Jom Kippur steht vor der Tür und bereitet nicht wenigen Menschen schon im Vorfeld Kopfzerbrechen. Dafür ist weniger der Familien- und Organisationsstress die Ursache als vielmehr die Frage, ob man die 25 Stunden Fasten problemlos übersteht. »Schließlich steht religiös motiviertes Fasten oft in einem direkten Zusammenhang mit Kopfschmerzen«, erklärt Michael Drescher.
Dabei weist der amerikanische Arzt auf eine aktuelle Studie aus Israel hin: Bei vier von zehn Personen treten beim Nahrungsverzicht Beschwerden auf, haben die Forscher herausgefunden. Die 15. und 16. Stunde des Fastens sind dabei besonders kritisch, weil sich dann bei vielen Menschen die Kopfschmerzen einstellen. »Das betrifft aber nicht nur Juden«, so Drescher, Mediziner vom Hartford-Krankenhaus im US-Bundesstaat Connecticut. »Auch Muslime kennen das Phänomen, das sich insbesondere an den ersten Tagen des Ramadan manifestiert.«
Über die Ursachen dieser »Jom Kippur-« oder »Ramadan-Kopfschmerzen« können die Fachleute nur spekulieren. »Dehydratation aufgrund der Tatsache, dass man einen Tag lang überhaupt keine Flüssigkeiten zu sich nimmt, ist natürlich die wahrscheinlichste Erklärung«, meint Drescher. »Vielleicht ist es aber auch das fehlende Koffein der morgendlichen Tasse Kaffee oder das fehlende Nikotin bei Rauchern. Eine Kombination mehrerer auslösender Faktoren kann daher nicht ausgeschlossen werden.«
In Internetforen, die sich um das beschwerdefreie Fasten an Kippur drehen, wird daher geraten, bereits eine Woche zuvor seinen Kaffeekonsum langsam zu reduzieren oder ganz einzustellen. Die drohenden Malaisen mit dem Kopfweh ließen sich so bereits im Vorfeld entschärfen.
frage der zeit Seit Jahren schon beschäftigt sich Michael Drescher intensiv mit dem Thema Fastenkopfschmerz und hat deshalb gemeinsam mit den israelischen Forschern besagte Versuchsreihe initiiert, deren Ergebnisse vor wenigen Monaten in dem Fachmagazin »Headache – The Journal of Head and Face Pain« veröffentlicht wurden. Bereits zuvor hatten die Wissenschaftler entdeckt, dass die Substanz Etoricoxib, ein Schmerzmittel für Rheuma-Patienten, das besser unter seinem Produktnamen Arcoxia bekannt ist, die Wahrscheinlichkeit von Kopfschmerzen deutlich reduziert.
»Mit einer Wirkungsdauer von rund 22 Stunden ist es optimal«, resümiert Drescher. Andere Mittel wie Aspirin oder Paracetamol ermöglichen nur eine deutlich kürzere schmerzfreie Zeit – und genau darin liegt das Problem. »Die erneute Einnahme während der Fastenphase verbietet sich ja als Verstoß gegen religiöse Gebote.« Bereits im Jahr 2004 hatte das Sheba Medical Center in Tel HaShomer herausgefunden, dass der ebenfalls in Arcoxia enthaltene Wirkstoff Rofecoxib, in einer Dosierung von 50 Milligramm rechtzeitig eingenommen, als Prophylaxe geeignet ist.
Anders als bei Juden, deren Fastenzeit sich auf 25 Stunden anlässlich Jom Kippurs beschränkt, sieht es bei Muslimen im Ramadan aus. Einen Monat lang müssen sie tagsüber auf Essen und Trinken verzichten. Daher verabreichte das Team um Drescher einer Gruppe von 222 Probanden über eine längere Zeitspanne entweder 120 Milligramm Etoricoxib oder aber eine Placebo-Tablette.
Die Resultate waren verblüffend: Von jenen, die das schmerzlindernde Mittel eingenommen hatten, litten am Anfang der Fastenperiode nur 34,6 Prozent unter Kopfweh. Bei den anderen klagten satte 67,7 Prozent über entsprechende Probleme. Auch fielen die Schmerzen derjenigen, die sich trotz Etoricoxib unwohl zu fühlen begannen, deutlich schwächer aus. Nach einer Woche glichen sich die Werte jedoch auf einem niedrigen Niveau langsam an. »Auch hier können wir über die Ursachen nur spekulieren«, erklärt Drescher. »Wahrscheinlich gewöhnt sich der Körper im Verlaufe des Ramadans an den veränderten Rhythmus der Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme und den Entzug während des Tages.«
nebenwirkungen Doch leider ist das verwendete Präparat zumindest in den USA sozusagen nicht ganz koscher. Die US-Gesundheitsbehörde FDA hat Arcoxia die Medikamentenzulassung verweigert, da es dem Schmerzkiller Vioxx zu ähnlich ist. Und dieser wurde vom Hersteller Merck im Jahr 2004 vom Markt genommen, weil er unter dem Verdacht stand, Herzinfarkte auszulösen.
In Europa, Kanada oder Israel dagegen ist das Präparat problemlos zu haben. »Egal, ob Juden oder Muslime, alle Versuchspersonen erzählten mir, dass die Feiertage, an denen gefastet werden muss, dank der vorherigen Einnahme von Etoricoxib ein unvergleichlich größeres spirituelles Erlebnis waren«, berichtet Drescher. »Schließlich litten sie deutlich seltener unter Kopfschmerzen.«
Auch die religiösen Autoritäten hatten mit den vorzeitig eingenommenen Medikamenten keine Bedenken – zumindest die jüdischen. Denn Imame oder muslimische Rechtsgelehrte hatten die Forscher nicht befragt. Alle konsultierten Rabbis dagegen sahen überhaupt keine Probleme. »Schließlich«, so resümiert Michael Drescher deren Gutachten, »ist das religiöse Fastengebot keine Aufforderung zum Leiden.«