Eigentlich ist das Ganze eine Mogelpackung. Denn von einem Buch mit dem Titel Wie man Antisemitismus bekämpft erwarten Leser neue Konzepte, Ideen oder Strategien zur Abwehr des wohl ältesten Hasses der Menschheit. Doch weit gefehlt. Bis Bari Weiss, die Autorin dieser »Streitschrift gegen Geschichtsvergessenheit, Selbstgefälligkeit und Konfliktscheu« endlich ihre Forderungen und Empfehlungen formuliert, ist man bereits auf Seite 173 angelangt.
Zuvor aber wird einem ein Parforceritt durch die Irrungen und Wirrungen der progressiven Milieus sowie der Welt der »Alt Right«-Aktivisten in den Vereinigten Staaten geboten, der es in sich hat. Und weil viele dieser Entwicklungen – manchmal mit ein wenig Verspätung und den lokalen Gegebenheiten angepasst – auch hierzulande aufgegriffen werden, ist ihr Buch für ein deutsches Publikum mindestens so lesenswert wie für ein amerikanisches.
ARBEITGEBER Und die Journalistin weiß, wovon sie redet. 2020 hatte sich Weiss Knall auf Fall von ihrem damaligen Arbeitgeber, der »New York Times«, verabschiedet, weil sie, die progressive, jüdische und lesbische Feministin, sich wegen ihrer abweichenden Meinungen schikaniert und sogar bedroht fühlte.
Die bei ihrem vorherigen Arbeitgeber, dem »Wall Street Journal«, als Linksaußen geltende Kolumnistin und Meinungsredakteurin hatte einige kritische Worte über die #MeToo- oder »Black Lives Matter«-Bewegungen verloren, was ihr nicht nur Shitstorms seitens der Leser bescherte, sondern ebenfalls innerhalb der Redaktion, wo sie nach ihrer Aussage auch schon mal als »Nazi« verunglimpft wurde. Das alles sollte sie mehr als nur irritieren, weshalb sie in den Angriffsmodus gegen den »woken« Gesinnungsterror überging.
In der Redaktion der »New York Times« fühlte sie sich schikaniert.
Ein weiterer Wendepunkt in ihrem Leben war die Schusswaffen-Attacke von Pittsburgh im Jahr 2018, bei der elf Menschen ermordet wurden. »Meine Batmizwa fand 1997 in der Tree of Life Synagogue statt.« Auch wohnen ihre Eltern in unmittelbarer Nachbarschaft. Entsprechend groß war damals die Sorge um Familie oder Bekannte, weshalb sie mit ihrer Schwester Molly telefonierte, die Weiss wiederum berichtete, was sie gerade im Polizeifunk über den Täter gehört hatte, und zwar: »Er schreit, dass alle Juden sterben müssen.«
»Ich wusste zu dem Zeitpunkt noch nicht, dass dieser Satz die Zeit in ein Vorher und ein Nachher einteilen würde.« Für sie sollte das Ereignis zu einem »Weckruf« werden, was dazu führte, dass sie sich mit dem Thema Antisemitismus intensiver als zuvor zu beschäftigen begann. Daraus entstand das Buch, in dem Weiss die Unterschiede zwischen den auffällig gewordenen Lagern an den politischen Rändern ebenso herausfiltert wie ihre Gemeinsamkeiten.
»Die extreme Rechte verurteilt Juden als Internationalisten, als unzureichend weiß und an universalistischen Werten festhaltend«, schreibt sie eingangs. Außerdem konnte der alte Vorwurf einer jüdischen Doppelloyalität dank US-Präsident Donald Trump, der in einer Rede vor der Republican Jewish Coalition von Benjamin Netanjahu als »eurem Premierminister« sprach, ein Comeback erleben.
OPFER Bei der Linken dagegen, so ihre Beobachtungen, wird den Juden das Recht abgesprochen, sich als Volk zu definieren. »Sie bekämpft das jüdische Selbstbestimmungsrecht, indem sie Israel als singulär dämonischen Staat darstellt.« Zudem weigere man sich in progressiven Kreisen, Juden überhaupt als Opfer von Hassverbrechen anzuerkennen, weil diese ja »weiß« und somit »privilegiert« seien.
Dabei richtet sich mehr als die Hälfte der gemeldeten Vorfälle gegen Juden, und das, obwohl sie gerade einmal ein paar Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen. Zudem akzeptierten diese Zirkel Juden nur dann, wenn sie Israel zur Hölle wünschten und sich selbst nicht unbedingt als Juden zu erkennen gäben. »Während der Antisemitismus einst die Kennzeichnung von Juden verlangte, fordert der heutige Antisemitismus, dass sie in bestimmten progressiven Kreisen sich unkenntlich machen.«
Die Linke spricht den Juden das Recht ab, sich als Volk zu definieren.
Weiss nimmt nicht für sich in Anspruch, besonders originell zu sein oder völlig neue Einsichten zum Thema zu vermitteln. Was ihr Buch aber so lesenswert macht, ist die Verve, mit der es verfasst wurde – und die intellektuelle Prägnanz, wenn es darum geht, zu zeigen, was unterschiedliche Milieus, die auf den ersten Blick wenig gemeinsam haben, plötzlich vereint. »In den Augen des Antisemiten ist der Jude hingegen … alles.« Es sei nicht der tatsächliche Jude, den die meisten von ihnen hassen würden, obwohl viele garantiert noch nie einen zu Gesicht bekommen hätten, sondern das, was sie auf ihn projizierten: »Er ist, was er für den Antisemiten sein soll.«
Und nun zu ihren Vorschlägen, wie man den Antisemitismus bekämpft. Manche davon sind sehr auf die amerikanischen Verhältnisse zugeschnitten. Andere dagegen sollten auch hierzulande aufgegriffen und diskutiert werden – beispielsweise ihre Forderung, sich einer hierarchisierenden Identitätspolitik vehement zu widersetzen.
Außerdem darf es kein Wegschauen bei denjenigen geben, die man für politisch Gleichgesinnte hält. »Aber wir müssen gegenüber dem Antisemitismus unserer Verbündeten genauso intolerant sein wie gegenüber dem unserer Feinde.« Denn eines steht für sie fest: »Zum Leidwesen von uns Juden können wir uns nicht aussuchen, wer uns hasst.«
Bari Weiss: »Wie man Antisemitismus bekämpft«. Edition Tiamat, Berlin 2022, 200 S., 20 €