Porträt

Die Kunst des Make-up

Komplexe Blickbeziehungen: »Russisches Mädchen mit Puderdose« von 1928 Foto: Städel Museum – ARTOTHEK © VG Bild-Kunst, Bonn 2014

Frau, Künstlerin, Jüdin, von den Nazis um ihre Karriere betrogen, womöglich eine gleichgeschlechtliche Beziehung pflegend – das sollte genügen, um neugierig zu machen auf Lotte Laserstein (1898–1993). Das Frankfurter Städel Museum hat für 175.000 Euro von der schwedischen Stadt Nybro für seine Sammlung der Moderne ihr Bild »Russisches Mädchen mit Puderdose« von 1928 erworben, eine Kostbarkeit in Öl auf Holz, nicht größer als eine Designer-Handtasche: Die in Preußisch Holland bei Königsberg geborene Malerin wollte Menschen betören, deren Geschäft die Schönheit ist. Das gelang.

Absichtsvoll hatte die 30-Jährige damals die Kunst des Make-up als Motiv ihres Gemäldes für den Wettbewerb »Das schönste deutsche Frauenporträt« gewählt, ausgelobt vom Kosmetikkonzern Elida in Zusammenarbeit mit dem Reichsverband bildender Künstler. Man zählte so viele Einreichungen wie das Jahr Tage hat.

avantgarde
Laserstein hielt an der Spitze mit. Die begabte Porträtmalerin kam mit dem nussäugigen Mädchen, das mithilfe des Spiegels einer Puderdose konzentriert seinen Teint bearbeitet, während es in einem zweiten großen Spiegel den Sitz der schicken Kurzhaarfrisur prüft, unter die 26 Finalisten, deren Werke in der Galerie Fritz Gurlitt gezeigt wurden.

Es war ein lange gehegter Wunsch der Frankfurter Galerie, ein Werk der Künstlerin zu besitzen, die bis ins hohe Alter von 92 Jahren malte und inzwischen als Schlüsselfigur der Avantgarde anerkannt ist, wenngleich ihr Name dem breiten Publikum noch nichts sagt. »Ich war bereits seit mehreren Jahren auf der Suche nach einem Bild von Laserstein«, sagt Sammlungsleiter Felix Krämer: »Beim ›Russischen Mädchen‹ faszinieren mich unter anderem die komplexen Blickbeziehungen.«

Im Städel hat das junge Mädchen mit den auffallend kräftigen Händen einen Platz neben Otto Dix gefunden. »Kunstgeschichtlich würde ich sie in der Neuen Sachlichkeit verorten, wobei ihren Werken die Härte vieler in diesem Zusammenhang entstandener Bilder fehlt«, sagt Krämer. »Lasersteins Gemälde haben stets eine gewisse Intimität, ihre Protagonisten bleiben für sich, behalten ihre Geheimnisse.«

muse Ihre eigenen Geheimnisse hat auch die Künstlerin sorgsam gehütet. Die selbstbewusste Berlinerin, eine der ersten Frauen, die in Deutschland Malerei studierten, war ein aufregender Frauentyp, nicht nur optisch. Über ein Liebesverhältnis mit ihrer Muse Traute Rose wird spekuliert. Lotte Laserstein hatte die Schauspielerin und Sängerin, sechs Jahre jünger als sie und damals Ehefrau des Berliner Theaterintendanten Paul Rose, 1925 kennengelernt. Traute Rose, die später in Filmen wie Heiratsbüro Fortuna (1936) und Ehe in Dosen (1939) spielte, begleitete Lasersteins Karriere von Anfang an und saß ihr Modell, bis ihre Freundin 1937 emigrieren musste.

1928, als das »Russische Mädchen« entstand, war Lotte Laserstein noch ein unbeschriebenes Blatt. Erst im Jahr zuvor hatte sie ihr Studium an den Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst in Berlin beendet, die in der Bauhaustradition standen. Der Elida-Wettbewerb bot der Malerin Gelegenheit, ihren Marktwert zu prüfen. Insofern kann das Bild des Mädchens, das den Spiegel befragt, biografisch als Testbild im doppelten Sinne betrachtet werden. Es steht für die ehrgeizige Nachwuchskünstlerin selbst, die sich in einer Männerdomäne der kritischen Öffentlichkeit präsentiert.

Durch den Elida-Erfolg bekam Laserstein 1931 bei Fritz Gurlitt ihre erste Einzelausstellung. Der Erfolg währte indes nur kurz. Ab 1933 wurde die Malerin, deren Mutter 1943 im KZ Ravensbrück starb, als »Nichtarierin« stigmatisiert. Aus dieser Zeit stammt ein Foto, das Traute Rose von ihrer Freundin machte: Laserstein hält ihren in den Nacken gelegten Kopf mit beiden Händen, als wolle sie ihn abnehmen wie eine Maske. 1937 ging sie nach Schweden und überlebte dort mit Auftragsarbeiten. Sie starb 1993 im südschwedischen Kalmar, vier Jahre vor Traute Rose, die ihre letzten Jahre in Baden-Baden verbrachte.

Œuvre
Städel-Sammlungsleiter Felix Krämer hofft, dass es dank des Frankfurter Ankaufs gelingt, »das Interesse an dieser großartigen Künstlerin wachzuhalten«. Rund 10.000 Arbeiten umfasst Lotte Lasersteins Gesamtwerk. Für ihre Berliner Zeit lassen sich rund 300 Gemälde und 100 Zeichnungen nachweisen. Der dokumentarische Nachlass befindet sich in Berlin, die Bilder zumeist in Privatsammlungen in Skandinavien, England, den USA und Deutschland.

Internationale Anerkennung erfuhr die Künstlerin erst wenige Jahre vor ihrem Tod dank einer Ausstellung in London. Das »Verborgene Museum« in Berlin realisierte 2003 die erste Retrospektive, Anna-Carola Krausse hatte mit ihrer Doktorarbeit Grundlagenforschung betrieben sowie Erhellendes publiziert über Lasersteins jüdische Identität und die Repressalien, denen sie ausgesetzt war. Die melancholische Fünf-Personen-Studie »Abend über Potsdam«, 1930 gemalt mit Traute Rose als Rückenfigur und unlängst von der Neuen Nationalgalerie Berlin erworben, soll dort künftig eine Position einnehmen, an der man nicht vorbeikommt.

Auch auf dem Kunstmarkt ist Laserstein neuerdings präsent. Bei Lempertz kommt am 28. November – ihrem 116. Geburtstag – das Gemälde »Alter Mann mit Mädchen auf der Treppe« zum Aufruf und soll bis 60.000 Euro bringen. Lotte Laserstein betritt endlich sichtbar für alle die Kunstgeschichte der Moderne.

Kunst

»Das Alef sitzt dort allein«

Fishel Rabinowicz ist im Alter von 100 Jahren gestorben. Lesen Sie hier unser letztes Interview mit dem Schweizer Schoa-Überlebenden

von Peter Bollag  01.11.2024 Aktualisiert

Meinung

Antisemitische Scheinheiligkeit im Kulturbetrieb

Sally Rooney klagt in einem neuen Boykottaufruf Israel an, schweigt aber zu Unrechtsregimen wie dem in China

von Jacques Abramowicz  31.10.2024

Australien

Thom Yorke stellt Störer zu Rede

Der Konzertteilnehmer hatte den Sänger aufgefordert, sich zum Gaza-Krieg zu positionieren

 31.10.2024

Kolumne

Jerry Seinfeld, rette mich!

Wenn die Gleichzeitigkeit von Raketen auf Israel und Kaffeetrinken in Berlin mich durchdrehen lässt, brauche ich eine forcierte Übersprungshandlung

von Sophie Albers Ben Chamo  31.10.2024

Sehen!

»Riefenstahl«

Andreas Veiel entlarvt in seinem Film die Bildmanipulatorin zwischen Hitler-Hype, radikaler (gespielter?) Naivität und Ehrgeiz

von Jens Balkenborg  31.10.2024

Frankfurt am Main

Goethe-Universität und Jüdische Akademie kooperieren

Neben gemeinsamen Forschungsprojekten soll es auch eine Zusammenarbeit bei Vorlesungsreihen, Workshops, Seminaren, Konferenzen sowie Publikationen geben

 31.10.2024

Kultur und Unterhaltung

Sehen, Hören, Hingehen

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 31. Oktober bis zum 7. November

 31.10.2024

Frankfurt am Main

Sonderausstellung zu jüdischer Trauerkultur

Die Schau informiert auch über Vorstellungen des Judentums von Unterwelt und Jenseits, besondere Trauerrituale und Formen des Totengedenkens

 30.10.2024

Berlin

Israelsolidarische Kneipe »Bajszel« attackiert

Zum wiederholten Mal gab es einen mutmaßlich antisemitischen Anschlag auf die Neuköllner Kulturkneipe

von Ralf Balke  30.10.2024