Es muss nicht immer die Vokabel »historisch« sein, schon gar nicht die Bezeichnung »kafkaesk«. Wenn jedoch, wie vorige Woche geschehen, der Vizepräsident des Bundeskriminalamtes – und damit jenes BKA, das in seiner unrühmlichen Vorgeschichte nicht nur einem Aufklärer wie Fritz Bauer permanent Steine in den Ermittlungsweg gelegt hatte – in der Residenz des israelischen Botschafters zwei sichergestellte Koffer mit Max-Brod-Konvoluten übergibt und dabei auf tatsächlich erheiternde Weise scherzt und ironisiert, was von Israels Botschafter Jeremy Issacharoff ebenso souverän erwidert wird, dann provoziert dieser lange Beschreibungssatz zum jüngsten Kapitel deutsch-israelischer Beziehungen vor allem dies: ein entspanntes Ausatmen, ein Lächeln – trotz »Nahostkrise«, BDS, Rechtspopulismus, zunehmendem muslimischen Antisemitismus und weiterer realer Schrecken.
Denn auch dieser besondere Abend in der Berliner Botschafterresidenz war ja Wirklichkeit und gründete sogar auf einem veritablen Kriminalfall. In den Jahren zwischen 2009 und 2012 waren aus der Wohnung der ehemaligen Sekretärin von Max Brod – Prager Schriftsteller, Franz Kafkas engster Freund und schließlich auch Retter von dessen Manuskripten – diverse Dokumente entwendet worden. Womöglich sogar mit Einverständnis der Tochter jener 2007 verstorbenen Sekretärin Ester Hoffe, die in ihrem Tel Aviver Haus voller Katzen auch andere wertvolle Nachlassstücke gehortet hatte, obwohl diese längst per Gerichtsbeschluss der israelischen Nationalbibliothek zugesprochen worden waren?
Könnte es doch immer so sein, sinniert der Gast mit dem Notizbuch, ehe er sich in den lauen Maiabend entfernt.
SCHWEIGEN Das ist der einzige Moment, wo BKA-Vizepräsident Peter Henzler vielsagend schweigt und danach umso lieber über den Erfolg einer Ermittlung gegen Kunstfälscher im Raum Wiesbaden spricht, in deren Verlauf auch jene Max-Brod-Dokumente entdeckt wurden – aus purem Zufall.
Nun kehren die Papiere in bestem Zustand wieder heim – was keine Metapher ist. Zuvor nämlich war den geladenen Gästen die bereits 1892 gegründete Nationalbibliothek in Jerusalem vorgestellt worden – in einem Video, einer Rede des Direktors Oren Weinberg und in einem Gespräch mit dem Literaturwissenschaftler Thomas Sparr, der ebenfalls kundig und voller Empathie über die deutschen Anfänge dieser inzwischen weltberühmten Institution sprach.
Von in Preußen erlernter Katalogisierungstechnik war da zu hören, vom Nachlass Else Lasker-Schülers und Martin Bubers, von der Sammlung Stefan Zweig – und natürlich vom Wirken der legendären Bibliotheksdirektoren Hugo Bergmann und Felix Weltsch, den beiden engsten Freuden Max Brods im entstehenden Staat Israel.
HAUSHERR Primat der Erinnerung, Wertschätzung des achtsamen, präzisen Wortes – viel war es, an Werten und an Menschen, was an diesem Berliner Maiabend evoziert wurde. Ganz ohne Tremolo und Pathos, und gerade deshalb zutiefst berührend. Der hohe BKA-Beamte beim ganz offensichtlich nicht-forcierten Erklären der in Klarsichthüllen steckenden Max-Brod-Postkarten, der freundliche Hausherr und seine Expertengäste aus Jerusalem, dazu Daniela Schadt, die Ehefrau von Altbundespräsident Joachim Gauck – all das war mehr als lediglich »Gruppenbild mit Dame«.
Könnte es doch immer so sein, sinniert der Gast mit dem Notizbuch, ehe er sich in den lauen Maiabend entfernt: bewahrtes Erinnern, das nicht stecken bleibt im kalten Hallraum der Rhetorik.
Shalom, Max Brod.