Für zukünftige Lehrkräfte ist die Beschäftigung mit der Rolle der NS-Pädagogik wesentlich. Aber immer noch ist dies im universitären Curriculum der Erziehungswissenschaft die Ausnahme. Bis heute stellt die Aufklärung über die Profession der Lehrkräfte in der NS-Zeit kein zentrales Anliegen der Bildungsgewerkschaft GEW dar.
Der bundesweite Gewerkschaftstag im Juni 2021 wird vielleicht den arg belasteten Namen der Max-Traeger-Stiftung auf Antrag der Studierenden in der GEW, der Jungen GEW sowie der GEW Hessen ändern. Das Problem der Erforschung der Beziehungen zum Nationalsozialistischen Lehrerbund (NSLB) ist damit keinesfalls gelöst.
Ausstellung Der AStA und die Forschungsstelle NS-Pädagogik an der Frankfurter Goethe-Universität haben erreicht, dass an der Goethe-Uni eine 24 Tafeln umfassende Ausstellung unter dem Titel Vom NS-Lehrerbund an die Spitze der GEW: Max Traeger – kein Vorbild gezeigt wird. Sie war zuvor im Haus des DGB Frankfurt zu sehen. Ziel der Ausstellung ist es, die verbrecherische Rolle des NSLB und die Rolle Traegers in der NS-Zeit bis nach 1945 aufzuzeigen und so eine breite und öffentlich geführte Debatte zu erreichen.
Es geht um die Frage, ob Traeger, sei 1. Mai 1933 Mitglied des NS-Lehrerbundes (nicht der NSDAP), als geeigneter Namensgeber für eine gewerkschaftliche Stiftung angesehen werden kann. Die verschiedenen Lehrervereine, auch in Hamburg, wurden 1933 nicht zwangseingegliedert, sondern haben sich mit großer Mehrheit, teils aus Überzeugung, teils aus Opportunismus, per Abstimmung gegen ganz wenige Gegenstimmen dem NSLB angeschlossen. Zu den Gegenstimmen gehörte Max Traeger nicht. Er trat zum 1. Mai 1933 in den NSLB ein. Schon 1936 waren 97 Prozent der Lehrkräfte im NSLB und ein gutes Drittel Mitglied der NSDAP, danach stieg die Zahl noch weiter an.
Lehrervereine Der Bundesausschuss der Studierenden (BASS) in der GEW fordert seit 2016 eine Umbenennung der GEW-zugehörigen Max-Traeger-Stiftung. Sie kritisieren die Rolle Traegers bei der Legendenbildung nach 1945, die Lehrervereine seien 1933 zwangsenteignet und in den NSLB zwangseingegliedert worden.
Es geht dabei auch um Traegers tatkräftiges Mitwirken bei dem Unternehmen, still und leise das Vermögen des NSLB nach 1945 an die GEW zu überführen. Laut Akten der GEW ging es in den drei Westzonen immerhin um mehr als 40 Millionen Reichsmark.
Finanziell ging es auch um eine 1935 vom NSLB Hamburg »arisierte« Immobilie in der Rothenbaumchaussee 19 in der Hansestadt. Max Traeger sprach im NS-Jargon noch 1950 von einem »Judengrundstück«, das aus seiner Sicht gar nicht an die Behörden hätte gemeldet werden müssen. Alte NSLB-Kameraden, hochrangige NSDAP-Mitglieder, halfen mit, die »Arisierung« zu vertuschen.
Die GEW Hamburg erhielt Mitte der 50er-Jahre das ehemals jüdische Haus und kassierte insgesamt Mieteinnahmen im siebenstelligen Bereich. 2014 brachte der Verkauf dieser Immobilie der GEW Hamburg, nicht der Jewish Claims Conference, schließlich mehr als zwei Millionen Euro ein.
FDP Die Ausstellung legt Gewicht auf die Haltung der GEW und Max Traegers nach 1945, also die »zweite Schuld«, wie es der Publizist und Schoa-Überlebende Ralph Giordano formulierte. Die GEW kümmerte sich in den 50er-Jahren rührend in einem eigenen Ausschuss für »verdrängte Lehrer« um die von den Alliierten entlassenen Nazi-Lehrkräfte und bot Rechtsschutz. Traeger, der am 9. Mai 1939 das »Silberne Treuedienst Ehrenabzeichen« vom »Führer und Reichskanzler« erhielt (Staatsarchiv Hamburg, Akte Max Traeger), unterrichtete in Hamburg von 1933 bis 1945 in der Schule all das, was in der NS-Zeit eben unterrichtet wurde. Er wurde wie viele andere 1948 »entnazifiziert« und trat in die FDP ein, die im Wahlkampf 1949 schamlos plakatierte: »Schlussstrich drunter«. Max Traeger wurde mit der Gründung der GEW 1948/49 ihr Vorsitzender – mit Unterbrechung – bis zu seinem Tod 1960.
Am 1. November 1945 erklärte er: »Wir gedenken all der Kollegen, die hier und fern von Hamburg im Dienste des Vaterlandes ihr Leben ließen.« Und: »Trauer erfüllt uns, wenn wir an den Weg durch Not und Elend denken, den das deutsche Volk zurücklegen musste.« Nichts zu Auschwitz, Treblinka, Buchenwald und all den Nazi-Verbrechen in den überfallenen Ländern »fern von Hamburg«. Die Ausstellung zeigt, dass Max Traeger vieles gewesen ist, aber keineswegs ein Vorbild für die GEW.
Benjamin Ortmeyer.
Der Autor leitete bis April 2018 die Forschungsstelle NS-Pädagogik an der Goethe-Universität. Die Ausstellung ist noch bis Ende Januar im Studierendenhaus auf dem Campus Bockenheim zu sehen.