Deutsche Gedichte, die mit Klarstellungen beginnen oder diese gar beinhalten, drehen sich in der Regel um Israel, so viel kann man sagen.
Auch Dieter Hallervorden, der Deutschen liebster Kabarettist, der in seiner langen Karriere nicht nur als Didi, sondern auch als Charakterschauspieler und Theatermann reüssiert hat, beginnt sein neuestes Video mit einer Klarstellung.
»Vor dem gleich folgenden Gedicht ›Gaza Gaza‹ möchte ich eines unmissverständlich klarstellen: Natürlich verurteile auch ich den Terror von Hamas.« Aber trotz alledem sehe er »gleichzeitig eine neue Friedenschance für eine Zweistaatenlösung.«
Damit man miteinander sprechen könne, brauche es jedoch »ein Schweigen der Waffen und die sofortige Freilassung aller Geiseln«, so Hallervorden. »Ich weiß aber auch: Grausamkeiten haben zumeist Vorgeschichten. Und kein Mensch wird als Terrorist geboren.«
Lange Vorrede, kurzer Sinn: Hallervorden ist natürlich kein Antisemit. Iwo, er meint es nur gut. Da ist er nicht der Erste. Viele Kulturschaffende meinen es nur gut.
Mit »Was gesagt werden muss« war das Gedicht des seligen Günter Grass überschrieben, das er 2012 in der »Süddeutschen Zeitung« publizierte. Darin warf der Deutschen liebster Schriftsteller »mit letzter Tinte« Israel vor, einen »Erstschlag« gegen den Iran zu planen und damit den Weltfrieden zu gefährden (ein Schelm, wer da den Visionär verkennt ...).
Gegen mögliche Kritik wollte Grass schon im Gedicht selbst vorbeugen. In der vierten Strophe heißt es, »das Verdikt ›Antisemitismus‹ ist geläufig«. Viel genutzt hat es ihm damals nicht. Ein »ekelhaftes Gedicht« sei das und eine »Gemeinheit«, wütete der Deutschen liebster Literaturkritiker, Marcel Reich-Ranicki.
Dieter Hallervorden war also vorgewarnt. Das Imperium würde brutal zurückschlagen bei jeder noch so nuancierten Kritik an Israel. Vielleicht würde es sogar den Erstschlag wagen?
Doch Hallervorden bewies unendlichen Mut. Er veröffentlichte »Gaza Gaza« trotzdem.
Geschrieben wurden die Verse nicht von ihm selbst, sondern von Diether Dehm, einst der deutschen Linken liebster Barde. Als Hallervorden noch Blödeleien im Vorabendprogramm der ARD ablieferte, war Dehm als »Lerryn« unterwegs und trällerte zeitlos schöne Werke wie das berühmte Lied von Oma Krug, die niemals krank genug war, um nicht dabei zu sein im SPD-Ortsverein.
Dehm schrieb auch die Lyrics für Klaus Lages Hit »1000 und 1 Nacht« und managte Wolf Biermann nach dessen Ausbürgerung aus der DDR. Gerüchte, denen zufolge er als »IM Willy« der Stasi Infos über Biermann und die Jusos in der SPD zulieferte, sind natürlich völlig haltlos. Das sei an dieser Stelle ausdrücklich und unmissverständlich klargestellt.
Harmloser Appell an die Mitmenschlichkeit?
Dennoch, auch das ist Fakt: Diet(h)ers Tinte (es wird doch hoffentlich nicht die letzte sein?) schreibt viel besser als die von Grass. Das liegt nicht nur an Hallervordens Video-Performance, an seinem eindringlichen Blick mit den traurigen Augen, seinen ausladenden Gesten oder an der Hintergrundmusik. Nein, es liegt daran, dass Hallervorden und Dehm ihre politische Botschaft geschickt als harmlosen Appell an die Mitmenschlichkeit verpackt haben.
»Ein Mann drückt zerfetzte Fingerchen an seinen Bart beim Flüstern fest ran. Was haben denn die zarten Dingerchen den Herren Generälen getan? Dann hebt er den Rumpf seiner Kleinen zu Allah. In die Sonne. Zum Mond.«
So beginnt das Gedicht.
Wer ermordet denn unschuldige Kinder? Doch wohl niemand. Oder doch? Natürlich, Israel! Das sagt Hallervorden zwar nicht, er meint es aber offenbar genau so.
Dann macht er einen Schlenker nach Deutschland. »Soll ich diesem Vater empfehlen, so cool wie ein Talkgast zu sein? Sich bloß in keinem Wort zu verfehlen, das antisemitisch erscheint?«
Und legt noch eine Schippe drauf. »Sie geloben Apartheid die Treue. Von Ampel bis AfD. Sie liefern Granaten aufs Neue. Bittend, zart damit umzugehen. Beim Menschen-wie-Viecher-vertreiben. Mit Hunger und mit Drohnen. Dieser Kinderfriedhof wird bleiben. Als Albtraum für Generationen.«
Mitschuld sind natürlich auch wir Deutschen. Bilder der Konzernzentralen von Rüstungskonzernen werden eingeblendet. »Doch die Macht, die Bestien schafft, sei verflucht.«
Steten Schrittes nähert Hallervorden sich dem Höhepunkt (übrigens viel schneller und prägnanter als damals Günter Grass): »Gaza Gaza. Ich schlage meine Augen nieder. Vor dem ohnmächtigen Geschrei. Vor deinen zerfetzten Gliedern. Ich frag mich da immer wieder: Und das soll kein Völkermord sein?«
So endet das Gedicht.
Hallervorden verlässt die Bühne - ganz ohne »Palim, palim«.
Ursache und Wirkung verdreht
Keine drei Minuten ist sein Video lang, in der Kürze liegt schließlich die Würze. Der Clip könnte also auch bei der notorisch aufmerksamkeitsdefizitären Jugend von heute verfangen, fast so gut wie damals die Sketche von »Nonstop Nonsens«. Für einen 88-Jährigen, das muss auch einmal gesagt werden, wäre das keine schlechte Leistung.
Dass Hallervorden sich die Sache doch recht einfach macht, mit Laienspielertricks aus der Kiste der Politpropaganda hantiert und nicht mit letzter Tinte, aber mit letzter Finte arbeitet: geschenkt.
Dass er aber Ursache und Wirkung verdreht, sollte ihm die allmächtige Israel-Lobby in Deutschland, die hierzulande bekanntlich für die Zensur zuständig ist, nicht durchgehen lassen. Denn – und das sei hier abschließend und unmissverständlich klargestellt: Grausamkeiten haben zumeist eine »Vorgeschichte«.
Der 7. Oktober war so eine Vorgeschichte.