Frau Assouline, Sie haben zwei Jahre lang im israelischen Hochsicherheitsgefängnis Ha-Sharon inhaftierte Selbstmordattentäterinnen für ihren Film »Shahida – Allahs Bräute« porträtiert, der am 9. Januar auf Arte läuft. In der Dokumentation erscheint die Einrichtung sehr farbenfroh.
Es sind die Häftlinge selbst, die dafür gesorgt haben, dass die Wände bunt bemalt sind. Die Gefängnisleitung erlaubt es ihnen.
Klingt nicht nach hartem Knast?
Als ich zum ersten Mal in das Gefängnis kam, war ich völlig überwältigt von der Art und Weise, mit der man die Gefangenen dort behandelt.
Ich hatte eigentlich gedacht, dass sich die Wärterinnen und Wärter gegenüber den Frauen sehr rau, grausam und brutal verhalten. Es war alles so völlig anders.
Und die inhaftierten Frauen? Waren die auch anders als in Ihrer Vorstellung?
Ich kannte ihre Gesichter ja nur aus den Medien. Das waren ziemlich hässliche Fotos, oft sogar ziemlich unscharf. So war ich völlig überrascht, als ich den Inhaftierten gegenüberstand. Ich sah dort sehr sanfte, feminine, schöne Frauen!
Die Frauen, so mein Eindruck, scheinen sich in dem Gefängnis wohlzufühlen. Sie bewegen sich frei, reden miteinander, man darf dort sogar Kinder bis zum zweiten Lebensjahr aufziehen.
Tatsächlich fühlen sie sich dort sehr frei. Manche sagten mir sogar, dass sie sich im Gefängnis freier als draußen fühlen.
Wie kommt das?
Im Gefängnis sind die Frauen nur unter sich, nicht unter Männern. Sie müssen also nicht so vorsichtig sein. Aber es gibt natürlich auch dort kleine Intrigen. Es ist tatsächlich so, dass man die 120 Häftlinge in zwei Gruppen geteilt hat. Auf der einen Seite sind die Frauen der Hamas und des Islamischen Dschihad, auf der anderen die der Fatah. Man muss sie voneinander trennen, sonst kommt es zu Gewalttätigkeiten.
Der Einfluss der von Männern geführten Terrorgruppen reicht also bis in das Gefängnis?
Es gab da eine Intrige zwischen zwei Frauen. Die eine gehörte zum Dschihad, die andere zur Hamas. Ich weiß nicht wie, aber die Männer draußen haben davon erfahren, dass die Frau von der Hamas der anderen Gefangenen Probleme bereitet. Also bekam die Frau der Hamas Anweisung, Ruhe zu geben. »Ich habe eine Botschaft erhalten«, sagte sie mir. Es ist definitiv so, dass in dieser Gesellschaft die Männer die Frauen beherrschen. Bis ins Gefängnis hinein. Das bedeutet, wenn sich etwas ändern soll, muss diese Veränderung von den Männern kommen. Von den Frauen wird sie jedenfalls nicht ausgehen.
Wie haben Sie als Israelin es geschafft, fanatische Antizionistinnen vor der Kamera zum Reden zu bringen?
Während der zwei Jahre, die ich an dem Film gearbeitet habe, bin ich wie auf rohen Eiern gegangen. Ich musste sehr, sehr vorsichtig sein, um das Vertrauen, das ich mir langsam aufgebaut hatte, nicht zu zerstören. Also konnte ich nur hier und da Äußerungen dokumentieren, die sie hinter der Kamera machten. Ich durfte nicht alles zeigen, dann hätte ich das Leben dieser Frauen in Gefahr gebracht.
Eine der deprimierendsten Geschichten, die Sie zeigen, ist die einer jungen Frau, die mit Brandverletzungen in ein israelisches Krankenhaus eingeliefert und dort lange Zeit behandelt wird. Und was macht sie danach? Sie will zurück in das Krankenhaus und sich dort in die Luft sprengen!
Das ist ein komplizierter Fall. Sie ist eigentlich noch ein Kind, sie war 19, als das alles geschah. Und ich weiß, dass sie sich umbringen wollte und dass ein enormer Druck auf sie ausgeübt wurde, um sie zu dem Attentat zu bewegen. Sie ist wirklich ein Opfer. Aber wenn sie vor der Kamera sagt: »Ich bereue, dass ich nicht gestorben bin und viele Juden mit in den Tod genommen habe«, dann ist sie eben kein Opfer mehr. Dann hat sie jene Linie überschritten, die Opfer von Tätern trennt.
Da ist sie nicht die Einzige. Ich hatte nicht den Eindruck, dass irgendeine dieser Frauen im Gefängnis bereut, was sie getan hat. Ganz gleich, ob sie sich selbst in die Luft sprengen wollte, Fahrerin war oder Attentäterinnen angeworben hat.
Eigentlich werden die Frauen im Gefängnis noch fanatischer. Dort kommen sie stärker als draußen mit der Ideologie in Kontakt. Eine der Frauen – sie war zwei Wochen vor ihrem geplanten Selbstmordattentat in Jerusalem gefasst worden – sagte ganz klar: »Das Gefängnis ist ein toller Ort, um Dinge zu lernen und sich weiterzuentwickeln.«
Ist unter solchen Umständen ein Ende der Selbstmordattentate überhaupt abzusehen?
In einem Buch über palästinensische Frauen habe ich gelesen, dass erst dann Hoffnung auf Veränderung besteht, wenn die Gesellschaft der Palästinenser nicht mehr von der Religion geprägt ist. Ich habe eine der Attentäterinnen gefragt, ob die Selbstmordattentate aufhören würden, wenn Israel alles Land an die Palästinenser geben würde oder wenn es eine Teilung gäbe. Ihre Antwort war: »Das reicht nicht. Der Dschihad wird nicht aufhören.«