Endlich gibt es Hoffnung für all die Millionen Autofahrer, die ein schlechtes Gewissen plagt, weil sie mit ihren Fahrzeugen die Umwelt verpesten: Die tägliche Fahrt mit dem Wagen kann nun dazu beitragen, ganz nebenbei und ohne Aufwand saubere Energie zu gewinnen. Vorausgesetzt, die neue Technik des israelischen Start-up-Unternehmens Innowattech wird in die Fahrbahn eingebaut. Das Prinzip klingt so einfach wie plausibel: Fünf Zentimeter unter- halb der oberen Schicht des Belags werden in Autobahnen oder vielbefahrene Landstraßen sogenannte piezoelektrische Generatoren eingebaut. Diese ermöglichen es, die Vibrationen des darüberrollenden Verkehrs in Strom umzuwandeln.
»Wir zapfen genau die Energie an, die sonst nutzlos verpufft«, erklärt Uri Amit, Geschäftsführer von Innowattech. »Zudem ist unser Konzept im Unterschied zu anderen alternativen Formen der Stromgewinnung völlig unabhängig von den klimatischen Bedingungen. Wir brauchen weder Wind noch Sonne.« Dafür aber ordentlich Bewegung auf den Straßen, was angesichts des Verkehrsaufkommens in Israel außer an Jom Kippur wohl kein großes Problem darstellen sollte.
Im Oktober vergangenen Jahres wurde in Kooperation mit dem Verkehrsministerium auf der Autobahn Nummer 4 an der Hefer-Kreuzung südlich von Hadera das System erstmalig getestet. Das Ergebnis war offensichtlich zufriedenstellend. »Es kam dabei heraus, dass bei einer Frequenz von rund 600 Fahrzeugen pro Stunde sich auf einem Kilometer Straße etwa 200 Kilowatt Strom erzeugen lassen«, so Lucy Edery-Azulay, die Managerin des Projekts. »Damit lassen sich über 200 Haushalte versorgen. Oder die Straßenbeleuchtung erhält so ihren Strom.« Rund 3.000 piezoelektrische Generatoren sind für einen Kilometer Autobahn notwendig, die Kosten pro Einheit liegen bei 20 Euro, und die Lebensdauer wird auf 30 Jahre veranschlagt.
120 Kilowatt Ein weiterer Test läuft mit der israelischen Eisenbahn. Bei Lod nahe dem Ben-Gurion-Flughafen hat Innowattech seine Generatoren in Schienenschwellen eingebaut, um zu prüfen, ob und welche Mengen Elektrizität durch die darü- berfahrenden Züge erzeugt werden kann und welche Rolle dabei das Gewicht der Lokomotive oder ihre Geschwindigkeit spielen. »Der ideale Einsatzort für unsere piezoelektrischen Generatoren scheinen aufgrund ihrer hohen Taktfrequenz aber S- und U-Bahnen zu sein«, meint Chaim Abramovich. »Auf einem Kilometer Stre-cke lassen sich so ungefähr 120 Kilowatt erzeugen.« Start- und Landebahnen auf Flughäfen und sogar Bürgersteige sind für den Mitgründer von Innowattech mögliche Orte, an denen die Technik zur Anwendung kommen kann.
»Energy Harvesting« heißt das Ganze – »Energie ernten«. Neben Vibrationen können auch Temperaturunterschiede oder mechanische Bewegungen als Energiequellen dienen. Noch beschäftigen sich fast ausschließlich Universitäten oder Forschungseinrichtungen wie das Dresdner Fraunhofer-Institut für Keramische Technologien und Systeme (IKTS) mit dieser neuen Art der Energiegewinnung. Aber die Einsatzmöglichkeiten nehmen langsam konkrete Formen an. »In den kommenden zehn Jahren wird das Marktpotenzial wohl mehrere Milliarden Dollar betragen, wobei insbesondere Anwendungen im Bereich Consumer Products dominieren«, verkündete Peter Harrop, Boss der britischen Technologieberatungsfirma IDTechEx vor wenigen Monaten auf der Konferenz »Energy Harvesting & Storage Europe 2009« in Cambridge.
mechanischer Druck Alles andere als neu dagegen ist das Konzept der Piezoelektrizität, die als Schlüssel zum Anzapfen von Fahrbahnen, Rollfeldern oder Bahngleisen dient. Das Wort leitet sich vom griechischen »piezein« ab, was so viel wie »pressen« oder »drücken« bedeutet. Bereits 1880 hatten die Brüder Jacques und Pierre Curie entdeckt, dass bestimmte Materialien als Reaktion auf mechanischen Druck elektrische Energie erzeugen können. Dabei hatten die Gründer von Innowattech am Anfang ein völlig anderes Ziel vor Augen: Ursprünglich wollten sie in den Medizintechnikbereich einsteigen und den Herzschlag sowie die Lungenbewegungen als Energiequelle für Herzschrittmacher und implantierte Defibrillatoren nutzen. Aber die Aussicht auf ex- trem lange Versuchsreihen und komplizierte Genehmigungsverfahren schreckte sie ab. Deshalb orientieren sie sich um.
Zwar bedeutet die Zusammenarbeit mit Behörden oder der Bahn, dass dem Konzept von Innowattech große Chancen eingeräumt werden, doch gilt es noch zahlreiche technische Hürden zu überwinden. Insbesondere das unterschiedliche Gewicht von Fahrzeugen bereitet Probleme, denn kleine Autos hinterlassen einen entsprechend kleinen »Vibrationsfußab-druck«, Lastwagen einen umso größeren. Es wird also einige Jahre dauern, bis jeder am Steuer seinen Beitrag für eine gute »Energieernte« leisten kann.