Es war eine Erlösung für alle Beteiligten, als am Montagabend vergangener Woche in der New Yorker Metropolitan Opera das Licht aus- und der Vorhang aufging und endlich die Kunst selbst zu Wort kam – nach Monaten des Streits um eine Oper, die bis dahin fast niemand gesehen und zu der dennoch jeder eine Meinung hatte.
Gegeben wurde The Death of Klinghoffer, das avantgardistische Musiktheater von John Adams, das bereits 1991 uraufgeführt wurde und um das schon genauso lange gestritten wird. Es erzählt die Geschichte des jüdischen Amerikaners Leon Klinghoffer, der 1985 von palästinensischen Terroristen ermordet wurde. Klinghoffer war Tourist auf dem Kreuzfahrtschiff Achille Lauro, das von der PLO gekapert worden war. Seine Erschießung wurde rasch zum Sinnbild der Grausamkeit des palästinensischen Terrors, nicht zuletzt, weil Klinghoffer an einen Rollstuhl gefesselt war und nach seiner Erschießung kaltherzig über Bord gekippt wurde.
Die Kritik an dem Stück macht sich seit 24 Jahren an zweierlei fest. Zum einen wird in der Eröffnungsszene ein Chor vertriebener Palästinenser einem Chor vertriebener Juden gegenübergestellt. Kritiker sehen darin eine unzulässige moralische Gleichsetzung. Moniert wurde auch, dass die Terroristen in der Oper vermeintlich humanisiert werden. Man erfährt von dem Leid, das sie persönlich durchgemacht haben, und von den romantischen Träumen und Hoffnungen, die sie hegen. Die Kinder Leon Klinghoffers hatten sich besonders daran gestört: »Der Mord an unserem Vater wird romantisiert und legitimiert«, schrieben sie in einer Stellungnahme, die von der Met in das Programmheft aufgenommen wurde.
Das Stück, das von Adams als Oratorium inszeniert wird, beinhaltet auch einen Dialog von Freunden der Familie Klinghoffer, die als materialistische, oberflächliche Amerikaner gezeichnet und als solche den Palästinensern in ihrem idealistischen Überlebenskampf gegenübergestellt werden. »Unser Vater und unsere Familie werden hier als Karikatur missbraucht«, beklagten Klinghoffers Töchter.
Bühne All das war über das Stück hinreichend bekannt, auch wenn sich die New Yorker Inszenierung in Details von der Londoner Aufführung von 2012 unterscheidet. Und doch erregte die Oper in New York in einem Maße die Gemüter, wie noch nie zuvor. Zum einen, weil es eben New York ist, und zum anderen, weil die Met als eine der bedeutendsten Bühnen der Welt der Oper zu besonderer Legitimität verhilft. Gegner der Aufführung marschierten in den Wochen vor der Premiere beinahe täglich vor dem Lincoln Center mit Schildern auf und ab, auf denen die Absetzung der Oper gefordert wurde.
Noch in der Premierennacht standen sie da, und die Polizei konnte froh sein, dass es nicht zu Blockaden oder Übergriffen kam. Der Bariton Alan Opie, der die Hauptrolle des Leon Klinghoffer spielt, wurde von einigen der Demonstranten als »Faschist« beschimpft. Das Werk des Komponisten und Produzenten Adams wurde als »Nazi-Propaganda« bezeichnet, manche Demonstranten ließen sich gar zu der Forderung hinreißen, die Bühne niederzubrennen.
John Adams fühlte sich und sein Werk falsch dargestellt. »Das Schlimmste ist«, erklärte er vor der Premiere, »dass die meisten Leute, die da protestieren, die Oper gar nicht gesehen haben. Und derentwegen werden wir das Label ›diese antisemitische Oper‹ jetzt im Bewusstsein der Öffentlichkeit nicht mehr los.«
Kunstfreiheit Adams zu Hilfe eilte die Redaktion der New York Times, die der Oper einen Leitartikel widmete. Das Editorial war ein flammendes Plädoyer für die künstlerische Freiheit. »Die Met muss standhaft bleiben«, hieß es darin. Und weiter: »Es kann der Kunst nur schaden, wenn sie Konflikt und Kontroverse vermeidet.« Met-Direktor Peter Gelb stand ebenfalls zu dem Stück von Adams. Er nannte es »ein Meisterwerk« und wehrte sich entschieden gegen den Vorwurf des Antisemitismus. Dennoch setzte Gelb die geplante Simultanübertragung der Aufführung in Kinos rund um die Welt ab, aus Sorge, sie könne »antiisraelische und antisemitische Tendenzen verstärken«.
Die Entscheidung, die Übertragung zu annullieren, kam nach Verhandlungen mit der Anti-Defamation League (ADL) zustande, die an dem Stück ebenfalls Bedenken angemeldet hatte. Der Vorsitzende der ADL, Abraham Foxman, betonte in seiner Stellungnahme jedoch, dass »er die Met und ihren Direktor Gelb unter keinen Umständen für Antisemiten« halte. Man habe lediglich eine »Differenz im Urteil«. Das trug Foxman Kritik von jüdischer Seite ein. In einer E-Mail wurde er gar als »Kapo« beschimpft, wie er der New York Times sagte.
spektakel Um die überhitzte Stimmung ein wenig abzukühlen, hatte John Adams vorgeschlagen, rund um die Premiere Diskussionsveranstaltungen durchzuführen, so wie bei der Aufführung in St. Louis im Jahr 2011. Der Dialog dort hatte Proteste, Kundgebungen und Boykotte verhindert. Die Met allerdings hielt ein solches Vorgehen in einer Stadt von der Größe New Yorks nicht für möglich.
So war auch der Eröffnungsabend von The Death of Klinghoffer wieder ein schrilles, lautes Spektakel, inklusive einiger wütender Zwischenrufe während der Aufführung. Am Ende konnte die Aufführung jedoch die Aufgeregtheit der Vorwochen deutlich dämpfen. Gleich, ob die Kritik die Oper für brillant hielt, wie etwa die New York Times, oder für mittelmäßig und unzeitgemäß, wie die Jewish Telegraphic Agency (JTA), man war sich einig, dass hier weder Terrorismus glorifiziert noch Mord gerechtfertigt wird.
»Man kann verstehen, dass sich Klinghoffers Töchter gegen die Instrumentalisierung ihres Vaters wehren. Doch Klinghoffer bleibt das moralische Zentrum des Stücks, und die Terroristen bleiben gewalttätige Kriminelle«, resümierte die JTA. Viel Lärm um nichts also am Hudson. Oder wenigstens um relativ wenig.