Überall wird in Richtung angewandte Forschung geblickt und die kleinen Fächer betreiben keine angewandte Forschung. Und es wird gespart. Das ist eine Überlebensfrage und betrifft bei weitem nicht nur die Judaistik.
Mit der Professorin für Jüdische Studien an der Universität Münster und Ersten Vorsitzenden des Fachverbandes Judaistik/ Jüdische Studien/Jüdische Theologie in Deutschland sprach Ralf Balke.