Glosse

Dieter Hallervorden: Mit letzter Finte

»Natürlich verurteile auch ich den Terror von Hamas, aber ...«: Dieter Hallervorden in seinem Video »Gaza, Gaza« Foto: Screenshot YouTube Video

Deutsche Gedichte, die mit Klarstellungen beginnen oder diese gar beinhalten, drehen sich in der Regel um Israel, so viel kann man sagen.

Auch Dieter Hallervorden, der Deutschen liebster Kabarettist, der in seiner langen Karriere nicht nur als Didi, sondern auch als Charakterschauspieler und Theatermann reüssiert hat, beginnt sein neuestes Video mit einer Klarstellung.

»Vor dem gleich folgenden Gedicht ›Gaza Gaza‹ möchte ich eines unmissverständlich klarstellen: Natürlich verurteile auch ich den Terror von Hamas.« Aber trotz alledem sehe er »gleichzeitig eine neue Friedenschance für eine Zweistaatenlösung.«

Damit man miteinander sprechen könne, brauche es jedoch »ein Schweigen der Waffen und die sofortige Freilassung aller Geiseln«, so Hallervorden. »Ich weiß aber auch: Grausamkeiten haben zumeist Vorgeschichten. Und kein Mensch wird als Terrorist geboren.«

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Lange Vorrede, kurzer Sinn: Hallervorden ist natürlich kein Antisemit. Iwo, er meint es nur gut. Da ist er nicht der Erste. Viele Kulturschaffende meinen es nur gut.

Mit »Was gesagt werden muss« war das Gedicht des seligen Günter Grass überschrieben, das er 2012 in der »Süddeutschen Zeitung« publizierte. Darin warf der Deutschen liebster Schriftsteller »mit letzter Tinte« Israel vor, einen »Erstschlag« gegen den Iran zu planen und damit den Weltfrieden zu gefährden (ein Schelm, wer da den Visionär verkennt ...).

Gegen mögliche Kritik wollte Grass schon im Gedicht selbst vorbeugen. In der vierten Strophe heißt es, »das Verdikt ›Antisemitismus‹ ist geläufig«. Viel genutzt hat es ihm damals nicht. Ein »ekelhaftes Gedicht« sei das und eine »Gemeinheit«, wütete der Deutschen liebster Literaturkritiker, Marcel Reich-Ranicki.

Dieter Hallervorden war also vorgewarnt. Das Imperium würde brutal zurückschlagen bei jeder noch so nuancierten Kritik an Israel. Vielleicht würde es sogar den Erstschlag wagen?

Doch Hallervorden bewies unendlichen Mut. Er veröffentlichte »Gaza Gaza« trotzdem.

Geschrieben wurden die Verse nicht von ihm selbst, sondern von Diether Dehm, einst der deutschen Linken liebster Barde. Als Hallervorden noch Blödeleien im Vorabendprogramm der ARD ablieferte, war Dehm als »Lerryn« unterwegs und trällerte zeitlos schöne Werke wie das berühmte Lied von Oma Krug, die niemals krank genug war, um nicht dabei zu sein im SPD-Ortsverein.

Dehm schrieb auch die Lyrics für Klaus Lages Hit »1000 und 1 Nacht« und managte Wolf Biermann nach dessen Ausbürgerung aus der DDR. Gerüchte, denen zufolge er als »IM Willy« der Stasi Infos über Biermann und die Jusos in der SPD zulieferte, sind natürlich völlig haltlos. Das sei an dieser Stelle ausdrücklich und unmissverständlich klargestellt.

Harmloser Appell an die Mitmenschlichkeit?

Dennoch, auch das ist Fakt: Diet(h)ers Tinte (es wird doch hoffentlich nicht die letzte sein?) schreibt viel besser als die von Grass. Das liegt nicht nur an Hallervordens Video-Performance, an seinem eindringlichen Blick mit den traurigen Augen, seinen ausladenden Gesten oder an der Hintergrundmusik. Nein, es liegt daran, dass Hallervorden und Dehm ihre politische Botschaft geschickt als harmlosen Appell an die Mitmenschlichkeit verpackt haben.

»Ein Mann drückt zerfetzte Fingerchen an seinen Bart beim Flüstern fest ran. Was haben denn die zarten Dingerchen den Herren Generälen getan? Dann hebt er den Rumpf seiner Kleinen zu Allah. In die Sonne. Zum Mond.«

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

So beginnt das Gedicht.

Wer ermordet denn unschuldige Kinder? Doch wohl niemand. Oder doch? Natürlich, Israel! Das sagt Hallervorden zwar nicht, er meint es aber offenbar genau so.

Dann macht er einen Schlenker nach Deutschland. »Soll ich diesem Vater empfehlen, so cool wie ein Talkgast zu sein? Sich bloß in keinem Wort zu verfehlen, das antisemitisch erscheint?«

Und legt noch eine Schippe drauf. »Sie geloben Apartheid die Treue. Von Ampel bis AfD. Sie liefern Granaten aufs Neue. Bittend, zart damit umzugehen. Beim Menschen-wie-Viecher-vertreiben. Mit Hunger und mit Drohnen. Dieser Kinderfriedhof wird bleiben. Als Albtraum für Generationen.«

Mitschuld sind natürlich auch wir Deutschen. Bilder der Konzernzentralen von Rüstungskonzernen werden eingeblendet. »Doch die Macht, die Bestien schafft, sei verflucht.«

Steten Schrittes nähert Hallervorden sich dem Höhepunkt (übrigens viel schneller und prägnanter als damals Günter Grass): »Gaza Gaza. Ich schlage meine Augen nieder. Vor dem ohnmächtigen Geschrei. Vor deinen zerfetzten Gliedern. Ich frag mich da immer wieder: Und das soll kein Völkermord sein?«

So endet das Gedicht.

Hallervorden verlässt die Bühne - ganz ohne »Palim, palim«.

Ursache und Wirkung verdreht

Keine drei Minuten ist sein Video lang, in der Kürze liegt schließlich die Würze. Der Clip könnte also auch bei der notorisch aufmerksamkeitsdefizitären Jugend von heute verfangen, fast so gut wie damals die Sketche von »Nonstop Nonsens«. Für einen 88-Jährigen, das muss auch einmal gesagt werden, wäre das keine schlechte Leistung.

Dass Hallervorden sich die Sache doch recht einfach macht, mit Laienspielertricks aus der Kiste der Politpropaganda hantiert und nicht mit letzter Tinte, aber mit letzter Finte arbeitet: geschenkt.

Dass er aber Ursache und Wirkung verdreht, sollte ihm die allmächtige Israel-Lobby in Deutschland, die hierzulande bekanntlich für die Zensur zuständig ist, nicht durchgehen lassen. Denn – und das sei hier abschließend und unmissverständlich klargestellt: Grausamkeiten haben zumeist eine »Vorgeschichte«.

Der 7. Oktober war so eine Vorgeschichte.

Interview

Günther Jauch: »Hans Rosenthal war ein Idol meiner Kindheit«

Der TV-Moderator über den legendären jüdischen Showmaster und seinen eigenen Auftritt bei »Dalli Dalli« vor 42 Jahren

von Michael Thaidigsmann  11.04.2025

UNESCO

Talmud-Handschrift zu Weltdokument ernannt

Das Weltdokumentenerbe vereint Buchbestände, Handschriften, Partituren, Bild-, Ton- und Filmaufnahmen von außergewöhnlichem Wert für die Menschheitsgeschichte

 11.04.2025

10. Todestag

Zwischen Erinnerung und Engagement: Günter Grass heute

Literarisch brachte er es zu höchsten Ehren, politisch war er ein kritischer Wegbegleiter der Bundesrepublik, aber auch ein gescheiterter Moralist. Ein Zeitzeuge erinnert sich an Günter Grass als verlässlichen Freund

von Klaus Blume  11.04.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Katrin Richter  11.04.2025

Deichbrand-Festival

Macklemore-Auftritt: Kulturwissenschaftlerin rät von Konzertabsage ab

Sie empfiehlt den Festival-Veranstaltern, das Konzert mit Diskussions- und Informationsveranstaltungen zu begleiten

 11.04.2025

Kulturkolumne

Freiheit schmeckt nach mehr als Mazzeknödel

Das Menü soll weniger aschkenasisch aussehen: Warum es bei meinem Sederabend auch Mina de Espinaca gibt

von Laura Cazés  11.04.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Omas Makronen oder Wie schmeckt Erinnerung?

von Nicole Dreyfus  11.04.2025

Zahl der Woche

288,75 Quadratzentimeter

Fun Facts und Wissenswertes

 11.04.2025

Aufgegabelt

Mazze-Mille-Feuille

Rezepte und Leckeres

 11.04.2025