Alles begann mit David Ben Gurion. Die Bildungsabteilung im Zentralrat der Juden in Deutschland hatte mit ihrer jüngsten Konferenz die Geschichte um die Staatsgründung Israels in den Fokus gestellt und dafür zu Beginn ausführlich das Wirken des ersten Ministerpräsidenten des Landes beleuchtet. Bereits seit 1935 führte er als Vorsitzender der Jewish Agency die jüdische Gemeinschaft im britischen Mandatsgebiet Palästina. Zuvor hatte er auch schon die Arbeitspartei und den Gewerkschaftsbund Histadrut geleitet.
Höhepunkt von Ben Gurions Laufbahn aber war der 14. Mai 1948. An diesem Tag verkündete er gegen den Widerstand einiger Skeptiker in den eigenen Reihen die Unabhängigkeitserklärung und proklamierte den Staat Israel.
streit »Wie alles begann …«, unter diesem Titel hatte die Bildungsabteilung eingeladen, und rund 230 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren dafür ins Frankfurter Ignatz-Bubis-Gemeindezentrum gekommen, mehr als je zuvor. »Der Israel-Bezug der Diaspora ist da«, freute ich Sabena Donath, Leiterin des Programms. Dessen wissenschaftlicher Direktor, Doron Kiesel, forderte zum Streit und Ringen um die Wahrheit auf.
Konfrontationen blieben allerdings aus, bloß ein leises Murren gab es, als der bekannte israelische Historiker Tom Segev behauptete, David Ben Gurion habe keinerlei Humor besessen. Der zionistische Traum sei der Inhalt seiner Persönlichkeit gewesen. Alle anderen Lebensziele, nicht zuletzt das Streben nach privatem Glück, hatten sich dem unterzuordnen.
Der 1886 als David Josef Grün im polnischen Plonsk geborene Ben Gurion ist heute, 45 Jahre nach seinem Tod, in Israel populärer als irgendeiner der amtierenden Politiker des Landes, so sein Biograf Tom Segev. Dabei sei er während seiner aktiven Zeit durchaus umstritten gewesen. Zwei Drittel der Wähler habe er stets gegen sich gehabt. Dennoch führte er 13 Jahre lang Israels Regierung und konnte sich wiederholt erlauben, mit dem Rücktritt zu drohen, falls man seinen Vorstellungen nicht folgen sollte.
Er sei ziemlich beratungsresistent gewesen, fand Rogel Rachman, Leiter der Öffentlichkeitsarbeit an der Botschaft Israels in Berlin. Segev bescheinigte ihm sogar autokratische Züge, bekannte aber, dass Ben Gurion im jungen Staat der ersten Jahre durch seine langjährige politische Erfahrung – gerade auch aus der Zeit vor der Staatsgründung –, seinen immensen Fleiß und stets gute Detailkenntnisse praktisch alternativlos gewesen sei.
blutgeld Ben Gurion habe keine Hemmungen gehabt, gegen den Strom zu schwimmen, betonte Rachman. Am deutlichsten sei das Anfang 1952 geworden, als er mit der westdeutschen Adenauer-Regierung das Luxemburger Abkommen aushandelte. Unter den Israelis habe es damals heftige, zum Teil sogar gewalttätige Proteste gegeben. Von Blutgeld war sogar die Rede. Der Regierungschef habe das rational kaum nachvollziehen können – zumal Adenauer kein Nazi gewesen war.
Rund drei Milliarden D-Mark seien damals als sogenannte Wiedergutmachung in Israels Staatshaushalt geflossen. Sie hätten dem Land wirtschaftlich auf die Beine geholfen. Ben Gurion habe die Vision der Zionisten vom eigenen Staat um jeden Preis realisieren wollen und sei darauf bedacht gewesen, den richtigen Zeitpunkt nicht zu verpassen. Israel sollte ein modernes, von Europa und den USA inspiriertes jüdisches Gemeinwesen werden.
Anders als die Vertreter der arabischen Bevölkerung im britischen Mandatsgebiet habe er als Vertreter der jüdischen Gemeinschaft den UN-Teilungsplan vom 29. November 1947 akzeptiert. Er hoffte auf eine Trennung der beiden Völker, etwa durch eine geregelte Zwangsumsiedlung, vergleichbar der von 1923 zwischen Griechenland und der Türkei. Der Unabhängigkeitskrieg habe aber dann dazu geführt, dass Israel eine arabische Minderheit behalten habe.
araber Segev ist überzeugt, dass es Ben Gurion ferngelegen habe, die Araber beherrschen zu wollen, nicht zuletzt aus ganz pragmatischen Gründen. Für die Konflikte zwischen Juden und Arabern habe es aus seiner Sicht keine Lösung gegeben. Nach dem Unabhängigkeitskrieg 1948 weigerte er sich deshalb, die rund 700.000 Araber, die zuvor geflohen waren oder – wie Segev einräumte – zum Teil auch vertrieben wurden, wieder ins Land zu lassen.
Dafür zeigte er sich bereit, die rund 700.000 orientalischen Juden, die Misrachim, die infolge der Staatsgründung aus islamischen Ländern auswandern mussten, in Israel zu integrieren. Eine Bevölkerungsgruppe, die sich hinsichtlich Bildung und Brauchtum so stark von den europäischen Aschkenasim unterschied, dass er sie eigentlich nicht für den Aufbau des Staates eingeplant hatte.
Bei der Staatsgründung stellten die aschkenasischen Juden die Mehrheit der jüdischen Bevölkerung. Gleichzeitig hielten sie die oberen Sprossen der sozialen Leiter besetzt, stellte Avi Picard von der Fakultät für Jüdische Studien der Bar-Ilan-Universität Ramat Gan fest. Die Misrachim dagegen hätten ganz unten gestanden.
Früher hätten selbst die Liberalen im Land geglaubt, den Auftrag zu haben, den Orientalen das Licht der Aufklärung zu bringen; die sozialistisch inspirierten Zionisten der Aufbaujahre hätten darauf gesetzt, erinnerte die Tel Aviver Geschichtsprofessorin Orit Rozin, durch Erziehung, die hebräische Sprache, gemeinschaftliche Arbeit, die Pflege von Literatur und Kultur, aber auch durch säkular gedeutete jüdische Feste einen neuen Menschen, ja, einen neuen Hebräer hervorzubringen.
Diese Schmelztiegel-Politik sei allerdings gescheitert, darin waren sich Picard und Rozin einig. Allein die Sprache sei ein einigender Faktor geworden. Darüber hinaus sei die israelische Gesellschaft eher durch partikularistische Tendenzen und Vielschichtigkeit als durch Uniformität gekennzeichnet.
jeckes Bleibt zu fragen, welche Spuren die Jeckes, die Juden aus den deutschsprachigen Ländern, in Israel hinterlassen haben. Die meisten von ihnen waren als Flüchtlinge ins Land gekommen. Sie wurden ob ihrer bürgerlichen Umgangsformen und Kleidung schnell Gegenstand des Spottes.
David Ben Gurion aber mochte ihren Akzent im Hebräischen, berichtete Fania Oz-Salzberger, Professorin für Rechtsgeschichte an der Universität Haifa. Wichtiger jedoch sei gewesen, dass er den zahlreichen angesehenen Juristen unter ihnen zutraute, Grundlagen für das Rechtssystem des jüdischen Staates zu legen. Zum ersten Justizminister habe er einen in Berlin geborenen liberalen Zionisten berufen: Pinchas Rosen, ursprünglich Felix Rosenblüth. Er baute ein verlässliches und gewichtiges Gerichtssystem auf, das er vor allem mit deutschstämmigen Juristen besetzte.