Er soll es jetzt richten bei der documenta: Der Kulturmanager Alexander Farenholtz hat am Dienstag übergangsweise die Geschäftsführung der nach dem Antisemitismus-Eklat kriselnden Weltkunstschau in Kassel übernommen.
Zuvor hatte Generaldirektorin Sabine Schormann im Zuge der Judenhass-Skandale und dessen mangelnder Aufarbeitung nach wochenlanger öffentlicher Kritik ihr Amt niedergelegt.
Mit der documenta ist der 1954 geborene Verwaltungswissenschaftler sehr gut vertraut: Von 1989 bis 1993 hatte er die Geschäftsführung der documenta 9 unter der künstlerischen Leitung von Jan Hoet inne. Zudem war er bereits Mitglied im Aufsichtsrat der Schau.
Dem Kasseler Kunstwissenschaftler und documenta-Kenner Harald Kimpel nötigt Farenholtz‹ Schritt Respekt ab. »Ich finde es eine sehr mutige Entscheidung, diesen komplizierten Job zu übernehmen.« Neben dem Tagesgeschäft müsse er die Antisemitismus-Debatte »irgendwie außenwirksam in den Griff kriegen« und am Ende auch noch ein positives Gesamtergebnis nachweisen.
Herausfordernd dürfte die Aufgabe tatsächlich werden. Bereits vor Beginn der diesjährigen documenta waren Antisemitismus-Vorwürfe gegen das indonesische Kuratorenkollektiv Ruangrupa laut geworden. Jüdische Künstler aus Israel wurden gar nicht erst eingeladen.
Kurz nach der Eröffnung Mitte Juni wurde dann ein massiv antisemitisches Werk entdeckt. Das Bild wurde zunächst verhängt und später abgebaut. Seither überschattet der Skandal die 15. Ausgabe der neben der Biennale in Venedig bedeutsamsten Ausstellung für Gegenwartskunst.
Farenholtz‹ Ernennung sei ein Schritt, »dieses ganze Elend ansatzweise positiv zu regeln«, meint Kimpel. Er habe den Kulturmanager in seiner Zeit als Geschäftsführer der documenta 9 als »Ermöglicher im Hintergrund« erlebt. »Er hat seinen Job sehr geräuschlos gemacht, wie es einer Geschäftsführung angemessen ist.«
Positiv wertet Kimpel auch Farenholtz‹ Vergangenheit bei der Kulturstiftung des Bundes, deren Verwaltungsdirektor er von 2002 bis zum Erreichen der Altersgrenze im Januar 2020 war. »Zwar ist der Bund damit nicht offiziell im Spiel, wird aber auf indirekte, zaghafte und sensible Weise eingebunden.«
Mehr Einfluss des Bundes hatte Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) nach der Entdeckung der antisemitischen Zeichnungen gefordert. 2018 hatten sich die beiden Vorstände der Bundeskulturstiftung, Farenholtz und Hortensia Völckers, aus dem Aufsichtsrat der Ausstellung zurückgezogen, während der Bund die documenta weiterhin mit 3,5 Millionen Euro unterstützt. Roth bezeichnete das kürzlich als »schweren Fehler«.
Über die Personalie Farenholtz zeigte sich die Grünen-Politikerin, die selbst wegen ihres Agierens in der documenta-Affäre massiv in der Kritik steht, am Dienstag erfreut. Mit ihm bekomme die documenta einen erfahrenen Kunstmanager als Interims-Geschäftsführer. »Ich danke ihm für die Bereitschaft, diese Verantwortung jetzt zu schultern.« Für die ersten Schritte in Richtung einer Neuaufstellung der Schau biete sie ihm gerne ihre Unterstützung und die ihres Hauses an.
Auch das documenta-Forum, eine Art Freundeskreis, der die Weltkunstschau unterstützt, begrüßt die Berufung. Mit Farenholtz heiße man ein ehemaliges Mitglied in Kassel willkommen, teilte der Vorstand am Dienstag mit. Er sei 1989 Mitglied des Forums geworden und habe sich vor allem für die Unterstützung des Museums Fridericianums eingesetzt sowie eine Öffnung für internationale Mitgliedschaften gefordert.
Von Farenholtz wünscht sich das Forum, die verbleibende Zeit zu nutzen, um »die documenta fifteen aus den negativen Schlagzeilen zu führen und die künstlerischen und kuratorischen Besonderheiten dieser Ausstellung in das Blickfeld der Öffentlichkeit zu rücken.«
Das Engagement des Interims-Geschäftsführers ist zunächst bis zum 30. September 2022 befristet - die documenta fifteen findet bis zum 25. September statt. Laut Aufsichtsrat ist es der Wunsch des Kulturmanagers, zunächst mit der künstlerischen Leitung und dem Team der documenta gGmbH Gespräche aufzunehmen. Über Farenholtz‹ weitere Pläne wurde an seinem ersten Arbeitstag in Kassel zunächst nichts bekannt. dpa/ja