Geschichte

Die Schoa in Spielfilmen und die Frage »Darf das so?«

Ralph Fiennes als Amon Göth und Embeth Davidtz (2. v.l.) als Helene Hirsch in »Schindlers Liste« Foto: picture alliance/United Archives

Bester internationaler Film bei den Oscars, Hunderttausende Kinobesucher hierzulande und ein zum Teil verstörtes Publikum, in dem viele danach Redebedarf haben: »The Zone of Interest« sorgt derzeit für Furore. »Wenn man nur einen Film in diesem Jahr sieht, dann muss es »Zone of Interest« sein«, meinte im Deutschlandfunk Kultur der Kritiker Patrick Wellinski.

Das Werk von Jonathan Glazer mit Christian Friedel und Sandra Hüller in den Hauptrollen wird als »der vielleicht beste Holocaust-Film, der je gedreht wurde« (Mathias Döpfner/»Welt«) bezeichnet. Andere werfen dem Film aber auch Verharmlosung von Antisemitismus und zu viel Täterperspektive vor.

Die Verallgemeinerung der Schoa auf Entmenschlichung kaschiere das Spezifische des Judenhasses. Ausgemacht wird ein Trend, dass die Perspektive der Juden in den letzten Jahren aus großen Spielfilmen über die Nazi-Zeit verschwunden sei - zum Beispiel in »Jojo Rabbit« (2019), »Die Bücherdiebin« (2013), »Der Junge im gestreiften Pyjama« (2008) und erst recht natürlich im deutschen Hitler-Film »Der Untergang« (2004).

Polarisierung »keine Premiere«

Als Ausnahme gelten etwa der ungarische Oscar-Gewinner »Son of Saul« (2015) oder Quentin Tarantinos Kriegsfilm »Inglourious Basterds« (2009) über jüdische Rache an Hitler und Nazi-Oberen.

Dass ein Film über die Nazi-Zeit polarisiert, wie es »Zone of Interest« tut, ist keine Premiere. Vor 25 Jahren gewann die italienische KZ-Farce »Das Leben ist schön« bei den Oscars. 2002 fanden Kritiker Roman Polanskis Filmdrama »Der Pianist« über den Warschauer-Ghetto-Überlebenden Władysław Szpilman zu ästhetisierend.

Gründe genug, um an ein paar als epochal geltende Spielfilme der Holocaust-Aufarbeitung zu erinnern - und vor allem daran, was an ihnen kritisiert wird:

»The Zone of Interest« (2023):

Der Film spielt in Auschwitz am Rande des Vernichtungslagers. Gezeigt wird in tagebuchartigen Szenerien und in einer an Reality-TV erinnernden »Big Brother«-Situation der Alltag der Familie von Kommandant Rudolf Höß. Haushalt, Garten, Badeausflüge, Fußballbericht im Radio, Besuch von der Schwiegermutter, Gutenachtgeschichten für die Kinder, aber auch judenfeindlicher Small Talk, kriselnde Ehe, Stress mit Angestellten. Nur eine Mauer trennt das Anwesen vom Massenmord.

Ungewöhnlichen Soundeffekte (Schreie, Hundegebell) erzeugen eine düstere Atmosphäre. Der Film ist mit seinen Auslassungen und dem Nicht-Zeigen von Opfern voraussetzungsreich. Er funktioniert nur, solange das Wissen um die Berichte von Überlebenden und die dokumentarischen Bilder vom Holocaust im Gedächtnis existieren.

Am Anfang ist die Leinwand lange pechschwarz, später kommen beim Baden im Fluss Menschenknochen zum Vorschein und Höß (der zur Filmfigur gewordene Hannah-Arendt-Gedanke von der »Banalität des Bösen«) muss ein bisschen würgen. Die Erkenntnis: Die Nazis waren keine Monster, sondern Leute wie du und ich, Abgestumpfte halt, die auch nur ihren Alltag bewältigen wollten. Reicht das, um den staatlich organisierten Völkermord an den europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland zu begreifen?

»Das Leben ist schön« (1999):

Der Film »La vita e bella« gewann bei den Oscars als beste nicht-englischsprachige Produktion und für die Musik. Zum ersten Mal in der Oscar-Geschichte wurde zudem mit Roberto Benigni ein Schauspieler aus einem fremdsprachigen Film zum besten Darsteller gekürt.

Benigni spielt unter eigener Regie den italienischen Juden Guido, der im KZ seinen kleinen Sohn Giosué mit immer neuen komödiantischen Einfällen vor dem Grauen zu schützen versucht. Der Lageraufenthalt ist demnach Teil eines großen Spiels - der Gewinner bekomme am Ende einen echten Panzer. Selbst als der Vater zur Erschießung abgeführt wird, spielt er für seinen Sohn die Rolle weiter.

Vor den Oscars hatte es auch Kritik gegeben. Darf man das: Komik und KZ verbinden? »Der Spiegel« meinte: »Nicht Guidos Lügenspiel wirkt absurd, sondern die angedeutete Wirklichkeit, die zugleich lächerlichen und gefährlichen KZ-Aufseher, das perfide Wegsehen des KZ-Arztes Dr. Lessing (eindrucksvoll gespielt von Horst Buchholz).«

Auch in Israel wurde der Film ausgezeichnet. Und Hollywood lag Benigni zu Füßen. Als er bei der Oscar-Gala nach dem Preis für den besten fremdsprachigen Film (heute bester internationaler Film) auch als bester Hauptdarsteller vor das Mikrofon treten durfte, nannte er das »einen furchtbaren Fehler«. »Ich habe schon mein ganzes Englisch aufgebraucht.«

»Schindlers Liste« (1993):

Der mit sieben Oscars ausgezeichnete Spielfilm von Steven Spielberg enthält extrem explizite, aber eben gestellte Bilder des Leids.

Die Hauptfigur ist der Deutsche Oskar Schindler, NSDAP-Mitglied und Lebemann (dargestellt von Liam Neeson). Er ließ im Zweiten Weltkrieg rund 1200 Jüdinnen und Juden in seiner Emaille- und Munitionsfabrik für sich arbeiten - sie standen auf einer Liste, damit sie nicht nach Auschwitz gebracht wurden.

Spielberg wurde vorgeworfen, ausgerechnet eine Story mit Happy End aus der Nazi-Zeit zu inszenieren. Der französische Regisseur und Dokumentarfilmer Claude Lanzmann (»Shoah«, 1985) warf Spielberg vor, die Gräuel der Nazis mit seiner Re-Inszenierung fürs Blockbuster-Kino zu verharmlosen.

Die US-Serie »Holocaust« (1979):

Das Wort »Holocaust« war bis Ende der 70er der deutschen Bevölkerung unbekannt. Erst mit der US-Serie dieses Namens etablierte sich der Begriff. Und erst mit »Holocaust« wurde der Völkermord an den Juden für Millionen Deutsche konkret. Viele Ältere, die noch selbst die Nazi-Zeit erlebt hatten, vergossen damals Tränen - über die fiktive Familie Weiss, unter anderem mit Schauspielerin Meryl Streep.

Der Holocaust-Überlebende und Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel bezeichnete den TV-Mehrteiler jedoch als Seifenoper und »Beleidigung für die, die umkamen, und für die, die überlebten«. In Deutschland ereiferten sich Rechte über die »Hetzserie«, Linke lehnten das fürs US-Publikum gemachte »kommerzielle Hollywood-Melodram« ab.

»Holocaust« verdichtete das Leid von Millionen in Einzelschicksalen. Mit den Hauptfiguren konnte man sich identifizieren. Gleichzeitig wurde in einem anderen Handlungsstrang die Karriere eines Nazis nachgezeichnet. Das machte es Zuschauern, die selbst noch die Nazi-Zeit erlebt hatten, unmöglich, sich auch zum Opfer zu stilisieren. Die Frage, wo man selbst gestanden hatte, war unausweichlich.

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