Blickt man auf das Autorenfoto zu Anetta Kahanes aktuellem Buch Von Nazis und Forellen, wird man von einer freundlichen, jung gebliebenen Frau gefangen genommen, die mit herzlichen Augen lacht, als sei ihr soeben ein großartiger Witz erzählt worden.
Das Buch beginnt mit dem Jahr 2009 und fasst, nach Jahren sortiert, diverse Artikel bis 2024 zusammen, die die Gründerin der Amadeo Antonio Stiftung geschrieben hat; sie alle befassen sich auf die eine oder andere Weise mit der Weltsicht von Menschen, die in rassistischen, zukunftsängstlichen und/oder antisemitischen Mustern verharren.
Da wird von Menschen erzählt, die sie auf der Straße fragen, »welches Deutschland sie sich wünscht« – und mit der Antwort: »ein Buntes!« nicht zufrieden sind.
Das Gesetz zur Hasskriminalität von 2015 kommt zur Sprache, mit allen Verästelungen, die so etwas mit sich bringt. Über den Stolz der Deutschen darüber, wie sie ihre Sünden bearbeitet hätten, denkt die Autorin nach, darüber, dass sich die Zahl der Straftaten gegen Flüchtlinge erhöhte – nicht jedoch die Berichterstattung darüber und so weiter und so fort.
Es ist ein Buch, das schmerzt – ein Buch, das unmissverständlich dazu auffordert, etwas weiterzudenken als nur bis zur eigenen Nasenspitze.
Weizsäckers Reden, Querfrontler, Brandenburg und die New Yorker U-Bahn, Erinnerungen an das Berliner Scheunenviertel und die Neutralität – so vielfältig die Themen sind: Es vereint sie, was durch das Sieb der Gedanken gepresst herauskommt. Mangelnden Mut zur Freiheit, seelische und politische Blindheit und Angst vor dem »Anderen« attestiert Kahane, und man muss ihr meistens zustimmen. (Nicht immer – aber das hält für mich gerade die Lektüre so spannend. Man denkt gern mit. )
Es ist ein Buch, das schmerzt – ein Buch, das unmissverständlich dazu auffordert, etwas weiterzudenken als nur bis zur eigenen Nasenspitze.
Man ist verblüfft über ihre Fähigkeit, durch die von ihr sehr bewusst journalistisch nüchtern formulierten Sätze zugleich den persönlichen Schmerz spürbar werden zu lassen.
Man ist hingerissen von der Kraft, aus so vielen und so unterschiedlichen Themen – ein Freundinnenpaar während des »Blitz«, ein stacheliger Rasen, ein Satz eines Bildungsforschers – immer ein kleines Pars pro toto auszugraben, sei das eine Moral, oder auch einfach ein Gedanke, der noch weiter und tiefer führt.
Man ist berührt von der Hoffnung, die stets durchschimmert
Man ist berührt von der Hoffnung, die stets durchschimmert, Hoffnung darauf, dass der Mensch doch nicht ganz so kalt sein kann, wie er scheint.
Und man ist beeindruckt von der radikalen Unbedingtheit, mit der Anetta Kahane für eine offene Gesellschaft (deren Vorteile sie auch bildhaft zu belegen weiß) plädiert.
Damit erkennt der Leser, was heute mutig, wer heldenhaft ist. Denn natürlich bringt gerade eine offene Gesellschaft bekanntlich mehr Hass, mehr Gewalt von jenen, die sich zurückgelassen fühlen gegen eben die Verfechter der Offenheit.
Der Kampf darum, dass man die Zukunft umarmen muss, weil man sie nicht draußen halten kann, ist ein unbedingt mutiger – und Anetta Kahane lässt nicht locker.
Was einen – oder jedenfalls mich – aber am allermeisten betroffen gemacht hat, ist die Tatsache, dass man die Reihenfolge der Artikel im Buch ganz einfach austauschen könnte, und keiner würde einen Unterschied bemerken.
Wenn ein Artikel aus dem Jahr 2009 heute noch ganz genauso gültig und aktuell ist wie zu seiner Entstehung; wenn sich ganz offenbar bei der Entwicklung des gewalttätigen Antisemitismus, des Rassismus, der Sehnsucht nach Autokraten und der Engstirnigkeit absolut nichts geändert hat, außer vielleicht, dass all das noch viel schamloser wurde – dann beginnt man zu verstehen, warum Anetta Kahane auf dem Autorenfoto neben dem herzlichen Lachen auch einen Sauerstoffschlauch trägt.
Es muss einem irgendwann die Luft wegbleiben.
Anetta Kahane: »Von Nazis und Forellen«. hentrich & hentrich, Berlin/Leipzig 2024, 254 S., 24,90 €