Sasha Nazar steht auf einem Gerüst im größten Raum der baufälligen Jakub Glanzer Synagoge im ukrainischen Lwiw, dem früheren Lemberg. Er befestigt gerade ein neu gegossenes Stuckelement an der zwölf Meter hohen Decke und hofft, dass der eindrucksvolle Hauptraum noch rechtzeitig zur nächsten Schabbat-Feier fertig wird.
Nazar und seine Mitstreiter opfern seit Jahren ihre Freizeit, um eine der letzten von ehemals 40 Synagogen Lwiws zu erhalten. Arte strahlt die Reportage von Lennart Banholzer »Re: Der Synagogenretter: Jüdisches Erbe in der Ukraine« am 9. November um 19.40 Uhr aus.
VERFALL Nur noch etwa tausend Juden wohnen heute in der westukrainischen Stadt, erzählt Banholzer. 700.000 Einwohner lebten dort einst; mehr als 100.000 jüdische Bewohner haben die Deutschen während des Holocaust umgebracht. In der Sowjetzeit unterdrückte der Staat alle Religionen. Viele Juden emigrierten, und die Synagogen wurden entweder zerstört oder dem Verfall überlassen.
Synagogenretter Nazar ist Sozialarbeiter der jüdischen Stiftung Hesed. Die Wohltätigkeitsorganisation kümmert sich vor allem um arme jüdische Menschen, erklärt er. Eine soziale Absicherung gebe es in der Ukraine kaum. Nazar und seine Mitstreiter sind Gemeindemitglieder der Tsori Gilod Synagoge. Deren Gebäude war zweckentfremdet worden und diente den Nazis ab 1941 als Pferdestall.
Nazar und seine Freunde kämpfen dafür, dass die ehemals reichhaltige jüdische Kultur wieder aufersteht.
Es sei heute die einzige funktionierende Synagoge, erzählt der Rabbiner Mordechai Bald: »Jeder, der etwas braucht, kommt hierher. Für Hochzeiten, Beschneidungen, Beerdigungen und alles dazwischen geht man hierhin«.
Dafür reiche aber ein Gebäude aus, meint Rabbiner Bald weiter. Die Gemeindemitglieder seien arm und brauchten die Spenden für ihren Eigenbedarf. Er kam vor 30 Jahren aus den USA zurück, erzählt er weiter. Ein wohlhabender Förderer aus Manhattan habe ihm geholfen, die Synagoge in Lwiw wieder aufzubauen.
RETTUNG Nazar und seine Freunde kämpfen dafür, dass die ehemals reichhaltige jüdische Kultur wieder aufersteht, so Banholzer. Doch finanzielle Unterstützung für die Rettung der Jakub Glanzer Synagoge hätten sie nicht bekommen, nicht einmal von der jüdischen Gemeinde, ergänzt der Reporter.
Einer von Nazars treuesten Mitstreitern ist Aljosha Krasilo. Auch er will das jüdische Leben in Lwiw wieder sichtbar machen: »Ich bin gläubig, gehöre zu dieser Synagoge und muss hier einfach helfen. Ich folge damit meinem Herzen«, meint Krasilo.
Nach der Fertigstellung sollen im großen Raum wieder Festivals stattfinden, Klezmer-Konzerte oder Kunstausstellungen. 200 Leute würden sicher hinein passen, schätzt Nazar.
MITTELPUNKT Auch Nazars 98-jähriger Großvater Borys Dorfmann gehört zu den Synagogenrettern. Er ist einer der letzten jiddischen Muttersprachler, die den Holocaust überlebt und das Gemeindeleben in der Synagoge noch gekannt haben, erzählt der Autor. Dorfmann sammelt Spenden für das Projekt und ist gefragter Mittelpunkt von Flohmärkten und anderen Veranstaltungen.
Obwohl sie eigentlich alle Hände voll zu tun haben, beteiligen sich die Synagogenretter auch an einer landesweiten Spendenaktion zugunsten jüdischer Kinder, zeigt der Reporter. Auf dem Platz vor der Synagoge bieten sie einen Workshop an, um auf das Renovierungsprojekt aufmerksam machen, wie sie sagen.
»Wir sind jetzt ein Vorbild für die Anderen«, appelliert Krasilo zum Schluss. »Wir müssen das machen, damit uns die Menschen sehen und selbst etwas auf die Beine stellen. Und sich um die Gebäude kümmern, die für sie wichtig sind.«
NDR-Reporter Banholzer richtet am Beispiel der engagierten Synagogenretter ein Schlaglicht auf neue Entwicklungen im Osten Europas. Er legt eine beeindruckende Reportage zu einem Thema vor, das nur selten im Mittelpunkt steht.
»Re: Der Synagogenretter: Jüdisches Erbe in der Ukraine« läuft am 9. November um 19.40 Uhr bei Arte.