Herr Ranan, Sie haben in Ihrem Buch »Ist es noch gut, für unser Land zu sterben?« israelische Soldatinnen und Soldaten zu ihrem Armeedienst befragt. Wie entstand die Idee dazu?
Der Auslöser war ein Besuch bei Freunden. Zweien ihrer drei Söhne war es gelungen, sich aus dem Militärdienst herauszuwinden. Nur der mittlere hatte sich für die Armee entschieden und leistete einen kompletten dreijährigen Dienst in einer Kampfeinheit ab. Natürlich hatte er sich nicht für diesen Dienst entschieden. Der Militärdienst ist Pflicht für die meisten israelischen Männer ebenso wie für unverheiratete Frauen. Wenn jemand seine Pflicht nicht erfüllt, ist das ungewöhnlich. Indem der Sohn meiner Freunde einrückte, folgte er nicht nur dem Gesetz, sondern auch der Norm. Und trotzdem war ich nicht von der Tatsache überrascht, dass – einst fast unmöglich – Einberufungen umgangen werden; das ist mittlerweile nicht mehr unbekannt in Israel. Allerdings war ich überrascht, dass dies in einer in Israel geborenen aschkenasischen und säkularen Familie anzutreffen war.
Warum?
Säkulare aschkenasische Juden waren die treibende Kraft bei den erfolgreichen zionistischen Bemühungen, den israelischen Staat und seine Einrichtungen einschließlich Zahal, der israelischen Armee, zu gründen. Es ist auch die Schicht innerhalb der israelischen Gesellschaft, die in der Vergangenheit stets die Elitesoldaten des Landes hervorgebracht hat. Seit meiner Einberufung im Sommer 1965, zwei Jahre vor dem Sechstagekrieg, hat sich viel verändert.
Was sind die wesentlichen Veränderungen?
Das Land hat sich verändert, seine demografische Zusammensetzung, sein Verhältnis zu den arabischen Nachbarn und in der Folge ebenso – im Vergleich zu dem, was von Soldaten zu meiner Zeit verlangt wurde – das Wesen der Aufgaben, mit denen Kampfsoldaten betraut werden. Um zu verstehen, wie sich junge Israelis mit ihren möglichen Zweifeln und moralischen Bedenken auseinandersetzen und wie Israel mit dem Thema der Motivation für den Militärdienst umgeht, habe ich über 50 Israelis im Alter von 18 bis 30 Jahren interviewt. Mit einigen sprach ich im letzten Schuljahr vor ihrer Einberufung, mit anderen nach Beendigung ihres Militärdiensts.
Mit welchem Ergebnis?
Wie Sie aus den Interviews und den Monologen sehen können, ist bei vielen in Israel die Motivation zum Wehrdienst sehr hoch. Ich glaube auch, dass es lobenswert sein kann, seine Familie, Gesellschaft und Werte auch bis zum Ende zu verteidigen. Also auch bis zum Tod. Diese Bereitschaft darf aber nicht missbraucht werden. Dieser Missbrauch verursacht die veränderten Einstellungen. die sie heute in Israel finden können und die auch im Buch beschrieben werden. Darin geht es hauptsächlich darum zu zeigen, wie eine gespaltene israelische Gesellschaft sich mit der Frage von Motivation zu dienen, eventuell ethischen Fragen – auch der nach Verweigerung – auseinandersetzt. In Israel gibt es ja eine demokratisch gewählte Regierung, deren Politik und die daraus resultierenden Befehle für Teile der Bevölkerung wirklich problematisch sind. Da stellt sich die Frage, was für Konsequenzen die Verweigerung solcher Befehle oder sogar des Militärdienst insgesamt in einer Demokratie haben.
Welche Überraschungen gab es für Sie während der Interviews?
Ich war eigentlich positiv überrascht von der Bereitschaft der meisten Interviewpartner, egal ob sie sich links oder rechts, orthodox, religiös oder säkular verstehen, zu kooperieren. Enttäuscht war ich dagegen über das Verhalten eines »Beinah-Interviewpartner« dessen Geschichte so verlief: Es begann mit einem Vorfall, Ende 2009, in dem einige Rekruten beim feierlichen Gelöbnis an der Klagemauer Schilder schwenkten, auf denen zur Verweigerung von Siedlungsräumungen aufgerufen wurde. Über diesen Vorfall, wie auch über die Bestrafung der Soldaten, wurde in den Medien berichtet. Die Aktion der jungen Soldaten hatte weitere Resonanz, und die Presse schrieb auch von religiösen Reservisten, die die Aktion befürworteten. Einer dieser Orthodoxen, ein Doktorand an der Bar-Ilan Universität, hatte sich bereiterklärt, sich mit mir zu treffen. Alles war arrangiert, Zeit und Platz ausgemacht – aber in der letzten Minute ist er abgesprungen.
Wie hat er das begründet?
Seine Erklärung war: »Ich weiß schon, was für ein Buch daraus wird, und ich möchte dir nicht dabei helfen.« Ich habe versucht, ihn zu überzeugen, aber er war nicht zu bewegen. Ein anderes Buch, dass die Siedlungspolitik der israelischen Regierungen attackierte, hätte, so meinte er, »enorm großen Schaden« bewirkt, und er wollte nicht bei meinem Buch, das weiteren Schaden verursachen könnte, mitmachen. Von einem Doktoranden, also einem Akademiker, hätte ich etwas mehr Offenheit für eine Diskussion erwartet und nicht ein solch paranoides Verweigern von Interviews.
Im Leben junger Israelis spielt die Armee eine zentrale Rolle. Eine zu große?
Ich bin ja selbst in dem Bewusstsein aufgewachsen, dass die Armee einen enormen Stellenwert besitzt. Ich bin auch der Meinung, dass es für ein Land, das sich in der Lage Israels befindet, nicht anders geht. Junge Israelis wissen, welche Bedrohungen von der Hamas ausgehen, was für ein Problem der Iran darstellt und dass selbst der Frieden mit Ägypten zur Zeit des »Arabischen Frühlings« etwas prekär scheint. Sogar eine Wehrdienstverweigerin, die ich für das Buch interviewte, meinte: »Ich sage nicht, man sollte die Armee auflösen – das würde unsere Existenz gefährden.« Aber die große Rolle, die die Armee im israelischen Alltag spielt, birgt viele Gefahren in sich.
Welche?
Viele israelische Militär- und Sicherheitschefs rutschen am Ende ihrer Karrieren beinah automatisch in die Politik. Zu viele Generäle und Chefs des Inlandsgeheimdienstes Schabak werden Mitglieder der Knesset, der Regierung und sogar Regierungschefs. Das sind Menschen, die in nichtdemokratischen Organisationen groß geworden sind. Sie haben ihre Karrieren gamacht in Institutionen, in denen Gehorsam und Befehl der Weg ist. Kann man erwarten, dass sie auf einmal demokratische Umgangsformen akzeptieren?
Sollte es eine Alternative zur Wehrpflicht geben, etwa einen Zivildienst?
Die gegenwärtige Ordnung ist ethisch schwach: Als ultraorthodoxer Mann hat man die Option, in einer Jeschiwa registriert zu sein und so den Militärdienst zu umgehen. Eine Frau, die behauptet dass sie aus religiösen Gründen nicht im Militär dienen möchte, wird auch befreit. Und die meisten arabischen Israelis werden nicht eingezogen. Als das Arrangement für die Talmudschüler gemacht wurde, war es zunächst auf 400 begrenzt. Begin hatte, als er 1977 Premierminister wurde, diese Limitierung aufgehoben: Seither steigt die Zahl der Ultraorthodoxen Jahr für Jahr. Im letzten Jahr waren es elf Prozent der jüdischen 18-Jährigen. Auch der Anteil der Frauen, die behaupten, so religiös zu sein, dass sie nicht im Militär dienen können, steigt. Immerhin leistet ein Teil dieser Frauen als Freiwillige einen Nationaldienst.
Wird das als weniger gut bewertet?
Es ist anstößig, in einer Gesellschaft, die von einem Teil der Bevölkerung so viel verlangt, andere von dieser Pflicht zu befreien. Ich bin auch der Meinung, dass es schändlich ist, diejenigen vom Dienst zu befreien, die behaupten, dass sie aus Religionsgründen nicht dienen können, während andere, die aus Gewissensgründen nicht bereit sind, in den besetzten Gebieten Dienst zu leisten, ins Gefängnis kommen. Alle Israelis, auch Talmudschüler, religiöse Frauen, israelische Araber und Verweigerer aus Gewissensgründen, sollten die Option und die Pflicht zu einem alternativen Zivildienst haben. Der Dienst für die Gesellschaft sollte universell sein.
Mit dem Autor sprach Katrin Richter.
David Ranan: Ist es noch gut, für unser Land zu sterben? Junge Israelis über ihren Dienst in der Armee. Nicolai, Berlin 2011, 272 S., 19,95 Euro
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David Ranan entstammt einer deutsch-jüdischen Familie. Er wuchs in Israel auf, 1965 wurde er zum Dienst in der israelischen Armee eingezogen. Er studierte Wirtschaftswissenschaften in Israel und London, arbeitete als Banker und Unternehmensberater, absolvierte dann noch einmal ein Studium der Kultur- und Politikwissenschaft. Heute lebt er als freier Autor in London.