Aplomb muss sein. »Albert dachte: Wer ist diese junge Emma Goldmann, diese toffte Schickse aus dem Brooklyner Schtetl im handgenähten Kleid, deren Jiddisch im komischen Kontrast zu einer Rhetorik steht, deren britische Eleganz sie aus den Lichtspielhäusern bezieht? Rose dachte: Wer ist dieser blonde, germanische, professoral attraktive Bursche mit Hosenträgern und Brille mit Goldfassung – und kann das wirklich ein Jude sein? Es war zugegebenermaßen eine Screwball-Komödie, aber keine linke Bazille unter den nach Hollywood ausgebüxten jüdischen Drehbuchschreibern hätte je gewagt, so etwas zu Papier zu bringen.«
kommunisten Diese Passage findet sich gleich zu Beginn in Jonathan Lethems voluminösem und in den USA mit zahlreichen Kritikerlorbeeren bedachten Roman Der Garten der Dissidenten, der jetzt in deutscher Übersetzung erschienen ist. Der Leser aber denkt: Wie kann es sein, dass die beiden frisch verliebten Rose und Albert Zimmer in derlei elaborierten Sätzen und Nebensätzen fühlen und beobachten?
Der Verweis auf Hollywood und das angebliche Nicht-Wagen der dortigen Drehbuchschreiber kommt nicht von ungefähr: Jonathan Lethem, 1964 in New York geboren und inzwischen für ein paar Stipendiums-Monate in Berlin lebend, ist ein veritabler Literaturstar und Autor preisgekrönter, genialisch verrückter Romane. Weshalb also sollte er nicht wie Woody Allen die allwissende Erzähler-Stimme aus dem Off geben, um eine Geschichte zu erzählen, die in den 50er-Jahren der McCarthy-Zeit beginnt und in der Gegenwart der »Occupy«-Bewegung endet?
Immerhin hat Lethem nach dem rasanten Auftakt noch so manches weitere Ass im Ärmel. Die Ehe zwischen Rose und Albert scheitert trotz der gemeinsamen Tochter Miriam und des Familienglaubens an den Kommunismus. Albert setzt sich, desillusioniert vom American Way of Life, in die Ulbricht-DDR ab, und Ex-Frau Rose bringt das Kunststück fertig, aus der KP zu fliegen, noch bevor sie nach Chrustschows Parteitagsenthüllungen des Jahre 1956 den Genossen ohnehin Adieu gesagt hätte. Die stalinistischen Partei-Puritaner werfen Rose nämlich vor, mit einem schwarzen Polizisten Sex gehabt zu haben und, statt einsichtig zu sein, mit dieser Geschichte auch noch aufzutrumpfen und damit ihre Kampfgefährten doppelt blass aussehen zu lassen.
In der Tat eine witzige Pointe: Die sinnliche Überwindung von Rassenschranken, dazu noch in der jüdisch-afroamerikanischen Minderheitenkombination, wird von eifersüchtigen Apparatschiks unter dem Vorwand bestraft, die geschiedene Rose habe sich von einem »Vertreter der Macht« korrumpieren lassen und sei damit ein denkbar schlechtes Beispiel für gelebte sozialistische Moral.
hippies Nun ist allerdings auch diese Rose eine große Überwacherin und Bestraferin vor dem Herrn, dessen Existenz sie als gläubige Atheistin freilich leugnet. Obwohl vom Parteikommunismus längst desillusioniert und auch neuen Männerbekanntschaften nie abgeneigt, ist die hypervitale Frau für ihre heranwachsende Tochter Miriam eher eine autoritär-tyrannische Last. »Rose war weniger eine Mutter als ein eingebildeter und eifersüchtiger Liebhaber bei Shakespeare, ein Herzog, dessen Phantasie seinen Rivalen Beständigkeit gibt.«
Kein Wunder, dass sich Miriam bald aus diesem unwirtlichen Dissidenten-Garten verabschiedet und ihr Heil sucht in der – auf subtilere Weise ähnlich streng regulierten – Hippiewelt und in der Beziehung mit einem Folksänger. All das garantiert jedoch ebenso wenig ein ausbalanciertes Leben wie die briefliche Kontaktaufnahme mit dem Vater in Dresden, der wortreich seine kommunistischen Illusionen verteidigt.
Aus diesen beschädigten Lebensentwürfen hätte tatsächlich der große Roman werden können, der Jonathan Lethem wahrscheinlich vorgeschwebt hatte. In einem jüngst in der Zeitung Die Welt erschienenen Interview sagte er den bemerkenswerten Satz: »Vielleicht ist das der Preis einer dissidenten Identität: Man wird zum Polizisten anderer Dissidenten.« Miriam jedenfalls zieht es danach ins Nicaragua des Anti-Somoza-Kampfes, wo sie schließlich umkommt, davor aber noch Zeit findet, einen Brief zu schreiben, der um das Schicksal ihres achtjährigen Sohns Sergius kreist: »Egal was passiert, sorg dafür, dass er nicht meiner Mutter in die Hände fällt.«
geschwätzig Spätestens bei diesem schockierend ruhig-präzisen Satz wird offenbar, was man als Leser die ganze Zeit so bitter vermisst hatte: emotionale Empathie und Konzentration aufs Wesentliche jenseits einer geschwätzigen, in die eigene Voltendreherei verliebten Literatursprache. Denn so eloquent Jonathan Lethem über seine Figuren und Szenen hinweg tänzelt und noch das peripherste Geschehen durch den Fleischwolf eines permanenten, unangebrachten Ironisierens dreht: Sein Roman bleibt ein amorpher Wortbrei ohne Tiefendimension.
Was nun lediglich ärgerlich wäre – und schade ob des faszinierenden Themas –, würde es nicht auch Fragen nach der Bewertungskompetenz einer Lethem allzu eilig lobenden Literaturkritik aufwerfen. Der Garten der Dissidenten ist vielfach gepriesen worden. Dabei wurde das Thema schon besser verarbeitet. Es gibt die Romane James Baldwins, in denen die 50er-Jahre-Welt politisch und sexuell Unangepasster in einem flirrenden Jazz-Sound offenbar wurde – mit dem Spannungsverhältnis zwischen Juden und Schwarzen als wiederkehrendem Sujet.
Davon hat auch Bernard Malamud in Die Mieter Anfang der 70er-Jahre geschrieben, und Philip Roth erzählte in seinem vor einem Jahrzehnt erschienenen Meisterwerk Mein Mann, der Kommunist voller Verve von den hochkomplexen Motivationsbündeln gesellschaftlichen und individuellen Aufbegehrens. Gemessen an diesen Meilensteinen ist Lethems geschwätziger Roman leider nicht einmal ein müder Abklatsch.
Jonathan Lethem: »Der Garten der
Dissidenten«. Roman. Übersetzt von Ulrich Blumenbach. Klett-Cotta, Stuttgart 2014, 476 S., 24,95 €