Wer ist er? Eli? Kamel? Oder irgendjemand dazwischen? Die von der Folter gezeichnete Hand kann den Stift nicht über das Papier führen. So fest sie ihn auch umklammert. Und so sehr der Mann, der in diesem syrischen Gefängnis an diesem schäbigen Tisch sitzt, es auch aus dem Stift herausquetschen möchte: Er scheint es nicht zu wissen.
Wie auch: Zu lange war er nicht er selbst, und zu viel hat er erleben müssen. Diesem Mann, Eli Cohen, der in Israel als Meisterspion gilt, hat der israelische Regisseur Gideon Raff (Chatufim) seine Mini-Serie The Spy gewidmet, die seit dem 6. September beim Streamingdienst Netflix zu sehen ist.
Sacha Baron Cohen Raff hat sich keinen Geringeren als den Verwandlungskünstler Sacha Baron Cohen für die Figur des anderen Cohen ausgesucht. Zwar auch wieder verkleidet und mit Oberlippenbart – dieser ist zugegebenermaßen etwas gepflegter und auch etwas dünner als der des kasachischen Journalisten Borat – spielt Baron Cohen endlich einmal eine ernste Rolle. So viel sei vorweggenommen: Gar nicht komisch zu sein, steht ihm richtig gut.
Die Geschichte des Eli Cohen ist alles andere als fröhlich. Der 1924 in Alexandria geborene Elijahu Ben-Shaul Cohen wächst in einer jüdischen Familie auf und emigriert 1956 nach Israel, wohin seine Familie bereits ausgewandert ist. Ein Jahr später wird er zur Armee eingezogen und arbeitet als Analyst in der Abteilung für militärische Aufklärung. Sein Wunsch allerdings, zum Mossad, dem israelischen Geheimdienst, zu gehen, wird ihm verwehrt.
Die Ergebnisse seiner Spionage kamen
im Sechstagekrieg zum Einsatz.
Buenos Aires Nach einigen Jahren als Angestellter bei einer Versicherung wird Cohen für den Mossad indes doch noch interessant. Denn dessen damaliger Direktor Meir Amit plant, einen Agenten in die syrische Regierung einzuschleusen. Innerhalb von sechs Monaten wird Cohen zum Spezialagenten ausgebildet, zieht 1961 nach Buenos Aires und ist ab dieser Zeit nicht mehr Eli Cohen, sondern der Geschäftsmann Kamel Amin Thaabet, der in der argentinischen Hauptstadt wichtige Kontakte knüpft, um 1962 nach Damaskus zu gelangen und von dort für Israel zu spionieren. Drei Jahre tut er dies ausgiebig und erfolgreich.
Durch Cohens Hilfe – und seinen Vorschlag, an den Orten, wo sich auf dem Golan syrische Bunker befinden, Eukalyptusbäume zu pflanzen, die den Soldaten Schatten spenden – konnte das Gebiet im Sechstagekrieg innerhalb von zwei Tagen eingenommen werden. Am 24. Januar 1965 wird Cohen enttarnt, gefoltert und in Damaskus öffentlich gehängt.
Adaption Kurz vor dieser Exekution beginnt die Mini-Serie. In sechs rund einstündigen Folgen erzählt sie die Verwandlung zum Agenten. Anfängliches Zögern, ob Baron Cohen, der vielen als weißbauchiger Borat in dem wohl hässlichsten grünen Herrenbadeanzug der Welt in Erinnerung geblieben ist, eine so ernste Rolle spielen könne, ohne dass ihm dabei ein Borat’sches »It’s very nice« über die Lippen kommt, sind schnell verflogen. Denn Cohen taucht so ambitioniert in die Rolle des liebenden Ehemanns, ausschweifend feiernden Geschäftsmanns und meisterhaften Spions ein, wie sich seine Figur in die Verwandlung stürzt.
Ein wenig Vorsicht sei geboten, die Serie als Eins-zu-eins-Abbildung dessen zu sehen, was eigentlich geschah – eine Doku ist The Spy nicht. In einem Interview für den israelischen Fernsehkanal Zwölf warnte Sophie Ben-Dor, Eli Cohens älteste Tochter, die vier Jahre alt war, als ihr Vater gehängt wurde, davor, alles aus der Serie für bare Münze zu nehmen.
Einige Dinge hätten Ben-Dor »geschmerzt«. »Es tat weh, so vieles fern der Wahrheit zu sehen.« So sei ihre Mutter Nadia – im Gegensatz zur Rolle in der Serie, in der sie eine Schneidergehilfin spielt – nie ein Dienstmädchen gewesen.
KOmpliment Alles in allem, sagt Sophie Ben-Dor, gefalle ihr die Serie. Sie lobte Sacha Baron Cohen für seine Darstellung und machte ihm das vielleicht schönste Kompliment: »Manchmal erinnert er mich an meinen Vater.« An den Mann, der mit seiner Frau vielleicht auch allabendlich gemeinsam die Butter aus dem Kühlschrank holte und drei Brotscheiben damit bestrich? An den, der dieses Ritual – und sei es auch nur für die Serie erfunden – im fernen Buenos Aires oder Damaskus versuchte beizubehalten?
Das Drehbuch enthält alles, was eine gute Geschichte braucht.
Für Cohens Familie mag diese Art des künstlerischen Umgangs mit ihrer Geschichte möglicherweise etwas fremd sein. Der Zuschauer jedoch wird gut unterhalten – und das durchaus mit Niveau. Anders als bei der wenig gelungenen Netflix-Produktion The Red Sea Diving Resort, bei der ebenfalls Gideon Raff Regie führte, aber irgendwie in schlechter Stimmung gewesen sein muss.
Das Drehbuch enthält alles, was eine gute Mini-Serie braucht: eine spannende Geschichte und Darsteller, die über kleinere Langeweile-Momente – vier Folgen hätten genügt, um die Geschichte etwas verdichteter zu erzählen – hinweghelfen.
gesichter Wer sich in den vergangenen Jahren in der Sparte Israelisches auf Netflix oder anderen Streaming-Diensten umgesehen hat, erkennt bekannte Gesichter wieder. Wie Hadar Ratzon-Rotem, die Eli Cohens Frau Nadia spielt und bereits bei Chatufim die Leila Qasab verkörperte. Oder Yael Eitan, die ebenfalls aus dem Chatufim-Cast kommt. Oder Uri Gavriel, der bei Fauda mitspielte.
Einen sehr entspannten Geheimdienst-Agenten – Dan Peleg – verkörpert Noah Emmerich, der manchmal ein wenig wie ein Robert-Redford-Verschnitt aus dem 2001 erschienenen Thriller Spy Game wirkt, in dem Redford den CIA-Agenten Nathan Muir spielte, der seinen Zögling trainierte. Vor allem in den Szenen, in denen Cohen auf seinen Einsatz vorbereitet wird, ist dies offensichtlich. Dem Binge-Watching-Faktor für The Spy tut dies aber keinen Abbruch.
Die Mini-Serie »The Spy« läuft seit dem 6. September bei Netflix.