Documenta

Wird beim nächsten Mal alles besser?

Im Juni 2022 wurde ein Banner des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi mit antisemitischen Darstellungen in Kassel wieder abgehängt. Foto: IMAGO/Hartenfelser

Es war nicht die erste Anhörung im Kulturausschuss des Deutschen Bundestages zum Thema documenta und Antisemitismus und – soviel lässt sich Stand heute schon vorhersagen – es dürfte auch nicht die letzte gewesen sein.

Vor genau zwei Jahren war die 15. Ausgabe der Kasseler Kunstschau in die Schlagzeilen geraten, denn entgegen anderslautender Beteuerungen der Verantwortlichen im Vorfeld waren mehrere antisemitische Kunstwerke »aufgetaucht«.

In die Kritik geriet deswegen nicht nur das indonesische Künstlerkollektiv ruangrupa, das die documenta 15 kuratiert hatte, sondern auch die verantwortlichen Politiker in Bund, Land und Stadt. Darunter war die Kulturstaatsministerin des Bundes, Claudia Roth, sowie der Aufsichtsrat der documenta, in dem damals nur Vertreter des Landes Hessen und der Stadt Kassel saßen.

Auch die Aufarbeitung des Skandals verlief langsam und zäh. Doch bis heute gibt es Stimmen, die daran zweifeln, dass der Skandal überhaupt ein solcher war. Im Januar diesen Jahres lancierten Prominente, darunter der frühere Bundesfinanzminister, hessische Ministerpräsident und Kasseler OB Hans Eichel (SPD), eine Petition mit der Überschrift »Stand with documenta – Rettet die Freiheit der Kunst!«.

In einem in eher holprigem Englisch vorgetragenen Kampagnenvideo werden unzulässige Beschneidungen des im Grundgesetz garantierten Rechts auf Kunstfreiheit strikt abgelehnt. »Diese findet ihre Grenze im Recht, das von Gerichten verbindlich festgestellt wird, nicht in Entschließungen eines Parlamentes, nicht in der Meinung von Politiker*innen, nicht in Staatsräson und auch nicht - wie jetzt bei der documenta vorgesehen - in erzwungenen Selbstverpflichtungen der Kurator*innen und Künstler*innen«, so die Petition.

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Die aktiven Politiker in Bund und Land sind sich des Balanceakts zwischen dem Kampf gegen Antisemitismus einerseits und dem Respekt für die Kunstfreiheit andererseits sehr bewusst. Entsprechend mühevoll war der Weg zu Reformen der documenta-Aufsichtsgremien. Insbesondere die Frage der Prävention und die, wer am Ende über die mögliche Entfernung von als antisemitisch bewerteten Kunstwerken zu befinden habe, bereitet den Verantwortlichen immer noch Kopfzerbrechen.

Das zeigte auch die Befragung im Kulturausschuss des Bundestages, zu der neben Claudia Roth (Bündnis90/Die Grünen) auch ihr Parteifreund, Kassels Oberbürgermeister Sven Schoeller, und der hessische Staatsminister für Kultur, Timon Gremmels (SPD), gekommen waren. Darüber herrschte bei der Sitzung schon eitel Freude, hatte sich Schoellers Vorgänger Christian Geselle (SPD) doch geweigert, die Fragen der Abgeordneten zu beantworten.

Auch wenn die nächste Kunstausstellung in Kassel erst in drei Jahren eröffnet wird, soll bereits Ende des Jahres die künstlerische Leitung bestellt werden, welche die documenta sixteen im Jahr 2027 kuratieren soll.

Ob diese wieder wie 2022 aus einem ausländischen Kollektiv bestehen wird, sagte Timon Gremmels nicht. Dass man aber die Gefahr eines neuerlichen Antisemitismusskandals sieht, dessen war er sich bewusst. »Wie ist es in Deutschland noch möglich, internationale Ausstellungen mit Weltanspruch zu machen?«, fragte Gremmels. Man wolle auch künftig noch in der Lage sein, »international künstlerische Leitungen zu finden.«

Selbst der Termin der nächsten Kasseler Kunstschau sei nicht in Stein gemeißelt. Gleichzeitig sagte Gremmels: »Uns geht es um eine erfolgreiche documenta.« Es sei auch denkbar, die documenta um ein Jahr zu verschieben. »Machbar und gangbar« müsse das Unterfangen sein, betonte er, das sei das Wichtigste.

Die mit der Kuratierung beauftragte künstlerische Leitung soll nun (auch das ist neu) bereits zu Beginn ihrer Arbeit Auskunft darüber geben, wie sie zu verhindern gedenke, dass es zu einer Wiederholung der Vorfälle von 2022 kommt.

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Und auch in den Gremien gibt es Veränderungen: In dem bislang paritätisch von Hessen und der Stadt Kassel besetzten Aufsichtsrat der documenta sollen künftig auch zwei Vertreter des Bundes sitzen, genauer, der Staatsministerin für Kultur, Claudia Roth. Der Bund steuert zwar einen Millionenzuschuss zur documenta bei, hatte seit 2018 aber kein Mitspracherecht mehr in dem Gremium. Auch einen beratenden wissenschaftlichen Beirat soll die documenta bekommen, der Vorsitzende werde als nicht stimmberechtigtes Mitglied des Aufsichtsrats fungieren.

Einige Abgeordnete der Opposition überzeugte das alles noch nicht so recht. Was denn passiere, wenn die künstlerische Leitung der Schau kein Konzept hat gegen Antisemitismus oder wenn plötzlich wieder Werke auftauchten mit antisemitischer Bildsprache, fragte die Abgeordnete Annette Widmann-Mauz (CDU). Ob der Aufsichtsrat denn dann mehr Durchgriffsrechte habe als beim letzten Mal.

Auf die Frage, was denn sei, wenn der Bund in dem Gremium einfach überstimmt werde, antwortete Claudia Roth, dann werde man so lange miteinander diskutieren, bis man sich einig sei. Sie lobte die jetzt vereinbarten Reformen, der Aufsichtsrat sei jetzt gestärkt, und ihr Haus sei »von Anfang an eingebunden« gewesen in den Prozess. Ganz anders sei das gewesen vor der documenta fifteen. Der seinerzeitige Vorsitzende des Aufsichtsrats habe ihre Vorschläge einfach abgebügelt.

Roth zeigte sich überzeugt, dass die documenta künftig »krisenfest« sei. Noch wichtiger sei »eine viel deutlichere und von einer breiten Mehrheit getragene Positionierung aus dem Kulturbereich« gegen den Antisemitismus, sagte sie.

Wer Kassels OB Schoeller zuhörte, konnte dann aber schon Zweifel bekommen, dass alle Fragen zur Zufriedenheit gelöst sind. Sie sei jetzt weniger optimistisch als noch vor der Sitzung, sagte Widmann-Mauz. Ihr Parteifreund Marco Wanderwitz zeigte sich hingegen optimistischer.

OB Sven Schoeller betonte bei der Befragung im Kulturausschuss vor allem die Schwierigkeit der Abwägung zwischen Kunstfreiheit (»Sie wird schrankenlos gewährt«) und Menschenwürde. Bei strafrechtlich relevanten Fällen sei die Sache eindeutig, sagte Schoeller, aber bei als antisemitisch bewerteten Kunstwerken unterhalb der Schwelle der Strafgesetze schon nicht mehr.

Mit der Reform gebe es jetzt aber »einen umfassenden Werkzeugkasten für den Umgang mit antisemitischen Äußerungsformen«. Es gehe nicht nur um die Frage, ob man ein Kunstwerk hängenlasse oder abzunehme, sondern auch um seine »Kontextualisierung«.  Von dem Debakel der letzten Kunstschau will auch er Abstand gewinnen. Die documenta fifteen sei sowohl von »Hilflosigkeit« als auch von einem mangelnden Dialog geprägt gewesen, so Schoeller.

Ob beim nächsten Mal 2027 alles besser wird, erscheint auch nach der heutigen Aussprache im Kulturausschuss fraglich. Zumindest zeigte die Politik heute unisono, dass eine Wiederholung des Debakels von 2015 diesmal mit aller Kraft vermieden werden soll.

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