Jazz

Du liebe Zeit

Der Schlagzeuger Eddy Sonnenschein Foto: Laura Schepers

Eine Landschaft. Schemenhaft dargestellt, verschwommen in den Konturen. Vieles bleibt vage in diesem blassen Licht, das aber stark genug ist, um Schatten zu werfen. Das Bild birgt ein Geheimnis, hält und trägt eine Spannung, die voller Möglichkeiten ist. Das Cover des Album­debüts von Eddy Sonnenschein ist ein Motiv für den Versuch, die eigene Identität zu entdecken und zu verstehen: Wer bin ich? Und was davon kann und möchte ich zeigen, selbst wenn mich das verletzlich macht?

Eddy Sonnenschein ist Schlagzeuger. Er hat in Mainz Jazz- und Popularmusik studiert und macht gerade seinen Master in Bern. Er komponiert, improvisiert. Er ist Jude. Mit Wurzeln in Rumänien, Italien und Deutschland, mit einer Mutter in Husum und einer Schwester in Tel Aviv, mit Großeltern, die die Schoa überlebten. Jetzt hat er eine Jazz-CD vorgelegt, die den Prozess seiner Selbstvergewisserung in acht poetischen Stücken bündelt, die allesamt einen persönlichen, biografischen Hintergrund haben.

Ein Beispiel ist »Fade«, die vorletzte Nummer auf der Scheibe, die voller Melancholie davon erzählt, wie Eddys Oma allmählich verloren geht. »Ich habe nie mit ihr über ihre Geschichte gesprochen«, sagt der Enkel. »Jahrelang habe ich nie darüber nachgedacht, was sie eigentlich alles erlebt hat. Und nun hat sie Alzheimer …« Was also bleibt? Was wird unbewusst oder bewusst den Nachkommenden der Schoa mitgegeben, wenn man die Zeitzeugen selbst nicht mehr befragen kann?

Sonnenscheins Musik schlägt im Innern verborgene Saiten an.

Sonnenscheins Musik ist berührend. Sie schlägt im Innern verborgene Saiten an, umkreist vom stillen Glück bis zu tiefer Traurigkeit eine weite Gefühlspalette. Behutsam gehen der Schlagzeuger und sein Ensemble vor, geben dem einzelnen Ton, der Entfaltung des Klangs Zeit und spielen damit die Vieldeutigkeit des titelgebenden »TIME« intensiv, aber auch sehr, sehr lässig aus.

Zeit ist bei Drummer Eddy Sonnenschein, Pianist Fe Fritschi, Kontrabassist Grégoire Pignède und Tenorsaxofonist Victor Fox nicht nur Maß, sondern auch Dimension. Sie lassen sich aufeinander ein, spielen hörend auch auf das, was zwischen mancher Zeile steht. Sie widerstehen dem Drang, sich in individueller Virtuosität zu verlieren, sondern agieren gemeinsam.

Dabei öffnen die vier Musiker zugleich einen Raum, der zugänglich ist. Gerade die melodiösen Passagen, die Sonnenschein dem Saxofon zugeschrieben hat, gehen mindestens ins Ohr, wenn nicht zu Herzen. Inspiration findet der Komponist auch im Singer-Songwriter-Genre; er möchte sagen, was er empfindet, will zu dem stehen, was er in sich trägt. Lange habe er manches aus der eigenen Geschichte verdrängt oder ausgeblendet, habe alles darangesetzt, sich anzupassen, sich zu assimilieren.

Doch das verstärkte das Momentum der Entwurzelung zusehends. Noch einmal verändert habe seine Positionierung das Geschehen vom 7. Oktober in Israel. Jetzt erst recht wolle er sich nicht verstecken, sagt Eddy Sonnenschein. »Ich bin stolz darauf, ein jüdischer Musiker zu sein.« Mag sein Leben wie ein Puzzle sein, die jüdische Identität bildet den Rahmen.

Es war ein Geschenk für das Quartett, dass mit dem Gewinn des vom Verein »2ndFLOOR« ausgeschriebenen »recording project« eine zweitägige Aufnahmesession im Köln-Ehrenfelder LOFT möglich wurde. Das bot Eddy Sonnenschein eine gewisse Freiheit – finanziell, aber auch gestalterisch. Bis zum so reduziert gezeichneten Cover. Claudia Irle-Utsch

Eddy Sonnenschein: »TIME«, 2024

In eigener Sache

Zachor!

Warum es uns besonders wichtig ist, mit einer Sonderausgabe an Kfir, Ariel und Shiri Bibas zu erinnern

von Philipp Peyman Engel  10.03.2025 Aktualisiert

Kulturkolumne

Hat Kunst je eine Katastrophe verhindert?

Nachgefragt bei Kubrick und Zweig

von Sophie Albers Ben Chamo  09.03.2025

Jüdisch-israelische Kulturtage

»Kleine Synagoge« zeigt Werke von Daniela Bromberg

Daniela Bromberg ist eine Erfurter Künstlerin, die sich in ihrem Werk mit der Thora, dem Chassidismus und ethischen Fragen auseinandersetzt

 09.03.2025

Restitution

Potsdam-Museum gibt zwölf, in der NS-Zeit enteignete Bücher zurück

Günther Graf von der Schulenburg stieß auf die Bücher in der Lost Art-Datenbank des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste

 09.03.2025

Aufgegabelt

Tschüss, Winter: Karotten-Kugel

Rezepte und Leckeres

von Katrin Richter  08.03.2025

Antisemitismus

Gert Rosenthal: »Würde nicht mit Kippa durch Neukölln laufen«

Die Bedrohung durch Antisemitismus belastet viele Jüdinnen und Juden. Auch Gert Rosenthal sieht die Situation kritisch - und erläutert, welche Rolle sein Vater, der Entertainer Hans Rosenthal, heute spielen würde

 07.03.2025

Medien-Skandal

BBC zeigt Doku mit Kindern von Hamas-Terroristen

Der Film sollte auf das Leid von Kindern im Gazastreifen aufmerksam machen, doch er weist schwere handwerkliche Mängel auf

von Nils Kottmann  07.03.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Katrin Richter  06.03.2025

Künstliches Comeback

Deutschlandfunk lässt Hans Rosenthal wieder aufleben

Der Moderator ist bereits 1987 verstorben, doch nun soll seine Stimme wieder im Radio erklingen - dank künstlicher Intelligenz

 06.03.2025