Neues in Altneuland. Biblisches und Visionäres. Tradition und Innovation, Vergangenheit und Zukunft. Das bietet Israel – auch wenn es, besonders in Deutschland, zum schlechten guten Ton gehört, über Land und Leute im jüdischen Staat zu jammern und zu klagen.
Das Neue in Altneuland bahnt sich im Negev sowie in Galiläa an. Aus diversen Nöten werden unter der Regie des KKL (Keren Kayemeth LeIsrael – Jewish National Fund) diverse Tugenden gemacht. Man findet sie im Projekt »Israel 2040«.
Das ist der Grundgedanke von »Israel 2040«: Die Metropolregion Tel Aviv platzt aus allen Nähten. Der Überlastung wegen. Sie betrifft Individuen ebenso wie die Infrastruktur des Landes. Sie ist zudem ein gewaltiges Sicherheitsrisiko. Ein Volltreffer iranischer, Hisbollah-, Hamas- oder Dschihadraketen reicht aus, um zahlreiche Israelis zu töten und die Metropolregion zumindest zeitweise zu lähmen.
Entzerrung tut not; geografisch, demografisch, ökonomisch und in jeder Hinsicht strategisch.
Auch deshalb tut Entzerrung not; geografisch, demografisch, ökonomisch und in jeder Hinsicht strategisch. Kurzum, es geht nicht »nur« um sinnvolle Wirtschaftsplanung, sondern ums Überleben.
VERGANGENHEIT Die geplante Zukunft für Galiläa und den Negev schlägt einen Bogen zum Tenach, besonders zur Tora, sowie zur allgemeinen, antik-jüdischen Geschichte im Heiligen Land. Dagegen war die Küstenebene, also Israels Kernregion nach der Staatsgründung von 1948, einst, in Tenach- und historischer Zeit, Philisterland.
Zionismus ist israelische Gegenwart und Zukunft, abgeleitet aus der jüdischen Vergangenheit in Eretz Israel. Die nun geplante intensive Entwicklung von Negev und Galiläa ist deshalb zionistische Zukunft, legitimiert durch die Vergangenheit. Diese jüdische Legitimität wird bekanntlich immer wieder von Israelhassern, Ignoranten und UNESCO-Mehrheiten bestritten. Selbst bezüglich Jerusalem. Dieser Fake-Geschichte setzt »Israel 2040« bezogen auf Galiläa und Negev altneue Fakten entgegen.
Die nun geplanten Entwicklungsschwerpunkte Negev und Galiläa sind, so gesehen, eine Rückkehr zu den biblischen Wurzeln des jüdischen Staates. Dass schon die Stammväter Abraham, Isaak und Jakob mit ihren Familien zeitweise im Negev, in und um Beer Sheva, lebten, berichtet das Buch Genesis. Auch in den übrigen Büchern des Tenach, der Hebräischen Bibel, und erst recht in der antiken jüdischen Geschichte findet man zahllose Bezüge zur Stadt und zum Raum Beer Sheva.
ben gurion Israels Gründervater Ben Gurion setzte sich für eine verstärkte Entwicklung des Negev ein. Wegen der historischen Kontinuität ebenso wie wegen der strategischen Rationalität. Seinen Worten folgten seine Taten. Zu wenige seiner Nachfolger und Landsleute folgten seinem guten Beispiel. Gleiches gilt für Galiläa. Für viele, auch Juden, ist Galiläa »Jesusland«: Nazareth, Kana, Kapernaum, See Genezareth, Bergpredigt.
Doch Galiläa war auch für die jüdische Geschichte von großer Bedeutung. Hier regte sich zur Zeitenwende der stärkste Widerstand gegen die römische Besatzung. Nach dem Bar-Kochba-Aufstand (132–135) übersiedelten die talmudischen Weisen von Jawneh in den Galil: nach Uscha und Zippori. Mitte des 8. bis Mitte des 9. Jahrhunderts war Tiberias Zentrum der palästinensischen Geonim. Hier wurde, seinem Willen entsprechend, der unsterbliche Maimonides begraben.
Jenseits der Vergangenheiten könnte »Israel 2040« national und global ein Modellprojekt werden, denn Überbevölkerung, Überteuerung und Überlastung eines Metropol- und Ballungsraumes sind nicht nur ein israelisches Problem.
GEGENWART Durch das Projekt sollen in den kommenden zwei Jahrzehnten bis zu 1,5 Millionen Menschen im Negev sowie in Galiläa angesiedelt werden. Geplant sind grüne Siedlungen mit hoher Lebensqualität, die Ansiedlung von Hightech-Unternehmen, die Hunderttausenden gut bezahlte Arbeitsplätze bieten, hochklassige Forschungs- und Bildungseinrichtungen sowie eine moderne Infrastruktur.
Diese raumplanerische Strukturpolitik ist zugleich innerjüdische und jüdisch-arabische Integrations- und Sozialpolitik. Im Süden des Landes leben viele »orientalische« Juden, in Galiläa die meisten Araber Israels. Gegenüber den aschkenasischen Israelis bestehen bezüglich der Lebensqualität für diese beiden Bevölkerungsgruppen erhebliche Defizite.
Mit Sicherheit werden sie durch das Vorhaben verringert. Einerseits wird also der überbevölkerte und überteuerte Großraum Tel Aviv entlastet und entzerrt, andererseits zwei wenig oder kaum entwickelte Regionen mit niedriger Industrialisierung und relativer Armut aufgewertet. Auch um den Zankapfel jüdischer Neusiedlungen im Westjordanland dürfte weniger gezankt werden, denn Negev und Galiläa gehören zum israelischen Kernland.
Anderthalb Millionen Menschen sollen im Negev und in Galiläa angesiedelt werden.
Bereits in den vergangenen Jahrzehnten setzte das eigentlich wasserarme und wohl gerade deshalb wasserwissenschaftliche und -wirtschaftliche Höchstleistungen vollbringende Israel globale Maßstäbe. Es machte große Teile der Wüste urbar und baute eine der stärksten Hightech-Industrien der Welt auf. »Israel 2040« entwickelt nun diese im 20. Jahrhundert erfolgreiche Konzeption in eine Vision für das 21. Jahrhundert weiter.
Israels Ruf als »Start-up-Nation« wird bisher vor allem durch das wirtschaftliche »Kraftwerk« Tel Aviv geprägt. In dieser Metropolregion sind bislang die meisten Hightech-Unternehmen des Landes und die Mehrzahl der hochqualifizierten Arbeitskräfte angesiedelt. Fast alle Investitionen für Wirtschaft und Forschung fließen in diesen Landesteil. Das ehrgeizige Projekt verfolgt das Ziel, eine vergleichbare wirtschaftliche Prosperität und Lebensqualität auch in den Süden (Negevwüste) und Norden des Landes (Galiläa) zu bringen.
ZUKUNFT Der Plan ist auch eine Antwort auf das erwartete deutliche Bevölkerungswachstum. Experten rechnen damit, dass die Einwohnerschaft Israels von heute neun Millionen auf 13 Millionen im Jahr 2040 anwächst. Diese Annahme ist aus zwei Gründen realistisch. Erstens hat die jüdische Einwohnerschaft Israels den höchsten Geburtenzuwachs der Ersten Welt, und zweitens ist mit anschwellender Einwanderung von Juden in den jüdischen Staat zu rechnen. Warum?
Experten rechnen damit, dass die Einwohnerschaft Israels von heute neun Millionen auf 13 Millionen im Jahr 2040 anwächst.
Unter dem zunehmenden rechten, linken und muslimischen Antisemitismus in Wort und Gewalttat leiden bereits heute nicht nur Deutschlands Juden. Allein aus Frankreich sind in den Jahren 2000 bis 2020 von den seinerzeit rund 500.000 Juden etwa 100.000 nach Israel ausgewandert. Ob der Antisemitismus à la Ex-Labour-Führer Corbyn nur eine kurze Episode britischer Geschichte bleibt, ist abzuwarten.
Zu befürchten sind Fortsetzungen. Der Antizionismus linker US-Demokraten bewirkt links und rechts, ebenfalls in Wort und Tat, antisemitische Überschwappeffekte. Eine teils stark vermehrte Auswanderung von Diasporajuden nach Israel ist demnach realistisch.
auswanderung Vielleicht werden künftig auch Juden aus Deutschland mehr als bisher nach Israel auswandern, wenn jüdische Schulkinder weiter und noch öfter als Juden gemobbt werden, es nicht nur bei einem Anschlag wie in Halle 2019 bleibt und Träger einer Kippa oder eines Davidsterns noch häufiger tätlich angegriffen werden. Egal, ob von Rechts- oder Linksextremisten oder irregeleiteten Muslimen.
Für die Alt-und-Jung-Bewohner Israels werden im »Land of Tomorrow« Hunderttausende Wohnungen und Arbeitsplätze entstehen, dazu Bildungs- und Studienmöglichkeiten, attraktive Freiflächen und Erholungsmöglichkeiten sowie die erforderliche Infrastruktur etwa für Energie, Wasser, Verkehr und Kommunikation.
Im Detail ist geplant, rund 500.000 Israelis in Galiläa und eine Million Israelis im Negev heimisch werden zu lassen. In neu entstehenden industriellen Zentren dieser beiden Regionen will man 750 Start-up-Unternehmen, 25 Standorte für Forschung und Entwicklung und 150 Wachstumsfirmen aus dem In- und Ausland ansiedeln. Diese sollen insgesamt 180.000 hoch qualifizierte Mitarbeiter beschäftigen.
Auch das sind realistische Annahmen, denn bereits seit Jahren strömen große und kleine Unternehmen aus aller Welt (auch aus Deutschland) ins Land. Sie wollen von Israels Wissen und Wirken in der Cyber- und IT-Welt profitieren. Wer heute mit dabei ist, beschleunigt seine Gewinnaussicht von morgen.
spenden Rund um die neuen industriellen und wissenschaftlichen Zentren sollen 300.000 weitere Arbeitsplätze entstehen, zum Beispiel in Schulen, Krankenhäusern, Servicebetrieben, im Einzelhandel und so weiter und so weiter. Insgesamt peilt man rund eine halbe Million neuer Jobs an.
Finanziert werden soll das Projekt durch Spenden, staatliche Zuschüsse und private Investitionen. Die Spenden will JNF-KKL in einer weltweiten Fundraising-Kampagne einwerben.
In jeder Hinsicht geht »Israel 2040« nicht nur Israel und Juden an. Innovative, menschenfreundliche IT, Raumplanung mit Kultur – hier wird’s Ereignis.
Der Autor ist Historiker, Publizist und Hochschullehrer des Jahres 2017. Zuletzt erschien von ihm: »Tacheles: Im Kampf um die Fakten in Politik und Geschichte«.