Seit dem 19. Jahrhundert wird der Name »Rothschild« mit Wohlstand assoziiert. Fünf Zweige der jüdischen Bankiersfamilie, die seit dem 16. Jahrhundert in Frankfurt ansässig war, hatten sich seit Anfang des 19. Jahrhunderts in Deutschland, Österreich, Großbritannien, Italien und Frankreich niedergelassen.
Doch die Frauen der Familie sind bisher wenig bekannt. Dabei spielten sie in jedem dieser Länder eine bedeutende Rolle als Sammlerinnen, Philanthropinnen und Mäzeninnen. Sie stifteten Kunstschätze und wurden zu Geldgeberinnen zahlreicher kultureller Einrichtungen, selbst nach der Zeit des Nationalsozialismus, als die Familien massiv enteignet wurden. »Le goût Rothschild« stand für einen erlesenen Geschmack.
STAMMBAUM Mit ihrem Wohlstand einher ging von jeher Neid, bis heute kursiert eine Vielzahl an Verschwörungsmythen. Wie lässt sich der Erfolg erklären, außer durch Arbeitsethos? Die Familie blieb unter sich, und sie hielt zusammen! An einem wandhohen Stammbaum kann man in der Ausstellung in Lüttich den Familienzweigen folgen, die durch Heiratspolitik miteinander verflochten waren.
Sammlerinnen der Familie Rothschild – außergewöhnliche Mäzeninnen und Spenderinnen im Museum »La Boverie« in Lüttich legt das Augenmerk erstmals auf neun Frauen aus dem französischen Zweig. Klar wird beim Gang durch die eklektische Schau, die noch bis 26. Februar 2023 zu sehen ist: Einige der heute weltweit anerkannten Künstler haben ihre Berühmtheit der Unterstützung von Rothschild-Frauen-zu verdanken.
»Viele dieser Frauen wollten anonym bleiben. Sie unterstützten gezielt und spendeten ihre Sammlungen, bevorzugten es aber, ungenannt zu bleiben«, bekräftigt Kuratorin Fanny Moens. Dennoch spielten sie eine Rolle in den Kunstsalons von Paris, Frankfurt und Wien. Sie standen Malern wie Ary Scheffer oder Balthus Modell und korrespondierten mit Heinrich Heine, Honoré de Balzac und Marcel Proust.
Die Ausstellung, die »La Boverie« in Lüttich gemeinsam mit dem Louvre konzipiert hat, zeichnet Geschmack und Persönlichkeit dieser Frauen nach. An Wandtexten können die Besucher in vier Sprachen Facetten der Biografien nachlesen. Unter mehr als 350 Werken aus etwa 40 französischen Institutionen und Privatsammlungen stoßen die Besucher auf Gemälde von Cézanne, Rodin oder Schiele, aber auch auf italienische Renaissancekunst, Schmucksammlungen und Objekte aus Fernost.
PERSÖNLICHKEITEN Das Augenmerk liegt auf vier Persönlichkeiten: Charlotte (1825–1899), Adèle (1843–1922), Béatrice (1864–1934) und Alix (1911–1982). Charlotte de Rothschild war eine Frau von Welt, Sammlerin von Schmuck, Aquarellmalerin und Mäzenin. Die älteste Tochter von Betty und James de Rothschild, den Begründern des französischen Zweigs, war Muse von Frédéric Chopin und heiratete 1842 ihren Cousin Nathaniel de Rothschild. Neben einem Stadtpalais in der Rue du Faubourg Saint-Honoré kauften die beiden im Jahr 1853 das Weingut, das zum »Château Mouton Rothschild« werden sollte.
1870 starb Charlottes Mann. Sie erbte einen Teil seiner Sammlung, darunter Landschaften der Holländischen Schule. Sukzessive erweiterte sie diese um Musikinstrumente und Judaika. Ab den 1880er-Jahren organisierte sie Spenden für 16 Museen in Frankreich. Zudem stiftete sie dem Musée des Arts décoratifs in Paris 200 Schmuckstücke und 48 Lederschatullen. Ihre Sammlung italienischer Gemälde übergab sie dem Louvre, ihre Musikinstrumente dem Nationalkonservatorium.
Laut Kuratorin Moens haben zwei von neun der in der Ausstellung genannten Sammlerinnen ihr Augenmerk gezielt auf jüdische Kunst gelegt. So kaufte Charlotte de Rothschild die Kollektion Isaac Strauss und überließ diese dem Musée de Cluny, damit auch Objekte der jüdischen Kultur in einem Museum zu sehen seien.
Die prominenten Sammlerinnen förderten viele bekannte Künstler.
Die 1843 in Frankfurt geborene Adèle war Kosmopolitin. Sie und ihr Mann Salomon gingen in den Pariser Salons ein und aus. Als Salomon an einem Herzanfall starb, zog sich Adèle für ein Jahrzehnt aus der Öffentlichkeit zurück. Anschließend ließ sie im achten Arrondissement von Paris ein Stadtpalais bauen, wo sie die Sammlungen ihres Mannes präsentierte. Als Teil der Ausstattung findet man Fragmente antiker Kunstwerke, eine Statuette des Renaissance-Künstlers Giambologna, Zeichnungen mit dem Monogramm von Albrecht Dürer sowie Gegenstände aus Jade. Nach ihrem Tod 1922 vermachte Adèle ihr Haus samt Einrichtung dem französischen Staat – mit dem Wunsch, es in ein Kunsthaus zu verwandeln.
SAMMLERIN Béatrice war eine eklektische Sammlerin. Die mondäne Frau ließ einen Palast in Südfrankreich bauen und soll regelmäßig das Casino von Monte-Carlo besucht haben. Auf einem sieben Hektar großen Grundstück leitete sie den Bau der Villa Ephrussi und widmete sich intensiv der Einrichtung und ihren Gärten. 1933 vermachte sie die Villa der französischen Académie des Beaux-Arts mit ihrer gesamten Kunstsammlung.
Sie erwarb Gemälde impressionistischer Meister wie Monet und Renoir, aber auch aus dem 15. und 16. Jahrhundert aus Italien und Spanien. In der Ausstellung soll ein Kunstrasen an die herrschaftlichen Gärten erinnern; Schwarz-Weiß-Aufnahmen dokumentieren den einstigen Glanz der Villa Ephrussi.
Alix de Rothschild floh im Oktober 1941 mit ihrem Mann Guy de Rotschild nach New York. Ab 1956 lebte sie wieder in Reux in der Normandie. Fast 30 Jahre lang leitete sie als Bürgermeisterin die Gemeinde und entwickelte ein reges Interesse für Künstler der Zweiten Schule von Paris wie für die deutschen Impressionisten. 1952 erwarb sie das Gemälde »Le Lavoir« von Pablo Picasso. Im Laufe der Zeit trug sie über 2000 Kunstwerke zusammen.
Mäzenatentum Die Sammlerin trat 1961 in den Vorstand des Musée National d’Art Moderne in Paris ein. Sie übergab zahlreiche Werke an Museen. Auch Alix de Rothschild unterstützte gezielt jüdische Künstler wie Jesekiel David Kirszenbaum und Avigdor Arikha. »Sie hat ein Mäzenat mit ihnen angestrebt und später dem Museum für Zeitgenössische Kunst in Tel Aviv gespendet«, betont Moens.
Für einen ausgefallen-morbiden Geschmack standen Alice und Mathilde. Es heißt, wer die Baronin Alice besuchte, brachte ihr keine Blumen, sondern eine Pfeife mit. Sie besaß eine einzigartige Sammlung: 450 Pfeifen aus Europa und Kleinasien aus dem 18. und 19. Jahrhundert und 106 Streichholzschachteln aus Frankreich, Spanien und Italien. Edmond de Rothschild übergab Alices Sammlung 1927 der südfranzösischen Gemeinde Grasse.
Thérèse de Rothschild, eine der vier Töchter von Mayer Carl de Rothschild, sammelte wiederum Bücher. Gemeinsam mit ihrem Mann James Edouard – dessen Sammlung eine der umfangreichsten der französischen Literatur war – erwarben sie zwei Parzellen am Strand von Berck-sur-Mer und bauten ein Krankenhaus, wo sie jüdischen Kindern eine Kur ermöglichten.
Volksbibliothek Nach dem Tod ihres Mannes 1881 erbte Thérèse seine Büchersammlung. Gemeinsam mit ihrem Sohn Henri gründete sie in Gouvieux eine Volksbibliothek. Er sollte dieses außergewöhnliche Erbe der französischen Nationalbibliothek vermachen.
Über weniger mondäne, gleichwohl beeindruckende Frauen wie Bethsabée, Mäzenin von Martha Graham, Pionierin des Zeitgenössischen Tanzes, liest man leider nur am Rand im Katalog.
Klar scheint: Die für die Ausstellung ausgewählten französischen Mäzeninnen begriffen sich mit ihrem – in Lüttich als mondän herausgestellten – Lebensstil als Staatsbürgerinnen der Republik und waren bestrebt, etwas zur Gesellschaft beizutragen. Einige während der Pressevorbesichtigung gestellte Fragen (»Wieso waren die so erfolgreich?«) deuten allerdings leider darauf hin, dass die Ausstellung mit ihren prunkvollen Einzelstücken auch antisemitischen Interpretationen Vorschub leisten könnte.