André Previn

»Die Netrebko ist keine Callas«

»Andrea Bocelli kann nicht singen«: André Previn Foto: dpa

Herr Previn, Ihre neue Oper »Brief Encounter« ist kürzlich als CD herausgekommen. Was reizt Sie so an Oper?
Die Kombination von Theater und Musik.

Die haben Sie als gefragter Komponist beim Film doch auch.
Nein, nein, nein. Weil ein paar Schauspieler vor sich hinquasseln? Das ist nicht dasselbe. Ich wollte unbedingt selbst eine Oper komponieren. Nach »Endstation Sehnsucht« habe ich mich dann auch sofort nach einer zweiten Oper umgesehen und »Brief Encounter« gefunden. Und jetzt arbeite ich an einer dritten – nein, ich werde Ihnen nicht sagen, was es ist.

Sie sind gebürtiger Berliner, 1937 mit Ihren Eltern emigriert und nach dem Krieg relativ früh wieder als Dirigent in Deutschland aufgetreten. Wie war das damals für Sie?
Ich kam ja als Musiker zurück und nicht als politische Figur. Manchmal habe ich mich ein bisschen erschreckt, wenn ich an einem Straßenschild vorbeikam, auf dem stand: »Dachau 10 Kilometer«. Dann habe ich gedacht: »Oh, da mache ich lieber einen Bogen drum!« (lacht) Aber gewöhnlich hat es mir große Freude gemacht, in Deutschland zu arbeiten. Musiker sind für mich überall auf der Welt gleich. Ich habe nie festgestellt, dass deutsche Musiker anders sind als amerikanische. Ich meine, bis auf die offensichtlichen Fälle.

Sie haben sich in Ihrer Karriere nicht nur mit Klassik beschäftigt, sondern auch intensiv mit Jazz. Sind Sie schon in Deutschland mit Jazzmusik in Berührung gekommen?
Hier? Oh nein. Insbesondere nicht in jenen Tagen. Das gab es gar nicht. Und als ich nach Amerika kam, hat es auch eine Weile gedauert – doch dann war ich sehr enthusiastisch. Bei meiner Arbeit in den Hollywood-Studios weniger.

Waren wenigstens Ihre Eltern froh, dass Sie mit Filmmusik Geld verdienen konnten? Oder hätten sie Sie lieber in einem anderen Beruf gesehen?
Beides. Mein Vater war immer ein bisschen unzufrieden. Er hat zu mir gesagt: »Du komponierst, aber du spielst nicht mehr!« Dann habe ich mehr gespielt. »Du komponierst nicht mehr! Und wo bleibt das Dirigieren?« Ich konnte es ihm nicht recht machen. Als ich dann den Erfolg als Filmkomponist hatte, war er nicht mehr am Leben. Ich weiß also nicht, wie er darüber gedacht hätte. Aber ich blieb leider zu lange in Hollywood hängen. Ich habe dort zwar viele hoch talentierte Menschen getroffen und viele Freundschaften geknüpft. Aber als ständiger Beruf? Man musste immer auf den Kalender schauen. Es gibt den alten Witz, dass ein Komponist in Hollywood sagt: »Wollen Sie es gut – oder nächsten Mittwoch?« (lacht)

Sie haben in Hollywood auch dirigiert. Gibt es einen Unterschied zwischen einem Filmorchester und beispielsweise dem London Symphony Orchestra?
Technisch nicht. Man muss genauso proben, als ob man Bruckner spielt oder Filmmusik.

Aber beim Film geht es schneller, bis die Stücke sitzen.
Ja, weil es nicht so wichtig ist. Das klingt schrecklich. Aber für Filme braucht man nicht tiefer in der Musik zu forschen. Anders beim London Symphony Orchestra. Das war wirklich wunderbar. Und auch die Wiener Symphoniker. Interessant übrigens, dass die früher absolut keine Frauen im Ensemble sehen wollten. Jetzt haben sie immerhin eine zweite Geigerin und eine Harfenistin.

Harfe zählt nicht.
Das zählt nicht? Wieso?

An der Harfe sind fast immer Frauen.
Okay. Ich habe einmal mit dem Wiener Konzertmeister, Rainer Küchl, darüber gesprochen. »Hör mal, Rainer, unter uns: Wenn bei euch vorgespielt wird, merkst du, wenn es eine Frau ist?« »Nein!« »Und warum wollt ihr dann keine Frauen im Orchester?« »Na, wir wollen sie eben nicht.« Und dann hat er gefragt: »Hören Sie, Meister: Sie haben 20 Jahre in London gelebt. Waren Sie Mitglied in einem Gentlemen’s Club?« »Ja.« »Waren da Frauen Mitglied?« »Nein.« »Na also.« Aber er konnte nicht ahnen, dass ich im nächsten Monat aus diesem Club austreten würde, weil meine Frau bei einem Abendessen die Hintertreppe nehmen sollte. Da bin ich gegangen.

Sind Sie als Dirigent auch schon mal gegangen, weil Sie mit einem Künstler spielen sollten, mit dem es nicht harmonierte?
Es kam nie so weit. Aber mir sind schon Solisten vorgeschlagen worden, bei denen ich das geahnt habe und sagte: »Das mache ich lieber nicht.« Etwa, wenn der Künstler eine Art zu spielen hat, die mir nicht liegt.

Es gibt seit einiger Zeit Klassikinterpreten, die auch bei Nicht-Klassikhörern beliebt sind wie Popstars. Das ist eine neue Entwicklung. Wie finden Sie die?
Manchmal ist es gut, sehr oft aber schlecht, wenn jemand bewundert wird, der es wirklich nicht wert ist. Es gibt da diesen offenbar sehr netten Tenor Andrea Bocelli. Ich kenne ihn nicht persönlich, aber ich meine, er kann nicht singen. Es geht nicht darum, ob er schlecht singt: Er KANN nicht singen. Oder Anna Netrebko. Ich habe ein Interview mit ihr gelesen, in dem sie sagt: »Es macht mich sehr nervös, so schön zu sein.« Und niemand hat ihr dafür eine Ohrfeige verpasst. Wie kann man so etwas sagen? Das ist doch entsetzlich! Sie ist eine gute Sängerin, aber sie ist nicht die »neue Callas«.

Haben Sie selbst jemals gesungen?
Gesungen? (lacht) Nein, ausgeschlossen! Ich habe einmal versucht, Renée Fleming eine Phrase vorzusingen, und sie hat angefangen zu lachen. Ich habe gefragt: »Was ist so komisch?« Und sie hat gesagt: »Wie können Sie als ein so großer Musiker so falsch singen?!?«

Das Gespräch führte Ann Kathrin Bronner.

André Previn wurde 1927 als Andreas Priwin in Berlin geboren. Mit seinen Eltern flüchtete er 1937 in die USA. Dort begann er mit 13 Jahren seine Musikerkarriere als Jazzer. Später komponierte Previn Filmmusik, für die er vier Oscars gewann, unter anderem 1963 für »Irma la Douce«. Der erfolgreiche Grenzgänger zwischen Unterhaltung und Klassik hat als Dirigent zahlreiche berühmte Orchester geleitet, darunter das London Symphony Orchestra und die Los Angeles Philharmonic. Seine neue Oper »Brief Encounter« ist im April als CD bei Deutsche Grammophon herausgekommen.

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