Glosse

Die Wahlparty

Adriana Altaras Foto: picture alliance / Flashpic

Ich war bei der Wahlparty. Ich werde jetzt nicht schreiben, bei welcher Partei, es war jedenfalls eine, die nicht gewonnen hat. Als ich kam – fein, in Pumps und weißer Bluse –, dachte ich, mich in der Adresse vertan zu haben. Es war so still. So erschreckend still.

Im Vorraum aus Glas und Holz eine Menschenmasse. Ein paar Gläser klirrten, sonst war nichts zu hören. Die Menschen waren nicht tot, nur hatte die erste Hochrechnung schon stattgefunden, und das Universum hatte sich aufgetan.

Der Liveticker gab die Wahlprognose bekannt, und ich las 16,5 Prozent AfD. Zweitstärkste Partei. Das las ich noch. Danach wurde auch ich still, so still wie alle anderen auch.

Masochist oder Romantiker

Ich hatte es gewusst, wir alle hatten es gewusst. Aber es zu lesen und es vom Nachrichtensprecher zu hören, war dramatischer. Es war Realität geworden.

Ich nahm mir ein Bier. Man muss schon Masochist sein, um auf so eine Party zu gehen. Oder Romantiker. Träumer. Idealist. Ach, was weiß ich. Das Bier war warm.

Ich ging im Kopf das Wahlprogramm der AfD durch.

Remigration.

Musste ich jetzt nach Zagreb zurück? Die einzige Sprache, die ich nicht gut beherrsche, ist Serbokroatisch. Ich kenne niemanden in der Stadt, in der ich vor über 60 Jahren geboren wurde.

Kaff bei Münster

Erst waren meine Eltern vor den kroatischen Faschisten geflohen, diese hatten sie dann doch erwischt und ins KZ auf der Insel Rab gesteckt. Nach dem Krieg hatten sie sich mit Begeisterung am Wiederaufbau des sozialistischen Staates beteiligt und Marschall Tito unterstützt, bis es zu »Säuberungen« kam und man die Juden aus der Partei schmiss. Sie konnten fliehen und so dem anderen KZ auf der Insel Goli Otok entkommen.

So, und dahin muss ich zurück?

Müssen dann meine Söhne zurück ins Münsterland, weil ihr Vater aus Greven kommt, einem Kaff bei Münster?

Wahrscheinlich ist mein Schicksal noch gnädig, denn sollte die Remigration greifen, wird es viele, viele geben, die – zurück in ihren Heimatländern – verdursten, verhungern, vergewaltigt oder gar getötet werden. Sie werden inhaftiert oder gefoltert. Deshalb sind sie ja geflohen. Um zu überleben. Freiwillig sein Land verlassen? Wer will das schon?

Wölfe und der Euro

Ich stelle mir AfDler Müller vor. Seine Eltern kommen zwar aus Polen oder Schlesien oder Siebenbürgen, aber das ist schon so lange her.

Der AfD-Müller hat ja auch Probleme. Zum Beispiel mit dem Wassermangel. Er dreht durch, weil er seinen Rasen nicht sprengen kann am Samstagmittag. Das hat nichts mit dem Klimawandel zu tun, dafür aber mit den Veganern. Und dann sind ja auch noch die Wölfe im Dorf, und die kommen aus Tschechien. Es sind nicht einmal deutsche Wölfe.

Die Griechen sollen schon mal den Euro wieder mitnehmen, die Türken ihre Kinder und die Juden den Holocaust. Bleiben dürfen Vergissmeinnicht, Helene Fischer (sie ist eigentlich Russin, aber geschenkt) und Harzer Käse.

So ein AfD-Müller hat es richtig schwer.

Ohrenstöpsel bei Verdi

Wenn wir alle schon weg müssen, dann nehmen wir auch alles mit.

Also: keine Pizza mehr oder Pasta für AfDler. Kein Tzatziki und kein Kebap. Schluss. Aus.

Dafür gibt es für Giorgia Meloni kein Bier mehr und auf keinen Fall Lübecker Marzipan. Sie darf nicht mehr Beethoven hören, dafür müssen alle anderen Europäer bei Verdi Ohrenstöpsel tragen.

Sex dürfen nur noch die Franzosen haben – und zwar nur mit anderen Franzosen. Sonst nicht. Jordan Bardella, der aus einer Einwandererfamilie aus Italien und Algerien entstammt, wird es hart haben. Denn mit ihm darf keine mehr … und schon gar nicht Mademoiselle Le Pen.

Flora und Fauna

Nach Tirol darf auch keiner mehr. Ja, meine lieben Deutschen, das wird bitter für euch. Dafür dürfen die Wiener nicht mehr nach Berlin, und keiner von all denen darf mehr Tiramisu essen, nur noch Matteo Salvini. Er muss allein und täglich mehrere Kilo Profiterols essen und Panna Cotta.

Es werden hohe Mauern gezogen werden, damit Schmetterlinge nicht von Nord nach Süd und Fledermäuse nicht von Tag nach Nacht emigrieren können. Jedem seine Flora und Fauna.

Okay, okay. Ich höre auf. Es ist ja alles nicht zum Lachen. Ich weiß, dass die Migration nicht überwältigend gut funktioniert hat. Fehler und Ressentiments allerorten. Aber die Konsequenzen, die die AfD gezogen hat, sind unterirdisch, und ich werde sie mit meinem Spott verfolgen, wo ich nur kann. Jetzt erst recht. Ich behalte meinen Parmesan, aber meine scharfe Zunge wird nicht ruhen.

Freiburg

Kurde aus Syrien eröffnet israelisches Restaurant

Der Besitzer wird schon länger bedroht. Er lässt sich jedoch nicht abschrecken

von Christian Böhmer  16.01.2025

Malerei

First Ladys der Abstraktion

Das Museum Reinhard Ernst in Wiesbaden zeigt farbenfrohe Bilder jüdischer Künstlerinnen

von Dorothee Baer-Bogenschütz  15.01.2025

Frankreich

Iris Knobloch bleibt Präsidentin des Filmfestivals Cannes

Sie ist die erste Frau an der Spitze des Festivals

 15.01.2025

London

Autor Neil Gaiman weist Vorwürfe sexueller Übergriffe zurück

Im »New York Magazine« werfen mehrere Frauen dem britischen Fantasy- und Science-Fiction-Autor entsprechende Taten vor. Nun äußert sich der 64-Jährige

 15.01.2025

Literatur

Die Heimatsuchende

Vor 50 Jahren starb Mascha Kaléko. Ihre Dichtung bleibt erschreckend aktuell

von Nicole Dreyfus  15.01.2025

TV-Tipp

Furchtlose Kunstliebhaber in der NS-Zeit

Während des Nationalsozialismus sollten »entartete« Kunstwerke beseitigt werden, aber einige Mutige setzten zur Rettung der Werke ihr Leben aufs Spiel. Eine 3sat-Dokumentation zeichnet einige Fälle nach

von Wolfgang Wittenburg  15.01.2025

Konzerte

Yasmin Levy in München und Zürich

Die israelisch-türkische Künstlerin aus einer sephardischen Familie singt auf Ladino, bzw. Judäo-Spanisch, einer fast vergessenen Sprache

von Imanuel Marcus  15.01.2025

Leipzig

»War is over« im Capa-Haus

Das Capa-Haus war nach jahrzehntelangem Verfall durch eine bürgerschaftliche Initiative wiederentdeckt und saniert worden

 14.01.2025

Debatte

»Zur freien Rede gehört auch, die Argumente zu hören, die man für falsch hält«

In einem Meinungsstück in der »Welt« machte Elon Musk Wahlwerbung für die AfD. Jetzt meldet sich der Axel-Springer-Chef Mathias Döpfner zu Wort

von Anna Ringle  13.01.2025