Herr Lanz, Sie haben dem 70. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz in Ihren vergangenen Sendungen mehrere Schwerpunkte gewidmet. Es ist bekannt, dass die Einschaltquoten bei diesem Thema stark sinken. Weshalb haben Sie sich entschieden, trotzdem fast jeden Abend Zeitzeugengespräche zu senden?
Unsere Erfahrung mit Einschaltquoten ist eine andere. Die Zuschauer meiner Sendung schätzen diese intensiven Gespräche, auch wenn mitunter schwer zu ertragen ist, was sie da hören. Wir laden schon seit Langem Zeitzeugen in die Sendung ein und werden das auch weiterhin tun – nicht nur, weil wir alle ahnen, dass es nicht mehr lange möglich sein wird. Es ist bewegend, diese letzten Zeugen zu hören. Und sie berühren die Menschen meiner Meinung nach vor allem deshalb, weil es denen, die bereit sind, ihre Geschichte noch einmal zu erzählen, nicht mehr in erster Linie um die Aufarbeitung von Schuld oder gar Sühne geht.
Sondern?
Mein Eindruck ist: Es geht ihnen um Versöhnung. Sie reichen uns die Hand. Zu hören, wie sie ihr Leben in den 70 Jahren danach gemeistert haben, wie sie es geschafft haben, nicht daran zu zerbrechen, ist bewegend. Davon können wir alle ungeheuer viel lernen. Es ist nicht nur eine Lektion in Überleben, es ist eine Lektion in Leben.
Warum liegen Ihnen die Gespräche mit Zeitzeugen so sehr am Herzen?
Die Antwort darauf ist einerseits sehr komplex, andererseits aber sehr, sehr einfach: Im Geschichtsunterricht waren die Fotos all dieser Menschen immer nur schwarz-weiß – und damit sehr weit weg, wie aus einer längst vergangenen Zeit. Doch wenn im Studio jemand neben einem sitzt, der auf einmal seinen Unterarm freilegt und eine tätowierte Nummer zeigt, dann wird aus Schwarz-Weiß plötzlich Farbe. Will heißen: Dann wird das alles plötzlich sehr lebendig, plötzlich ist es ganz, ganz nahe. Ich bin für diese Art von Geschichtsunterricht sehr dankbar.
Wie fallen die Reaktion der Zuschauer aus?
Wenn ein Holocaust-Überlebender im Studio seine Geschichte erzählt, dann entsteht immer eine ganz besondere Atmosphäre. Oft möchten Zuschauer aus dem Publikum, vor allem junge Menschen, nach der Sendung noch mit ihm ins Gespräch kommen. Und es gehen auffällig viele Nachfragen beim ZDF und der Redaktion ein, beispielsweise zu Büchern, die es über viele dieser Zeitzeugen gibt.
Gibt es auch kritische Rückmeldungen?
Nur in einem Punkt: hinsichtlich der Gästezusammensetzung. Kann man eine Auschwitz-Überlebende, den Enkel des Lagerkommandanten und jemanden, der eher auf dem Medien-Boulevard zu Hause ist, gemeinsam in eine Sendung einladen? Wir sagen den Leuten dann, ja, man kann, denn genau so ist auch das Leben. Interessanterweise haben die Zeitzeugen selbst damit meistens überhaupt kein Problem.
Die Fragen an den TV-Moderator stellte Philipp Peyman Engel.