Hat der Kunsthändler und Mäzen Heinz Berggruen (1914–2007) die Bundesrepublik und das Land Berlin über den Tisch gezogen, unter Ausnutzung deutscher Schuldgefühle aufgrund der Schoa? Diese These vertritt ein vorige Woche herausgekommenes Buch namens Heinz Berggruen – Leben und Legende. Die Autorin Vivien Stein war bisher ebenso unbekannt wie der erst im Juni dieses Jahres gegründete Verlag »Edition Alpenblick« in Zürich, wo die Biografie als bis dato einziger Titel erschienen ist.
Das Buch wäre unter solchen Umständen wahrscheinlich nicht einmal ignoriert worden, hätte nicht die Süddeutsche Zeitung vergangenen Samstag mit einer ganzseitigen lobenden Besprechung von Stephan Speicher ihr Feuilleton aufgemacht.
»Judenkarte« Heinz Berggruen, 1914 in Berlin-Wilmersdorf geboren, war 1936 vor den Nazis in die USA geflüchtet. Nach dem Krieg ließ er sich in Paris nieder und wurde Kunsthändler. Zu den Malern, die er vertrat, zählten Picasso, Matisse, Chagall und Miró, mit denen Berggruen auch befreundet war. Er selbst baute in dieser Zeit eine Privatsammlung mit Werken dieser und anderer Größen der Moderne auf. 1996 kehrte Heinz Berggruen in seine Geburtsstadt zurück, nahm die deutsche Staatsbürgerschaft wieder an und überließ seine Sammlung für umgerechnet 126 Millionen Euro dem Bund und dem Land Berlin. Die Bilder hängen seitdem im nach ihm benannten Museum Berggruen nahe dem Schloss Charlottenburg.
Laut Wikipedia-Eintrag zu Berggruen lag die Kaufsumme von 126 Millionen weit unter dem Schätzwert der Sammlung von rund 750 Millionen Euro. Vivien Stein dagegen hält den Kaufpreis für völlig überzogen. Zustande gekommen sei er nur, weil der Sammler »die Judenkarte gespielt« habe. Rezensent Speicher sekundiert ihr: Heinz Berggruen habe eine »Schwäche genutzt«, nämlich »das Gefühl der Deutschen für ihre Schuld an den Juden«.
marktwert Das rief Michael Naumann auf den Plan. Der heutige Chefredakteur der Zeitschrift Cicero war im Jahr 2000, als die Sammlung Berggruen erworben wurde, der dafür zuständige Kulturstaatsminister der Regierung Schröder. Nicht die »Judenkarte« habe Berggruen gezogen, schrieb Naumann am Montag dieser Woche im Berliner Tagesspiegel. »Es war die Picasso-Karte.« Und über den Tisch gezogen worden sei man auch nicht, ganz im Gegenteil: Die Sammlung habe heute mutmaßlich einen Marktwert von einer Milliarde Euro.
Naumann wirft Vivien Stein ein »denunziatorisches Werk« vor, in dem »eine auffällig unangenehme Rolle ... der Verweis auf das Judentum des Sammlers« spiele«. Von einem »Stück von bösem Journalismus« spricht im selben Blatt Rüdiger Schaper, der dem Rezensenten Stephan Speicher attestiert, dass »er ekelhafte Vorurteile breitklopft und die alte Story vom halbseidenen, erfolgs- und listenreichen jüdischen Geschäftsmann nacherzählt«.