Archäologie

Die Puzzler

»Als ich die Qumran-Rollen zum ersten Mal sah, habe ich mich gleich in sie verliebt«, sagt Ira Rabin. Vor etwa 15 Jahren begann diese Leidenschaft, als die israelische Wissenschaftlerin bei ihren »Jüdischen Studien« die mehr als 2.000 Jahre alten Texte las. Später wurde die Erhaltung dieser wertvollen Schriften zum Schwerpunkt ihrer Arbeit. Mittlerweile koordiniert Ira Rabin das Death-Sea-Scrolls-Projekt (DSS-Projekt), an dem sich etwa 150 Wissenschaftler aus zehn Ländern beteiligen. Herzstück der Arbeit ist eine Kooperation zwischen der Forscherin aus Jerusalem und dem Physiker Oliver Hahn von der Bundesanstalt für Materialprüfung (BAM) sowie der Physikerin Birgit Kanngießer (Technische Universität Berlin). Rabin, Mitarbeiterin am Forensischen Zentrum in Israel, hält sich immer wieder für ein paar Monate am BAM in Berlin auf, wie derzeit auch.

Ziel des Projekts ist es, die archäologischen Kostbarkeiten vor dem Zerfall zu retten sowie ihre Entstehungsgeschichte aufzuklären. Die Qumran-Rollen enthalten Urtexte aus der Tora und Kommentare zu biblischen Schriften in hebräischer, aramäischer und griechischer Sprache. Wer wo und wann genau einzelne Texte geschrieben hat, ist noch unklar. Gesichert ist, dass sie in der Zeit zwischen dem dritten Jahrhundert v.d.Z. und dem Jahr 70 nach der Zeitenwende entstanden sind, als der zweite Tempel in Jerusalem von den Römern zerstört wurde.

Den ersten Fund machten 1947 Beduinen zufällig in einer Höhle nahe der Ruinenstadt Khirbet Qumran am Nordwestufer des Toten Meeres. Bei der späteren systematischen Suche wurden in elf weiteren Höhlen Rollen gefunden. Mittlerweile gibt es mehr als 800 Schriftsammlungen aus Papyrus, Pergament oder Leder. Manche mehrere Meter lang, manche nur Quadratzentimeter klein. Lediglich 16 Rollen sind intakt geblieben, die anderen sind in schätzungsweise 18.000 Fragmente zerfallen. Viele von ihnen können bisher weder einzelnen Fundorten noch bestimmten Dokumenten zugeordnet werden.

zuordnungsfragen Zudem ist trotz intensiver Forschung immer noch nicht geklärt, wer die Texte geschrieben hat. Meist werden die Essener, Angehörige einer jüdischen Sekte, als Urheber vermutet. Sie lebten damals in der Nähe von Khirbet Qumran. Um dies zu klären, orientierten sich Archäologen, Historiker oder Religionswissenschaftler am schriftlichen Inhalt der Manuskripte. Doch das erwies sich als problematisch. »Solange keine direkten archäologischen Befunde existieren, die den Zusammenhang zwischen Siedlung und Höhlen belegen, ist jede Zuordnung hypothetisch«, sagt Hahn, der die BAM-Arbeitsgruppe Kunst- und Kulturgutanalyse leitet.

So machten sich die am DSS-Projekt beteiligten Wissenschaftler daran, Manuskripte und Fragmente mit modernster Technik zu untersuchen. Sie arbeiteten mit Röntgenfluoreszenzanalyse (RFA) – sogar im 3D-Format –, Infrarotspektroskopie oder Mikroskopie. Die chemische Zusammensetzung des beschrifteten Materials wurde bestimmt, ebenso die der verwendeten Tusche.

Das Verhältnis von Chlor- zu Brom-Atomen wurde untersucht und mit dem des Wassers aus dem Toten Meer verglichen. Stimmen die Resultate überein, so liegt der Schluss nahe, dass das betreffende Manuskript in einer Gegend am Toten Meer entstanden sein musste. Weisen Fragmente identische Spektren und gleiche chemische Zusammensetzung auf, so sind sie Teile ein- und desselben Manuskripts. Die Fragmente, die per Textanalyse wie Puzzleteile immer wieder hin- und hergeschoben werden mussten, fügen sich mit den naturwissenschaftlichen Methoden fast von selbst zu einem Bild zusammen.

empfindlich »Nur der Mix aus verschiedenen Methoden bringt diesen Erfolg«, betont Ira Rabin. Besonders wichtig sei es, dass bei diesen Analysen die Fragmente nicht beschädigt würden. Deshalb hält sie es auch für falsch, die Original-Manuskripte für auswärtige Ausstellungen zur Verfügung zu stellen. »Das ist ein offener Streit zwischen mir und der israelischen Antikenbehörde«, sagt sie. Sie widerspricht der Behauptung der Behörde, bei der sie früher als Beraterin tätig war, die Manuskripte würden durch die Ausstellungen nicht beschädigt.

Umso wichtiger ist es Rabin, die Qumran-Rollen weiter wissenschaftlich zu untersuchen. Zwar läuft das Projekt mit den Berliner Forschern, das von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz finanziert wurde, zum Jahresende aus. »Wir haben unsere Ziele, geeignete Analysemethoden zu finden, erreicht«, sagt Hahn. Doch Rabin wird das DSS-Projekt weiter koordinieren. Es ist ihr eine Herzensangelegenheit. Als Jüdin und Israelin habe sie eine emotionale Verbindung zu den Rollen. »Die Tatsache, dass sie am Vorabend der Gründung Israels gefunden wurden, bewegt mich tief«, sagt sie.

Berlin

»Eine Zierde der Stadt«- Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum eröffnet

Es ist einer der wichtigsten Orte jüdischen Lebens in Deutschland: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum im denkmalgeschützten Gebäude der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin-Mitte eingeweiht

 28.04.2025

Paris

»Bambi«-Neuverfilmung: Nah an Felix Saltens Original

Ganz ohne Spezialeffekte und Animation: In Michel Fesslers »Bambi«-Neuauflage stehen echte Tiere vor der Kamera. Das Buch wurde einst von den Nazis verboten

von Sabine Glaubitz  28.04.2025

Fernsehen

»Persischstunden«: Wie eine erfundene Sprache einen Juden rettet

Das Drama auf Arte erzählt von einem jüdischen Belgier, der im KZ als angeblicher Perser einen SS-Mann in Farsi unterrichten soll. Dabei kann er die Sprache gar nicht

von Michael Ranze  25.04.2025

100 Jahre "Der Prozess"

Was Kafkas »Der Prozess« mit KI und Behörden-Wirrwarr gemeinsam hat

Seine Liebesworte gehen auf TikTok viral. Unheimlich-groteske Szenen beschrieb er wie kein Zweiter. In Zeiten von KI und überbordender Bürokratie wirkt Franz Kafkas Werk aktueller denn je - eben kafkaesk

von Paula Konersmann  25.04.2025

Reykjavik

Island fordert Ausschluss Israels vom ESC

Das Land schließt sich damit der Forderung Sloweniens und Spaniens an. Ein tatsächlicher Ausschluss Israels gilt jedoch als unwahrscheinlich

 25.04.2025

Popkultur

Israelfeindliche Band Kneecap von zwei Festivals ausgeladen

Bei Auftritten verbreiten die irischen Rapper Parolen wie »Fuck Israel«. Nun zogen die Festivals Hurricane und Southside Konsequenzen

von Imanuel Marcus  25.04.2025

Berlin/Brandenburg

Filmreihe zu Antisemitismus beim Jüdischen Filmfestival

Das Festival läuft vom 6. bis 11. Mai

 25.04.2025

Fernsehen

Ungeschminkte Innenansichten in den NS-Alltag

Lange lag der Fokus der NS-Aufarbeitung auf den Intensivtätern in Staat und Militär. Doch auch viele einfache Menschen folgten der Nazi-Ideologie teils begeistert, wie eine vierteilige ARD-Dokureihe eindrucksvoll zeigt

von Manfred Riepe  24.04.2025

Meinung

Nur scheinbar ausgewogen

Die Berichte der Öffentlich-Rechtlichen über den Nahostkonflikt wie die von Sophie von der Tann sind oft einseitig und befördern ein falsches Bild von Israel

von Sarah Maria Sander  24.04.2025