Jahrestag

Die Lösung von gestern

Als das Wünschen noch geholfen hat: Yitzhak Rabin, Bill Clinton und Jassir Arafat in Washington am 13. September 1993 Foto: Reuters

Der Spätsommer 1993 war eine Zeit des Umbruchs in Israel. Die Arbeitspartei war ein Jahr zuvor, nach 15 Jahren Opposition, unter der Führung des ehemaligen Generalstabschefs Yitzhak Rabin an die Regierung gekommen. Nicht nur Israel, auch Europa hatte sich grundlegend verändert. Die Mauer war gefallen, der Kalte Krieg vorbei. Nun sollte auch Frieden im Nahen Osten geschlossen werden. Am 13. September des Jahres schüttelten Arafat und Rabin sich in Washington die Hände und unterzeichneten das sogenannte Oslo-Abkommen. Der Nahostkonflikt sollte endlich und endgültig gelöst werden.

mantra Hier genau liegt das Problem des Abkommens. Das Scheitern war in der Lösungsillusion programmiert. 20 Jahre nach der Unterzeichnung am 13. September 1993 kann man trotz und wegen aller Verhandlungen mit ruhigem Gewissen sagen, dass Oslos Andenken gesegnet sei. Die Vereinbarung hat das Attentat auf Yitzhak Rabin am 4. November 1995 – etwas mehr als zwei Jahre nach der Unterschrift in Washington – nicht überlebt. Frieden hat Israel danach mit sich selbst geschlossen. Angesichts der Konflikte in den Nachbarländern ist das schon eine große Leistung.

Oslo überlebte aber in der Fantasie der internationalen Politik und sucht sie seither heim wie ein Zombie. Die Politik in Israel und in den Gebieten der Palästinenser muss sich dem Diktat der globalen Umwelt beugen und so tun, als ob Oslo lebt. Und so redet man mantramäßig weiter über zwei Staaten, als ob es das Normalste der Welt sei, dass die Vorgaben von vor 20 Jahren der einzige Ausweg aus der Nahostkrise seien.

Dabei glauben viele gerade außerhalb der Region, dass es nur darauf ankommt, wer in Israel regiert und wer in Ramallah, damit Oslo wieder relevant wird. Als ob das Problem bei den Regierungen läge und nicht beim Abkommen selbst, dass versuchte, die grundlegenden Probleme wie Jerusalem, die Flüchtlingsfrage und die Ausübung jüdischer Souveränität einfach auszuklammern, und glaubte, die Probleme von 1948 mit Detailfragen von 1967 lösen zu können.

Das ständige Beschwören der Zweistaatenlösung lässt alle verstummen, die nicht glauben, dass ein weiterer Staat zwischen Kfar Saba und dem Jordantal die vernünftigste Lösung ist. Gewiss, die Argumente für zwei oder sogar vielleicht drei Staaten – wenn wir davon ausgehen, dass die Palästinenser heute auch schon aus mehreren Volksgruppen bestehen – sind zunächst sehr überzeugend. Auch, weil die oft herbeigedachte Alternative eines binationalen Staates nicht funktionieren kann.

Das ist eine Lösung für Gesinnungsethiker, die weit weg vom Nahen Osten leben. Ihre Idee geht davon aus, dass die meisten Menschen so ticken wie Intellektuelle. Aber das tun sie nicht. Sowohl Juden in Israel als auch Palästinenser brauchen ihre nationale Identität. Und das Verhältnis von ethnischen Mehr- und Minderheiten ohne verbindliche Leitkultur birgt gerade im Nahen Osten, wie man aktuell sieht, großes Gewaltpotenzial.

narrative Kann man die Probleme des 21. Jahrhunderts wirklich nur mit den Begrifflichkeiten des 19. Jahrhunderts lösen? Warum traut man sich nicht, außerhalb von staatlicher Souveränität zu denken?

Klar ist, dass eine große und immer größer werdende Gruppe von Menschen des Konfliktes müde ist. Man will den Frieden, man wartet auf ihn und hofft auf eine fast schon religiöse Art, dass er ausbrechen wird. Doch es fehlt die politische Sprache, wie das erreicht werden kann. Oslo und die damit verbundenen Illusionen stehen dabei mehr im Weg, als dass sie die Lösung vorwärts bringen. Es muss auch jenseits von links (für zwei Staaten) und rechts (gegen zwei Staaten) oder ganz links und rechts (ein Staat) gedacht werden.

Natürlich stehen sich die gegensätzlichen nationalen Narrative konträr im Weg. Der Zionismus ist schließlich nicht nur religiöse und säkulare Erfüllung des Traumes von der Ausübung der jüdischen Souveränität über das eigene Territorium. Er ist auch die Verwirklichung einer Politik des »Nie wieder«, die von der Geschichte auf grausamste Art bestätigt wurde. Dass sie diese Souveränität je aufgeben, ist von den Juden in Israel nicht zu erwarten.

Für die Palästinenser wiederum ist es gerade diese jüdische Souveränität, die ihre Katastrophe signalisiert. 1948 ist für die Juden Israels der Beginn einer neuen Zeit als freies Volk im eigenen Land, während für die Palästinenser 1948 den Beginn von Vertreibung, Flucht und Unterdrückung bedeutet. Es wird wohl unmöglich sein, diese beiden Narrative innerhalb einer einzigen Souveränität aufzuheben. Aber heißt das gleichzeitig, dass zwei antagonistische Erzählungen nur über zwei souveräne Staaten ins Reine gebracht werden können? Der Konflikt von 1948 kann nicht durch die Aufhebung von 1967 gelöst werden.

zwischenschritte Zumal eine Zweistaatenlösung die materiellen und ideellen Interessen sowohl der jüdischen Siedler als auch der radikalen Islamisten auf palästinensischer Seite ignoriert. Zu glauben, man könne Frieden über die Köpfe dieser Menschen hinweg machen, ist ein Hirngespinst.

Es wird Zeit, jenseits der Zweistaatenlösung und Oslo zu denken und zu sprechen. Was sind die Alternativen? Traumhaft, aber leider unwahrscheinlich, dass die Europäische Union Juden und Palästinenser einlädt, Teil der EU zu werden, mit teilweiser Aufgabe von Souveränität, offenen Grenzen und gemeinsamer Eurowährung. Also müssen beide Seiten weiter verhandeln, im Bewusstsein, dass der Konflikt in dieser und wahrscheinlich auch in der nächsten Generation nicht zu lösen sein wird.

Aber Zwischenlösungen sind möglich. Vorausgesetzt, man verständigt sich auf eine historisch-pragmatische Ethik, deren Gültigkeit und Geltung aus der beiderseitigen Erfahrung historischer Katastrophen erwächst und das Schlimmste verhüten will. Keine Seite muss dabei zugestehen, dass der Konflikt beendet sei. Denn er wird es nicht sein. Aber möglicherweise wird man mit ihm besser umgehen können. Dazu gehört allerdings eine radikale Klarheit darüber, was im Nahen Osten geht und was nicht. Und Oslo geht nicht.

Ausstellung

Das pralle prosaische Leben

Wie Moishe Shagal aus Ljosna bei Witebsk zur Weltmarke Marc Chagall wurde. In Düsseldorf ist das grandiose Frühwerk des Jahrhundertkünstlers zu sehen

von Eugen El  17.04.2025

Sachsenhausen

Gedenken an NS-Zeit: Nachfahren als »Brücke zur Vergangenheit«

Zum Gedenken an die Befreiung des Lagers Sachsenhausen werden noch sechs Überlebende erwartet. Was das für die Erinnerungsarbeit der Zukunft bedeutet

 17.04.2025

Bericht zur Pressefreiheit

Jüdischer Journalisten-Verband kritisiert Reporter ohne Grenzen

Die Reporter ohne Grenzen hatten einen verengten Meinungskorridor bei der Nahost-Berichterstattung in Deutschland beklagt. Daran gibt es nun scharfe Kritik

 17.04.2025

Interview

»Die ganze Bandbreite«

Programmdirektorin Lea Wohl von Haselberg über das Jüdische Filmfestival Berlin Brandenburg und israelisches Kino nach dem 7. Oktober

von Nicole Dreyfus  16.04.2025

Meinung

Nur scheinbar ausgewogen

Die Berichte der Öffentlich-Rechtlichen über den Nahostkonflikt, wie die von Sophie von der Tann, sind oft einseitig und befördern ein falsches Bild von Israel

von Sarah Maria Sander  16.04.2025

Serie

»Inglourious Basterds«-Star spielt in »Fauda« mit

Sicher ist, dass die fünfte Staffel von »Fauda« kommt. Unsicher ist noch, welche Rolle die Französin spielen wird

 15.04.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 17. April bis zum 1. Mai

 15.04.2025

Graphic Novel

»Lodzia und Marysia« erzählt Geschichte von Schoa-Überlebenden

Das Buch widmet sich dem Leben von Leokadia Justman und ihrer Freundin im Nationalsozialismus. Verfolgung, Flucht und Mut stehen im Mittelpunkt dieses außergewöhnlichen Comics.

 15.04.2025

Europa

Spanien stellt Teilnahme Israels am Musikwettbewerb ESC infrage

Beim Eurovision Song Contest soll es eigentlich um Musik gehen. Doch die Politik spielt immer öfter mit hinein. Aktuell droht eine neue Debatte um Israel. Grund ist der Krieg im Gazastreifen

 14.04.2025