Medien

»Ein absurder Kompromiss«

In der Kritik: Nemi El-Hassan Foto: WDR/Tilman Schenk

Es ist eher selten, dass Personalfragen im WDR-Rundfunkrat verhandelt werden, und dann auch noch öffentlich. Doch vergangene Woche stand der Intendant des Senders, Tom Buhrow, vor dem Aufsichtsgremium des Senders unter hohem Rechtfertigungsdruck. Anlass war die geplante Berufung der 28 Jahre alten Journalistin Nemi El-Hassan als zweiter Moderatorin des Wissenschaftsmagazins Quarks.

Die »Bild« hatte vor Kurzem enthüllt, dass El-Hassan 2014 am antisemitischen Al-Quds-Marsch gegen Israel in Berlin teilgenommen hatte. Mittlerweile hat sie sich zwar davon distanziert und ihre damaligen Einstellungen als Fehler beschrieben, doch die öffentliche Diskussion geht weiter.

LIKES Ein Grund ist, dass die in Deutschland geborene Frau mit palästinensischen Wurzeln auch zuletzt noch israelfeindliche Beiträge in den sozialen Netzwerken mit einem »Like« bedachte. Darunter waren zwei Posts der antizionistischen amerikanischen Gruppierung »Jewish Voice for Peace«. Ein Beitrag feierte den Ausbruch verurteilter palästinensischer Terroristen aus einem israelischen Gefängnis, ein anderer rief – analog zur antisemitischen BDS-Bewegung – zum Boykott von Produkten auf, um die »israelische Apartheid« zu beenden.

Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, äußerte »erhebliche Bedenken« gegen El-Hassans Berufung. Er sagte, der öffentlich-rechtliche Sender habe »eine hohe Verantwortung, niemanden auf dem Bildschirm zu präsentieren, der Israel-Hass und Antisemitismus verbreiten könnte«. Gleichzeitig warnte Schuster aber vor einer Woge der Islamfeindlichkeit.

RUNDFUNKRAT Bereits im Vorfeld der Sitzung des Rundfunkrates hatten die WDR-Verantwortlichen eine Überprüfung des Falles zugesagt. Nun trat Intendant Buhrow vor die Rundfunkräte und sagte, man habe nach einer »schwierigen Abwägung« entschieden, El-Hassan nicht mit der Moderation von Quarks zu betrauen. Entscheidend sei dafür nicht die Teilnahme der Frau an der Al-Quds-Demo vor sieben Jahren, sondern die Likes. Man erwäge aber weiter, El-Hassan als Autorin zu beschäftigen.

Auf Nachfrage zeigte sich El-Hassan verwundert über die Begründung. Sie müsse »zur Kenntnis nehmen, dass die Likes offenbar schwerer wiegen als meine journalistische Arbeit und mein Engagement der letzten Jahre für gesellschaftlichen Zusammenhalt, für Dialog, gegen Gewalt und gegen Antisemitismus – und ich bedaure das«, sagte sie der Jüdischen Allgemeinen. Die Likes für Posts der US-Organisation »Jewish Voice for Peace« verteidigte sie.

Sie habe Verständnis dafür, dass in ihrem Fall hart nachgefragt und eine Debatte geführt worden sei. »Ich finde aber, dass auch berücksichtigt werden müsste, wie der Weg einer Person aussah.« Die Kritik an ihren Likes für Beiträge einer israelkritischen jüdischen Organisation in den USA verteidigte sie. Wer ihr Antisemitismus unterstelle, mache es sich zu einfach, sagte sie dieser Zeitung.

PERSPEKTIVE Ihre eigene Familiengeschichte sei nun einmal »geprägt von Krieg und Flucht, auch in Bezug auf den Staat Israel.« Diese Erfahrungen könne ich nicht einfach ablegen. »Eine propalästinensische Perspektive dürfe nicht mit Hass auf Israel und Sympathie für Terror gleichgesetzt werden, und es müsse möglich sein, für die Freiheit der Palästinenser einzustehen, ohne sich dem Vorwurf des Antisemitismus ausgesetzt zu sehen, so El-Hassan weiter.

Zwar sei klar, dass es in vielen muslimischen Ländern Hass auf Juden gebe. »In Deutschland macht man es sich aber viel zu einfach, wenn behauptet wird, Antisemiten seien vor allem zugewanderte, muslimische Menschen,« betonte sie.

Der WDR habe ihr bislang kein konkretes Angebot, sondern nur einen vagen Entwurf für eine künftige Zusammenarbeit hinter der Kamera übermittelt. »Dabei ist mir unklar, was das eigentlich heißt. Sollte es darum gehen, dass ich mein Gesicht nicht zeigen soll, kann ich nur sagen, dass ich auch bei meiner bisherigen Tätigkeit als Reporterin häufig vor der Kamera im Bild war. Ich habe in diesem Sinne also stets Gesicht gezeigt - ob mitten zwischen Neonazis bei einem der größten Rechtsrockkonzerte Deutschlands oder nach dem Anschlag in Halle mit Nachfragen bei Menschen, die antisemitische Verschwörungstheorien in die Welt gesetzt haben. Ich habe mich nie versteckt, sondern stand immer auch als Person zu meiner Botschaft. Und ich möchte mich auch in Zukunft nicht verstecken.«

AUTORIN Dass Nemi El-Hassan laut WDR wegen der Vorwürfe zwar vorerst nicht vor der Kamera arbeiten darf, aber sehr wohl als Autorin in Betracht gezogen wird, stößt unterdessen auf massive Kritik. Der Vorsitzende der Rundfunkratssitzung, Andreas Meyer-Lauber, sagte: »Antisemitische Positionen können und dürfen im WDR keinen Platz haben.« Und zwar weder vor noch hinter der Kamera, so Meyer-Lauber.

Der Journalist Gideon Böss fasste es so zusammen: »Bizarr. Entweder konnten die Vorwürfe entkräftet werden, dann spricht nichts gegen den Job vor der Kamera, oder sie konnten nicht entkräftet werden, dann spricht nichts für irgendeinen Job beim WDR. Was ist das jetzt für ein absurder Kompromiss?«

Die Frage, ob sie nach der Kontroverse weiter eine Beschäftigung beim WDR anstrebe, beantwortete Nemi El-Hassan so: »Die Entscheidungsgewalt darüber, inwiefern man mich in Zukunft partizipieren lässt, liegt beim Sender. Wenn es nach mir ginge, würde ich die Sendung noch immer moderieren.«

Kommentar

Bleibt stark, Emily, Romi und Doron!

Die drei jungen Frauen sind endlich in Israel. Emily Damari gab nach ihrer Freilassung ein Zeichen, das ihren Schmerz zeigt – aber viel mehr noch ihre Kraft

von Katrin Richter  19.01.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Katrin Richter  19.01.2025

Meinung

Verrat an Frauen und an der Mitmenschlichkeit

Wie viele Fälle sadistischer Gewalt müssen noch nachgewiesen werden, damit die Welt endlich Mitgefühl mit den Opfern des 7. Oktober zeigen kann?

von Sarah Maria Sander  19.01.2025

Gedenkkultur

Virtuell zu Besuch bei Überlebenden des Holocaust

Es gibt immer weniger Schoa-Überlebende. Wie können ihre Erinnerungen weitergegeben werden? Ein neues Projekt setzt auf »Virtuelle Begegnungen«

von Michael Grau  19.01.2025

TV-Tipp

»Persischstunden«: Wie eine erfundene Sprache einen Juden rettet

Drama über einen jüdischen Belgier, der als angeblicher Perser in einem Konzentrationslager einen SS-Mann in Farsi unterrichten soll

von Michael Ranze  19.01.2025

Doku

Über eine weitreichende Unwahrheit

»W. – was von der Lüge bleibt« (2020) nähert sich der Lebensgeschichte von Bruno Dösekker alias Wilkomirski, der die Identität eines Schoa-Überlebenden annahm

von Silvia Bahl  17.01.2025

Sehen!

»Traumnovelle«

Der Film arbeitet sich an den sieben anekdotischen Kapiteln der literarischen Vorlage von Arthur Schnitzler entlang

von Britta Schmeis  17.01.2025

Kino

»Wie eine Art Heimkehr«

Schauspielerin Jennifer Grey über den Film »A Real Pain« und Dreharbeiten in Polen

von Patrick Heidmann  16.01.2025

Nachruf

Der Soziologe und das »Gedächtnistheater«

Eine persönliche Erinnerung an Y. Michal Bodemann, der sich unter anderem mit Erinnerungspolitik in Deutschland beschäftigte

von Janine Cunea  16.01.2025