Nach Antisemitismusvorwürfen gegen die documenta hat Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) am Montag mit den Trägern der Kunstschau in Kassel über eine Überprüfung beraten.
»In der Presse werden derzeit Vorwürfe gegen die documenta diskutiert. Diesen Vorwürfen muss und will die documenta nachgehen. Ich engagiere mich seit Jahrzehnten im Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus. Deswegen habe ich Kontakt mit den Trägern der documenta, dem Bundesland Hessen und der Stadt Kassel aufgenommen«, teilte Roth mit.
AUFSICHTSRAT Nach dem Gespräch wurde zunächst nichts über konkrete Ergebnisse bekannt. Die hessische Ministerin für Wissenschaft und Kunst, Angela Dorn (Grüne) erklärte am Montagnachmittag: »Wichtig ist jetzt, dass wir uns auch im Aufsichtsrat der documenta rasch mit diesem Thema befassen und ich bin zuversichtlich, dass wir hier zu guten Beschlüssen kommen werden«.
Das Kasseler Bündnis gegen Antisemitismus (BGA) hatte dem Künstlerkollektiv vorgeworfen, dass auf der kommenden documenta fifteen, der 15. Ausgabe der Kunstschau, auch Organisationen eingebunden seien, die den kulturellen Boykott Israels unterstützten oder antisemitisch seien.
BDS Unter anderem geht es um die Rolle einer palästinensische Gruppe, die sich für den Boykott Israels im kulturellen Leben ausgesprochen hat. Auch im Beirat der documenta säßen, so ein Bericht von »Ruhrbarone«, »glühende Israelkritiker« und Freunde der in Handlungen und Zielen antisemitischen Bewegung BDS (»Boykott, Desinvestition und Sanktionen«).
Der Bundestag hatte die BDS-Bewegung in einem Beschluss von Mai 2019 in namentlicher Abstimmung als antisemitisch verurteilt. Die Grünen-Politikerin Claudia Roth hatte als damalige Bundestagsvizepräsidentin die Sitzung geleitet und nicht mit abgestimmt. Sie hatte gemeinsam mit einigen Parteikollegen den Antrag von CDU/CSU, SPD, FDP und der Mehrheit der Grünen-Fraktion kritisiert.
Auf der Website der documenta finfteen hieß es vergangene Woche: »Die documenta fifteen unterstützt in keiner Weise Antisemitismus. Sie vertritt die Forderung der Freiheit von Kunst und Wissenschaft und unterstützt das Anliegen, Antisemitismus, Rassismus, Rechtsextremismus, gewaltbereitem religiösem Fundamentalismus sowie jeder Art von Diskriminierung entschieden entgegenzutreten. Die documenta fifteen wird sich intensiv mit der Kritik auseinandersetzen.«
Die hessische Ministerin für Wissenschaft und Kunst, Angela Dorn, sagte, sie begrüße und unterstütze »die klare Distanzierung der documenta von jeder Form von Antisemitismus, Rassismus, Rechtsextremismus, gewaltbereitem religiösem Fundamentalismus und Diskriminierung«.
Weiter teilte die grüne Landespolitikerin mit, für die hessische Landesregierung und für sie persönlich sei »die Bedeutung und Verteidigung des Existenzrechts Israels untrennbar mit unserer historischen Verantwortung verbunden. Die heutige Runde zwischen Bund, Land Hessen, Stadt Kassel und der documenta gGmbH hat noch einmal gezeigt, dass wir hier alle an einem Strang ziehen und uns unserer Verantwortung bewusst sind«.
KUNSTFREIHEIT Gemeinsam gelte, »dass die Kunstfreiheit ein hohes Gut ist und ein zentraler Bestandteil unserer demokratischen Gesellschaft. Das gilt auch und gerade dann, wenn sie den politischen Diskurs berührt. Gleichzeitig wird die Aufgabe naturgemäß komplexer. Ich bin sicher, dass die documenta fifteen einen wichtigen Beitrag dazu leisten kann, den aus historischer Verantwortung geschärften deutschen Blick in einen konstruktiven Dialog mit den Perspektiven internationaler Künstlerinnen und Künstler mit deren jeweiligem Erfahrungshorizont zu bringen«.
Eine Verkürzung der Debatte, die in der Berichterstattung der vergangenen Tage leider immer wieder zu beobachten gewesen sei, tue diesem Dialog »allerdings keinen Gefallen. Wichtig ist jetzt, dass wir uns auch im Aufsichtsrat der documenta rasch mit diesem Thema befassen und ich bin zuversichtlich, dass wir hier zu guten Beschlüssen kommen werden«.
KRITIKER In der »Bild«-Zeitung hatte sich zuvor der FDP-Bundestagsabgeordnete Frank Müller-Rosentritt, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags, geäußert. Er sagte: »Menschen, die das Ende Israels propagieren, dürfen auf der documenta keine Bühne erhalten. Es kann nicht sein, dass das Khalil Sakakini Cultural Center, das nach einem Hitler-Sympathisanten benannt ist und BDS unterstützt, an der größten Kunstausstellung Deutschlands teilnimmt. Kultur muss zur Verständigung beitragen und nicht zum Hass auf Juden und Israel.«
Der Historiker und Publizist Michael Wolffsohn sagte der Zeitung: »Die Freiheit der Kunst ist ein hohes Gut. Das heißt aber nicht: Freiheit zur Hetze.«
Unterdessen hat der Kasseler Oberbürgermeister Christian Geselle, auch Aufsichtsratsvorsitzender der documenta gGmbH, Antisemitismus-Vorwürfe gegen die kuratierende Künstlergruppe zurückgewiesen.
RUANGRUPA Mit dem indonesischen Künstlerkollektiv ruangrupa kuratieren 2022 zum ersten Mal Vertreter aus Asien die documenta, die auch die Perspektive des globalen Südens berücksichtigen und dabei unter anderem Machtverhältnisse hinterfragen. Man sei sich einig, dass es in der Arbeit der Künstlergruppe nicht zur Überschreitung roter Linien kommen dürfe, teilte Geselle (SPD) am Sonntag mit.
Geselle betonte am Sonntag: Deutschland habe aus seiner Vergangenheit heraus eine herausragende Verantwortung für Menschen jüdischen Glaubens und den Staat Israel. Das sei Staatsräson für die Bundesrepublik Deutschland und ebenso »Stadträson« für die Stadt Kassel.
Die documenta gilt als die weltweit wichtigste Schau für zeitgenössische Kunst. Die 15. Ausgabe (documenta fifteen) findet vom 18. Juni bis 25. September 2022 statt. ag/dpa
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