»Waldheims Walzer«

Die Mär vom ersten Opfer

Wien, 1986: Demonstration gegen die Wahl des Politikers und früheren Wehrmachtsoffiziers Kurt Waldheim zum österreichischen Bundespräsidenten Foto: dpa

Zufälle geschehen einfach, ganz ohne geheimen Plan. Selbst wenn einer sich später als perfekt getimter Glücksfall entpuppt. Genau so ein Moment ist der Ursprung von Ruth Beckermanns Dokumentarfilm Waldheims Walzer. Im Frühjahr 1986 gehörte die Filmemacherin zu den Aktivisten, die versucht haben, die Wahl von Kurt Waldheim zum österreichischen Bundespräsidenten zu verhindern. Mit ihrer Kamera hat sie die Strategietreffen ihrer Gruppe ebenso dokumentiert wie Demonstrationen und Wahlkampfveranstaltungen in Wien.

Beinahe 30 Jahre später hat Beckermann die VHS-Kassetten, auf die sie damals das so entstandene Material überspielt hatte, wiederentdeckt. In einer Zeit also, in der Waldheims Kandidatur wie ein Vorspiel zu den aktuellen Ereignissen wirkt. Angesichts der Erfolge von Donald Trump, Marine Le Pen, der AfD in Deutschland und einer Koalition von ÖVP und FPÖ in Österreich bekommen die Kontroversen um den ehemaligen UNO-Generalsekretär tatsächlich noch einmal ­eine andere Bedeutung.

Rechtsruck Auf der einen Seite illustriert Beckermann mit ihren eigenen Videoaufnahmen, die sie mit internationalem Bild- und Nachrichtenmaterial aus dem Jahr 1986 verknüpft, das Ende der großen österreichischen Lebenslüge, Österreich und seine Bevölkerung seien die ersten Opfer des Expansionsstrebens der Nationalsozialisten gewesen.

Auf der anderen zeichnet sie einen gesellschaftlichen Rechtsruck nach, der die weltweiten Entwicklungen unserer Zeit wenn nicht vorwegnimmt, so doch zumindest ankündigt. Wer wissen will, warum der Kandidat der FPÖ 2016 fast österreichischer Bundespräsident geworden ist und wie es zu der Regierung Kurz-Strache kommen konnte, sollte nicht nur auf die Ereignisse des Jahres 2015 schauen.

Waldheims Walzer hat etwas von einer Zeitkapsel. Das gesamte Material stammt aus dem Jahr 1986, das einem so wieder ganz nahekommt. Waldheims Leugnungen und Lügen über seine Zeit als Offizier der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg und seine Verstrickungen in Kriegsverbrechen lassen noch einmal das Österreich lebendig werden, das sich einer kritischen Auseinandersetzung mit seiner Rolle während der NS-Zeit verweigert hat.

Hoffnung Die »Waldheim nein!«-Rufe, die in Beckermanns Film erklingen, sind auch Rufe für ein Österreich, dass sich seiner Vergangenheit stellt. Waldheims Wahl konnten die Aktivisten nicht verhindern, aber das Land haben sie mit ihren Aktionen dennoch verändert. Insofern gibt einem der Film auch Anlass zur Hoffnung.

Allerdings zeugen die Männer, Frauen und Kinder, die für Waldheim auf die Straße gegangen sind und sich von den antisemitischen Ausfällen einiger mächtiger FPÖ-Politiker aufpeitschen ließen, auch deutlich von den Mechanismen populistischer ­Propaganda. Es sind keine glatzköpfigen Neonazis, die auf die Anti-Waldheim-Aktivisten losgehen, sondern biedere Bürger. Meist halten sie ihre Ressentiments unter Kontrolle.

Kippt die öffentliche Stimmung jedoch nach rechts, lassen sie ihnen sofort freien Lauf. So erweist sich Beckermanns Film als eindringliche und gerade heute wieder aktuelle Illustration von Brechts Diktum: »Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.«

»Waldheims Walzer« läuft ab heute im Kino.

TV-Tipp

Paul Newman im Arte-Themenabend

Spielerdrama »Die Farbe des Geldes« und Doku über den US-Filmstar

 28.01.2025

Kassel

documenta ernennt Wissenschaftlichen Beirat

Die Einrichtung ist eine Konsequenz aus dem Antisemitismusskandal rund um die »documenta fifteen«

 28.01.2025

Hollywood

Der Unbeugsame: Zum 100. Geburtstag von Paul Newman

Rebellische Außenseiterrollen, strahlend blaue Augen, soziales Engagement, jüdischer Familienhintergrund: Der Darsteller war ein Idol seiner Zeit und hat in mehr als 80 Filmen mitgespielt

von Rudolf Worschech  28.01.2025

Tel Aviv

Quentin Tarantino will erstmal »Abba« sein, statt zu arbeiten

Der Meister-Regisseur hat noch einen letzten Film offen. Auf den müssen Fans aber noch eine Weile warten

 28.01.2025

Hollywood

Steven Spielberg wollte wegen »E.T.« Vater werden

Bei den Dreharbeiten von fühlte sich Steven Spielberg wie ein Elternteil der jungen Schauspieler am Set. Ergebnis: Ein Filmklassiker und eine Vorstellung für sein künftiges Privatleben

 27.01.2025

Archäologie

Kein Großwild, keine Höhlenmalerei

Wissenschaftler der Universität Tel Aviv geben eine originelle Antwort auf eine alte Frage

von Sabine Brandes  26.01.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Fuchur, Aurin, Taschentuch: Warum Kranksein richtig Spaß macht

von Margalit Edelstein  25.01.2025

Aufgegabelt

Kubaneh

Rezepte und Leckeres

 25.01.2025

27. Januar

Der unbekannte Held von Auschwitz

Der »Berufsverbrecher« Otto Küsel rettete Hunderten das Leben. In Polen ist er ein Held, in Deutschland fast unbekannt. Das will Sebastian Christ mit einem Buch ändern, für das er 20 Jahre lang recherchiert hat

 24.01.2025