Wie entstehen Stereotype? Keine Sorge, es kommt jetzt keine Jammerei über Antisemitismus. Diesmal geht es nur um gewöhnlichen Blödsinn. Der stammt in diesem Fall von Helmut Dietl. Dietl ist ein begnadeter Regisseur, der mit TV-Serien wie Kir Royal und Filmen wie Schtonk ein Händchen für intelligente Boulevardkomödien gezeigt hat, wie es neben ihm in Deutschland sonst kaum einer hat.
Talent auf einem Gebiet zu besitzen, bedeutet allerdings nicht, dass man von anderen Themen auch etwas versteht. Es gibt beispielsweise Autoren, die gute Stücke oder Romane schreiben, gleichzeitig aber politischen Blödsinn faseln. Man denke nur an Bertolt Brecht oder Günter Grass.
lokalpatriotismus Aber zurück zu Helmut Dietl. Der hat diese Woche dem Spiegel ein langes Interview über seinen neuen Film gegeben. Im Verlauf dieses Gesprächs kommt Dietl auch auf Berlin zu sprechen, das er als Münchner Lokalpatriot für völlig überschätzt hält. »Es ist ja nicht so, als würden da gerade die 20er-Jahre wiederauferstehen. Überhaupt nicht. Da fehlen schon mal die Juden ...« »Aber«, hakt der Spiegel nach, »es sind doch so viele russische Juden nach Berlin gekommen.« Darauf Dietl: »Die russischen Juden, na ja, das sind jetzt nicht unbedingt Kulturträger.«
Komisch: Nach meiner Erfahrung sind gerade russische Juden belesene und gebildete Leute. Nicht nur kennen sie ihren Puschkin und Tolstoi, sie sind auch in Goethe, Schiller und Heine bewanderter als der deutsche Durchschnitt, inklusive der »alteingesessenen« Juden. Ob, wie Thilo Sarrazin glaubt, die Zuwanderer sogar einen um 15 Prozent höheren IQ als der Rest der Bevölkerung haben, kann ich nicht beurteilen. Kulturlos sind sie jedenfalls nicht.
TV-Weisheiten Dietl, da gehe ich jede Wette ein, hat in seinem Leben noch nie einen russischen Juden persönlich kennengelernt. Was er über diese Menschen zu wissen glaubt, hat er – nächste Wette – wahrscheinlich aus der TV-Serie Im Angesicht des Verbrechens seines Kollegen Dominik Graf. Dort bevölkern russische Juden als Gangster die Szene, an ihrer Seite wasserstoffblondierte, aufgetakelte Nataschas. So sehen die alle aus, wird Dietl sich wohl gedacht haben.
Das Ganze erinnert an Leute, die einem erzählen, dass Franzosen sich nicht regelmäßig waschen, und als Beleg dafür eine Tante anführen, bei der im Haus mal ein Franzose gewohnt hat, der ausgesprochen ranzig roch. Im aktuellen Fall werden es, fürchte ich, Hunderttausende sein, die jetzt glauben, russische Juden seien Kulturbanausen. Immerhin hat es ja Helmut Dietl gesagt, dessen Filme preisgekrönt sind.
ahnungslos Für viel kulturbeflissener als russische Juden hält der Regisseur übrigens seltsamerweise Israelis. »Am liebsten würde ich eine Initiative starten in Israel: Kommt nach Deutschland!« Dietl sollte, bevor er solche Sprüche rauslässt, mal den Mahane-Jehuda-Markt in Jerusalem besuchen. Das würde ihn ganz schnell von der Vorstellung befreien, Israelis seien besonders kultivierte Menschen. Im Übrigen verrät der Satz auch, dass der Münchener Filmemacher von Berlin so wenig Ahnung hat wie von Juden.
In der Stadt wimmelt es schon jetzt von israelischen Künstlern aller Genres, die es der billigen Kreuzberger Mieten wegen hierhin gezogen hat. Spürbare Auswirkungen auf das Kulturniveau der Hauptstadt hat dieser Exodus bislang noch keine gehabt.
Fazit: Künstler – und Helmut Dietl steht hier pars pro toto für die ganze Spezies – sollte man nur ernst nehmen, wenn sie sich über ihr eigenes Metier äußern. Ihre Ausführungen zu anderen Fachgebieten sind in der Regel dummes Gewäsch.
Dietls neuen Film Zettl, der in zwei Wochen Premiere hat, werde ich mir trotzdem anschauen. Von Kino versteht der Mann tatsächlich was.