Kein anderes Land der Welt, darauf weist man hierzulande oft und gerne stolz hin, hat sich so intensiv mit den dunklen Seiten seiner Geschichte auseinandergesetzt wie Deutschland. In der Tat: Die Schoa ist in Wissenschaft, Erziehung, Politik, Kultur und Medien der Bundesrepublik ein ständiges Thema. Die Spitzen von Staat und Gesellschaft mahnen immer wieder zur Erinnerung, ob beim Holocaust-Gedenken im Bundestag am 27. Januar oder aktuell zur »Woche der Brüderlichkeit«.
Auch fast 75 Jahre nach dem Völkermord erscheinen neue Bücher über den Holocaust und werden heftig diskutiert, wie zuletzt Takis Würgers Roman Stella. Kaum ein Tag vergeht, ohne dass vor Wohnhäusern Stolpersteine zum Gedächtnis an deportierte und ermordete frühere Bewohner verlegt werden. Mehr Erinnerung geht kaum.
SA-TRUPPFÜHRER Schade nur, dass das Gedenken in den Köpfen und Herzen der Bürger nicht wirklich anzukommen scheint. Jedenfalls nicht, wenn es um die eigene Familiengeschichte geht. Dietmar Hopp, Gründer des Softwarekonzerns SAP, hat der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung« ein Interview gegeben. Darin ging es auch um seinen Vater. Emil Hopp war SA-Truppführer in Hoffenheim. Unter seinem Kommando zerstörten im November 1938 die örtlichen Nazis die Synagoge der badischen Kleinstadt. Die meisten Hoffenheimer Juden wurden später deportiert und ermordet.
Der Täter als Opfer. Es ist die alte Leier.
Dietmar Hopp kennt natürlich diesen Teil der väterlichen Biografie. Und selbstverständlich distanziert er sich davon. »Was er getan hat, ist zu verurteilen«, erklärte der Unternehmer der FAS. Hätte er es nur bei diesem einen Satz belassen. Stattdessen schob er sofort eine Art Relativierung nach: »Auch wenn niemand dabei gestorben ist.« War also nicht so schlimm. Ein Fall von minder schwerer Schuld, sozusagen.
Und weil Dietmar Hopp gerade schon dabei war, folgten gleich noch die mildernden Umstände. »Mein Vater war Lehrer. Als er 1938 den Auftrag bekam, die Synagoge in Hoffenheim zu zerstören, hatte er schon drei Kinder, meine älteren Geschwister. Hätte er es nicht gemacht, wäre er entlassen worden, und seine Familie wäre einer hoffnungslosen Zeit entgegengegangen.«
Dietmar Hopp kennt die hässlichen Fakten. Doch er versucht, sie wegzureden.
Der Täter als Opfer. Es ist die alte Leier: Wir haben nur mitgemacht, weil wir sonst selbst dran gewesen wären. Dabei ist die Legende vom »Befehlsnotstand«, der brave Deutsche gegen ihren Willen nötigte, Juden zu verfolgen, historisch längst widerlegt. Sie waren nicht gezwungen. Sie machten es aus eigenem Antrieb. Im Fall Emil Hopp nachweislich: Bereits 1935, drei Jahre vor der Pogromnacht, war der SA-Sturmführer mit seinen braunen Kameraden in die Hoffenheimer Synagoge eingedrungen, um den dort lebenden Synagogendiener zu verprügeln.
Dietmar Hopp kennt die hässlichen Fakten. Doch er versucht, sie wegzureden. Damit steht er nicht allein. Wenn es um ihre Mütter, ihre Väter geht, hört man von Millionen anderen Deutschen Ähnliches. Faule Ausreden sind immer bequemer als die unangenehme Wahrheit. Nicht nur in der Familie Hopp.