Nicht wenige können von sich behaupten, im Alter von gerade einmal 27 Jahren bereits Rechtsgeschichte geschrieben zu haben. Im Fall von Benjamin Ferencz trifft das durchaus zu.
Denn 1947 wurde er der jüngste Ankläger im Nürnberger Einsatzgruppen-Prozess. »Dafür brauchte man nicht nur die richtigen Skills, sondern ebenfalls sehr viel Autorität«, betont Dan Diner. »Ferner sollte die Frage gestellt werden, inwieweit es wirklich ein Zufall war, dass aus dem einfachen Soldaten Ferencz ein Chefankläger werden konnte«, so der Historiker und ehemalige Direktor des Simon-Dubnow-Instituts für jüdische Geschichte und Kultur in Leipzig. Damit war man auch schon mittendrin in der »Make Law Not War« betitelten Gesprächsrunde, ausgerichtet von der Sächsischen Akademie der Wissenschaften.
Zum einen beleuchteten darin Constantin Goschler, Marcus Böick und Julia Reus, allesamt Herausgeber der Quellenedition Kriegsverbrechen, Restitution, Prävention – Aus dem Vorlass von Benjamin B. Ferencz, deren Vorwort von Dan Diner stammt, die prägenden Momente im Leben des 1920 in Siebenbürgen Geborenen. Zum anderen versuchte man auszuloten, was an seinem Werdegang und Engagement als Jurist spezifisch »jüdisch« war.
LEITZ-ORDNER Drei wesentliche, zeitlich aufeinanderfolgende Stationen identifiziert dabei der Restitutions- und Erinnerungskulturexperte Goschler, und zwar die Beteiligung von Ferencz an der Verfolgung deutscher Kriegsverbrechen, seine Beschäftigung mit Fragen der Rückerstattung von geraubtem jüdischen Eigentum sowie Überlegungen, welchen Beitrag das Völkerrecht leisten kann, um Kriege in der Zukunft zu verhindern. »Kern des Ferencz-Mythos war zweifellos seine Zeit als Ankläger in Nürnberg.«
Eine entscheidende Rolle spielten dabei einige dicke Leitz-Ordner, die Ferencz’ Mitarbeiter in den Trümmern von Regierungsgebäuden entdeckt hatten. Darin befanden sich detaillierte Auflistungen der von den Einsatzgruppen verübten Morde an Hunderttausenden von Juden, aber auch an Sinti und Roma. Sie bildeten so etwas wie die Basis für den Prozess gegen die Täter. »Ursprünglich war dieser nicht vorgesehen«, sagt Julia Reus. »Auch waren die Verbrechen noch nicht in ihrem Ausmaß bekannt«, so die wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Zeitgeschichte der Ruhr-Universität Bochum. Jetzt aber hatte man konkrete Zahlen und die Namen der Täter.
Ferencz steht für den Übergang zu einem menschenrechtlich zentrierten Völkerrecht.
Und Ferencz setzte sich für ihre Verurteilung ein. Dass nur 24 Verantwortliche in dem Einsatzgruppen-Prozess vor Gericht standen, hat einen banalen Grund. »Für mehr gab es in dem Verhandlungssaal einfach keinen Platz.« Zugleich sollte der Einsatzgruppen-Prozess der einzige in Nürnberg sein, in dem der Massenmord an Juden im Mittelpunkt stand. Ferencz benutzte damals bereits den vergleichsweise jungen Begriff »Genozid«, der erst 1948 zum Straftatbestand im Völkerstrafrecht werden sollte. »Auch sprach er von einer zusammenhängenden Opfergruppe und nicht einfach nur von jüdischen Staatsbürgern der Sowjetunion oder eines anderen Landes«, ergänzt Reus.
Auch seine Herangehensweise ist wichtig. »Ferencz ist Jurist, und für ihn werden Konflikte über das Recht gelöst.« Dazu gehört auch eine Nachvollziehbarkeit der Urteile, weshalb er alle Dokumente dazu sofort in eine Edition überführen ließ.
Migrationserfahrung sowie die Sozialisation in den Vereinigten Staaten sind ebenfalls wichtig zum Verständnis des Handelns und der Motive – schließlich wuchs Ferencz in sehr einfachen Verhältnissen auf und schaffte dennoch den Sprung an die Harvard Law School, eine Institution, die Juden damals nicht unbedingt mit offenen Armen aufnahm, wie Dan Diner anmerkt. Zugleich ist seine Karrierewahl nicht unerheblich. »Jüdische Emanzipation war immer auch eine Rechtsemanzipation.«
Es gibt deshalb einen besonderen Bezug zu Fragen des Rechts, weshalb Juden häufig in der Jurisprudenz in Erscheinung treten. »Es wird stets juristisch argumentiert. Das lässt sich nicht allein mit der Vertrautheit von Juden mit dem traditionellen Text erklären, sondern ebenfalls mit einer Emanzipationsstrategie.«
genozid-konvention Ferencz steht zudem exemplarisch für den Übergang von einem staatszentrierten hin zu einem menschenrechtlich erweiterten Völkerrecht, ein wichtiger Prozess hin zu einer »Verrechtlichung der Welt«, wie es die Moderatorin Juliane Victor auf den Punkt bringt. Diner verweist dabei auf ein von ihm als ikonografisch bezeichnetes Datum als Einschnitt.
»1948 war das Jahr der Deklaration der Menschenrechte, wodurch das Individuum stärker in das Völkerrecht eintritt. Ein weiteres konstitutives Ereignis sollte die im selben Jahr verabschiedete Genozid-Konvention sein. Und dann gibt es ein Ereignis, das irgendwie außerhalb davon steht, und zwar die Gründung Israels.«
All das blieb nicht ohne Einfluss auf Ferencz. Seine Beschäftigung mit Fragen der Restitution, der Prävention von Kriegen sowie sein Engagement für die Einrichtung eines Internationalen Strafgerichtshofs ließen ihn dann letztendlich zu einer Symbolfigur des Völkerrechts avancieren