Manchmal ist es vielleicht besser, nicht zu wissen, wie man an seinen Namen gekommen ist – so wie im Fall der Medizinstudentin Luna. Da ist von einem uralten Ritual die Rede, vom ersten und zweiten Blutmond, bei dem Frauen zerbrochenes Geschirr sammeln, es mit dem Samen einer roten Rose begraben und in einer langen Prozession zum Toten Meer ziehen, wo sie schmerzerfüllt den Mond anheulen, um unausgedrückte Ideen und unerfüllte Potenziale zu beklagen.
»Das ist der Grund, warum meine Mutter mir diesen Namen gab«, heißt es denn auch direkt im Prolog von Blood Moon Blues, der neuesten Produktion von Yael Ronen, der 1976 geborenen Theatermacherin, die in Tel Aviv und Berlin lebt. Damit ist man auch schon mittendrin in einer temporeichen Komödie, die einen sprichwörtlich in die Wüste schickt. Denn das Setting ist ein Aschram nahe dem Toten Meer, wohin Elinor (Orit Nahmias), eine nur ihrer Selbstwahrnehmung nach erfolgreiche israelische Schriftstellerin, Tochter Luna (Aysima Ergün) sowie die Therapeutin Gabriella (Vidina Popov) einbestellt.
liebhaber Ins Aschram selbst soll die beiden Frauen Greg (Doga Gürer) führen, Elinors juveniler deutscher Liebhaber, ein »Clown, der um die Welt reist, und sich mit Yoga- und Tauchkursen über Wasser hält«. Und so herrlich esoterisch-durchgeknallt wie der Prolog es bereits andeutet, geht es direkt weiter, wenn Greg beschreibt, wie er Elinor kennen- und lieben gelernt hat: »Ich schlief am Strand am Toten Meer – in der Nähe der heißen Quellen. Und auf einmal habe ich die Wölfe heulen hören.« Doch eines der Tiere war gar kein Wolf, sondern eine nackte Frau, schlammbeschmiert, mit langen silbernen Haaren, die am Wasser stand und den Mond anheulte.
Damit bahnt sich bereits der erste Konflikt an – schließlich ist Gabrielle nicht nur Elinors Therapeutin, sondern auch ihre langjährige Geliebte, was Tochter Luna ohnehin nie gefiel, weil dadurch eine der Grundregeln in der Beziehung zwischen Therapeuten und Patienten verletzt wurde. Und beide Frauen haben ein Problem mit dem verstrahlten Greg, der sie durch die Wüste führt und dabei auftritt wie eine Mischung aus Moses und Pumuckl.
Im Aschram selbst nimmt die Geschichte eine weitere Wendung.
Im Aschram selbst nimmt die Geschichte eine weitere Wendung. Elinor erklärt überraschend, Krebs zu haben und sich keiner weiteren medizinischen Behandlung unterwerfen zu wollen, also in ihrer Höhle im Aschram in der Wüste sterben zu wollen. Aber ob das alles so stimmt oder einfach nur eine der vielen Manifestationen von Elinors bipolarer Störung ist, an der sie seit Jahren leidet und die bereits zu diversen Suizidversuchen geführt hat, ist nicht ganz klar. Denn die Krankheit bezeichnet sie als »Geschenk des Universums«, erklärt jedoch gleichzeitig, Luna und Gabrielle nicht mit Details langweilen zu wollen.
missbrauch Sehr konkret aber zeigt sich das fast schon an emotionalen Missbrauch grenzende Verhalten Elinors gegenüber Luna. Die Thematisierung und Analyse dieses im wahrsten Sinne des Wortes toxischen Mutter-Tochter-Verhältnisses dominiert auch die letzte halbe Stunde des Stücks, wobei sich die vermeintlich echte oder eingebildete Krebskranke als wahre Meisterin des passiv-aggressiven Verhaltens und der Manipulation zeigt.
Auch wenn Blood Moon Blues etwas zu abrupt endet und die Zuschauer mit einigen Fragen zurücklässt, so erweist sich das Theaterstück als ein gelungener Drahtseilakt. Denn die Thematisierung einer ernsthaften psychischen Erkrankung wie der bipolaren Störung im Rahmen einer Screwball-Comedy kann schon eine gewisse Fallhöhe mit sich bringen. Doch es funktioniert! Das Ganze wirkt wie aus einem Guss, nicht zuletzt aufgrund des Enthusiasmus, den die Schauspieler an den Tag legen, wobei das wirklich spektakulär zu nennende Bühnenbild und die düstere musikalische Begleitung einen nicht unwesentlichen Anteil haben.
»Blood Moon Blues« läuft am Gorki-Theater wieder am 27. November und am 27. Dezember.