In einem Interview aus dem Jahre 1983 hatte Jaimy Gordon, auf ihre vielen Pläne angesprochen, noch im reinsten Jiddisch geantwortet: »Ich zol azoy lang leben«. Dann erhielt die Schriftstellerin 2010 den National Book Award für ihren Roman Lord of Misrule. Die wichtigste amerikanische Literaturauszeichnung für das Buch, das in der diese Woche erschienenen überzeugenden deutschen Übersetzung von Ingo Herzke Die Außenseiter heißt, glich einer Sensation.
anspruchsvoll Jaimy Gordon hatte bis dahin als Autorin eher in der zweiten Reihe gestanden. Doch nicht nur überraschte damals, dass eine Außenseiterin den Preis gewann, sondern auch, dass er einem literarisch sehr anspruchsvollem Werk zugesprochen wurde – »easy to like but hard to take«, urteilte der Kritiker der New York Times.
Die Außenseiter passt in keine Kategorisie. Vordergründig handelt es sich um einen Pferderoman. Auf der Billigrennbahn des fiktiven Ortes Indian Mound Downs in West Virginia geht es um kleine Gewinnsummen, um Pferde mit gesundheitlichen Macken, um Menschen mit und ohne Pferdeverstand, um Betrug, Doping und Gewalt. Dieses dem amerikanischen oder deutschen Durchschnittsleser nicht besonders vertraute Milieu wird im Laufe des Romans fast familiär, wirkt als Metapher für die Bedingungen des Lebens.
Im Mittelpunkt des Buchs steht Maggie Koderer, eine junge Journalistin, die mit ihrem Geliebten Tommy Hansel und vier Pferden auf der verkommenen Rennbahn einfällt. Ihr Lieblingstier ist der neunjährige Pelter. Es wird in diesem Roman manche Menschen und Pferde überleben.
In weiteren Hauptrollen begegnen dem Leser der 72-jährige schwarze Pferdezauberer Medicine Ed, Deucey, eine betagte Ein-Pferd-Halterin – beide an der ökonomischen wie existenziellen Borderline – Maggys jüdischer Onkel Two-Tie, ein ehemaliger Kredithai, der zu nächtlichen Pokerrunden einlädt, sowie eine Reihe von Pferden, die auf klangvolle Namen wie »Little Spinoza« oder »Mahdy« hören.
kunststücke Der Roman ist in vier Rennen unterteilt. Jedesmal wird manipuliert, gewinnt für die einen das richtige, für die anderen das falsche Pferd. Die dabei entstehende Spannung beschreibt Gordon ebenso authentisch wie ironisch. Ihr poetisch anspruchsvoller Stil ist von literarischen Kunststücken geprägt: Da wechselt etwa bei der Figur Tommy Hansel die Erzählperspektive abrupt von der dritten in die zweite Person, wobei das »Du« der zweiten Person ein »Ich« der ersten voraussetzt, das aber nicht enthüllt wird.
Überfallartige Übertreibungen schlagen wie Blitze in die Erzählung: Alice Nuzum soll »Little Spinoza« reiten, das Mädchen, das »keinem anderen Menschen ähnlich sah, nicht hässlich, aber wie zwischen Schlamm und Flusswasser geboren, man musste einfach glauben, dass das Schicksal schon seine formende Hand auf sie gelegt hatte und zufrieden war. Oder es nicht schlimmer machen konnte.« Dann folgt eine überraschende Passage über das Jüdische der Familie von Maggy und Two-Tie, dazwischen erotische Szenen von hoher literarischer Intensität, Ganovenslang, und nicht nur alltagstaugliche Reflexionen über den Lauf der Welt.
Die 1944 geborene Autorin ist Professorin für Englisch und Literatur an der Western Michigan University. In Die Außenseiter zieht sie viele literarische Register, ohne dass ihr der Roman aus dem Ruder läuft. Am Ende denkt man weniger an die Pferde als an die Bedingungen des Lebens der so überzeugend aus dem Grau der Masse gemeißelten Personen, weniger an die spannenden Rennen und Manipulationen als an die sprachliche Virtuosität und die unter einer glänzenden Oberfläche entstehende Tiefe.
Jaimy Gordon: »Die Außenseiter«. Übersetzt von Ingo Herzke. Aufbau, Berlin 2012, 328 S., 19,99 €