Er fällt ziemlich früh, dieser Satz, den man den Film über im Hinterkopf behält und sich fragt, ob er am Ende noch Gültigkeit besitzen wird. »Wir passen auf unsere eigenen Leute auf«, versichert ihr Vorgesetzter der reaktivierten Mossad-Agentin Naomi (Neta Riskin).
Eigentlich misstraut man den Worten schon zu Beginn, denn Lior Ashkenazi verleiht dem Offizier große Undurchschaubarkeit. Und Naomis Blick verrät, dass sie schon früher Grund hatte, an seiner Fürsorge zu zweifeln. Vertrauen ist bekanntlich das Erste, das man als Spion verliert.
Hisbollah Dennoch ist das Versprechen bezeichnend, denn in ihm klingt ein Gefühl von Stammeszugehörigkeit an, wie es wohl nur in wenigen Geheimdiensten weltweit herrschen mag. Und in Eran Riklis’ Film muss es sich noch ausweiten: Naomi soll die libanesische Informantin Mona (Golshifteh Farahani) beschützen, die zwei Wochen lang in einer vorgeblich sicheren Wohnung in Hamburg auf ihre Ausreise nach Kanada wartet.
Um der Rache der Hisbollah zu entgehen, muss Mona sich eine neue Identität zulegen und ihr Aussehen mithilfe plastischer Chirurgie verändern lassen. Naomi kehrt nur widerwillig in den Dienst zurück, denn sie trägt schwer an dem Trauma, ihren Ehemann vor zwei Jahren bei einem Einsatz verloren zu haben. Die zwei ungleichen Frauen müssen sich zusammenraufen und ihren gegenseitigen Argwohn überwinden.
Das geschieht in erstaunlich kurzer Frist. Beide erkennen, dass ihr Gegenüber einen Verlust zu verwinden hat – Mona musste ihren achtjährigen Sohn im Libanon zurücklassen; Naomi versucht verzweifelt, ihren und ihres getöteten Mannes Kinderwunsch durch künstliche Befruchtung zu erfüllen – und dass sie jetzt aufeinander angewiesen sind.
Facetten Riklis’ Drehbuch gibt den Schauspielerinnen wenig Handhabe, ihren Charakteren jenseits von Gemeinplätzen reizvolle Facetten zu verleihen. Gleichwohl ist ihr Spiel einnehmend genug, um der Notgemeinschaft eine wohlige Vertrautheit zu verleihen.
Wo es dem Kammerspiel an innerer Spannung gebricht, soll die Spionageintrige für Dramatik sorgen. Die Gemengelage ist ein wenig wirr, auch wenn falsche Spuren rasch durchschaut sind. Für Paranoia bleibt Anlass genug, denn die befreundeten Geheimdienste aus Deutschland und den USA scheinen ihre eigenen Pläne zu verfolgen. Die anfängliche Beteuerung von Naomis Mentor wird sich auf höchst ambivalente Weise erfüllen. Irgendwo verbirgt sich in all dem auch die Frage nach dem Gewissen in einer trügerischen Welt.
Man ahnt, dass dem Regisseur und seinen Produzenten ein vielschichtiger Thriller à la John Le Carré vorschwebte. Aber während Hamburg dem Briten in Agent in eigener Sache und A Most Wanted Man (sowie deren Verfilmungen) als schillernder und überaus ertragreicher Schauplatz diente, vermag Aus nächster Distanz trotz aller Spannung den Verdacht nie recht auszuräumen, diese Wahl sei vor allem einer freigebigen Filmförderung geschuldet.
Immerhin verleihen Farahani und Riskin ihren Figuren eine Tiefe, die man sonst nicht im Kino zu sehen bekommt und die den Film für sich genommen schon sehenswert macht. Und immerhin findet sich im Pflaster vor dem Safe House ein Stolperstein, der daran gemahnt, wie gefährdet jüdisches Leben in Deutschland war und ist.
Seit Donnerstag im Kino