Viel Herzschmerz könnte vermieden werden, wenn Paare von Anfang an klare Kriterien hätten, die ihnen verraten, ob sie langfristig miteinander glücklich werden können. Es gibt jemanden, der sicher ist, über genau solche Kriterien zu verfügen und den Erfolg einer Beziehung oder Ehe mit 80- bis 90-prozentiger Genauigkeit voraussagen zu können – der amerikanische Psychologe John Gottman, emeritierter Professor der Universität Washington und Autor zahlloser wissenschaftlicher Aufsätze und populärer Ratgeberbücher. Sein jüngstes Werk, What Makes Love Last, erscheint Ende März auf Deutsch unter dem Titel Die Vermessung der Liebe bei Klett-Cotta.
»Wenn ich ein Paar drei Stunden befragen und den Umgang der beiden Partner miteinander aufzeichnen kann – sowohl in positiven als auch in Konfliktsituationen –, dann könnte ich wohl mit mehr als 90-prozentiger Sicherheit sagen, ob das Paar in den kommenden drei bis fünf Jahren zusammenbleibt«, sagte Gottman einmal in einem Interview mit der Harvard Business Review. Solche Befragungen führte Gottman gemeinsam mit seiner Frau, der Psychologin Julie Schwartz, in seinem 1986 gegründeten »Love Lab« (Liebeslabor) an der Universität Washington durch.
abwehrhaltung Gottman, Schwartz und ihre Mitarbeiter ließen frisch verheiratete Paare 15 Minuten lang über ein kontroverses Thema streiten und nahmen sie dabei auf Video auf. Später betrachteten sie die Aufnahmen und analysierten, wie die Paare stritten – kritisierten sie die Persönlichkeit des anderen, gingen sie in Abwehrhaltung, zeigte ihr Gesichtsausdruck Verachtung, oder stritten sie alles in allem fair und konstruktiv?
Dann erstellten sie zu jedem Paar eine Prognose, ob es in einigen Jahren noch verheiratet sein würde, die sie den Betreffenden natürlich nicht verrieten. Drei bis sechs Jahre später nahmen sie zu denselben Paaren wieder Kontakt auf und prüften, ob sie noch zusammenlebten oder inzwischen geschieden waren. Ihre Prognosen stellten sich zu 83 Prozent als richtig heraus.
John Gottman wurde 1942 in der Dominikanischen Republik geboren. Sein Vater war orthodoxer Rabbiner in Wien gewesen, bevor er vor den Nazis fliehen musste. Kurz nach Johns Geburt ging die Familie in die USA, John Gottman besuchte in Brooklyn die Grundschule von Chabad Lubawitsch. Nach seinem High-School-Abschluss schrieb er sich für ein Mathematikstudium am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston ein.
wohnheim Durch Gespräche mit seinem Zimmergenossen im Wohnheim, einem Psychologiestudenten, begann Gottman sich allerdings mehr für Psychologie zu interessieren, ging an die Universität von Wisconsin und änderte sein Studienfach. In Wisconsin lehrten seinerzeit nämlich zahlreiche renommierte Psychologen, bei denen Gottman Kurse besuchte: Pete Lang mit seinen Arbeiten über Psychophysiologie – einer Disziplin, die sich damit beschäftigt, wie Emotionen mit Kreislauf, Atmung, Motorik und Hormonausschüttung zusammenhängen –, Harry Harlow mit seinen Studien über Mutterliebe bei Rhesusaffen, Dick McFall, ein Experte für soziale Fertigkeiten, und Mavis Hetherington, die über Interaktion in Familien forschte.
John Gottman freundete sich auch mit dem Anthropologen Paul Ekman an, dessen Theorie, wie sich Emotionen in kaum sichtbaren Veränderungen der Mimik ausdrücken – den sogenannten Mikroexpressionen –, ihn immens beeinflussten. (Ekmans Theorie der Mikroexpressionen wurde in den vergangenen Jahren durch die Krimiserie Lie to me mit Tim Roth einem breiten Publikum bekannt.)
Humor Was gilt es also zu vermeiden, wenn man eine glückliche Ehe führen will? Vor allem das, was Gottman als »die vier apokalyptischen Reiter« bezeichnet: Kritik an der Person des Partners (statt nur an bestimmten Verhaltensweisen), ständige Abwehrhaltung, »Mauern«, also der innere Rückzug vom Partner, sowie Geringschätzung. Dabei kommt es laut Gottman keineswegs darauf an, niemals zu streiten – ein unrealistisches Ziel. Vielmehr schaffen es erfolgreiche Paare, einen Streit auch wieder zu beenden, bevor er eskaliert.
Dabei helfen Vertrauen, die Bereitschaft zu Kompromissen – und vor allem Humor. Gottman fand heraus, dass 69 Prozent aller von ihm untersuchten Ehepaare auch nach Jahren noch über dieselben Themen stritten wie zu Beginn ihrer Beziehung. Die Glücklichen unter ihnen hatten sich aber damit abgefunden, dass es Konflikte und unüberbrückbare Unterschiede zwischen ihnen gibt – und dass ein gelegentlicher Streit darüber nicht das Ende der Welt bedeutet.
Ein weiteres Gebiet, das John Gottman seit einigen Jahren umtreibt, sind Fragen der Erziehung und des Umgangs von Eltern mit ihren Kindern. Gottman, der sich heute dem konservativen Judentum zurechnet, schreibt zwar nicht aus explizit religiöser Perspektive. Doch über sein Buch The Heart of Parenting (deutsche Ausgabe: Kinder brauchen emotionale Intelligenz: Ein Praxisbuch für Eltern, 1998) sagt er: »Judentum und jüdische Geschichte haben fast jeden Aspekt des Buches beeinflusst.« Wenn es um jüdische Werte in der Kindererziehung geht, zitiert Gottman gerne einen seiner Mentoren, den verstorbenen israelischen Kinderpsychologen Haim G. Ginott: »You want to raise a mentsch who is a strong person.«