Siegen? Sie hat Ja gesagt. Und das ist bei Miriam Cahn kein Automatismus. Gefasst sollte grundsätzlich sein, wer bei der Schweizer Künstlerin anfragt, um etwas bittet, etwas vorschlägt. Die Antwort kann ein Ja sein, aber auch ein Nein; ein Dazwischen gibt es kaum. Nicht in ihrer Kommunikation und auch nicht in ihrem Werk.
Miriam Cahns Werke hängen unter anderem im Museum of Modern Art in New York und der Tate Modern in London. In Siegen ist die Schweizerin am vergangenen Sonntag für ihre eigensinnige, ausdrucksstarke malerische Position mit dem 14. Rubenspreis der Stadt ausgezeichnet worden.
Würdigung Die Jury unter Vorsitz von Philippe Pirotte, Professor für Kunstgeschichte und Curatorial Studies an der Städelschule in Frankfurt, würdigte damit auch die »bewusst feministische, unabhängige und kompromisslose Haltung« der Künstlerin, deren Malerei sich »frei von akademischen Regeln in unterschiedlichsten Formen und Materialien« entfaltet habe.
Im Zentrum ihres Œuvres steht der Körper in seiner Fragilität und Ausgesetztheit, auch gegenüber äußeren Faktoren. Es geht Miriam Cahn um den Menschen. Das zeigt sie in der Überblicksausstellung im Museum für Gegenwartskunst Siegen, mit welcher der Rubenspreis, dotiert mit 25.000 Euro und seit 1957 vergeben, jeweils auch verbunden ist.
Die Möglichkeit, das zu sagen, was ihr künstlerisch und auch gesellschaftspolitisch wichtig ist, hat sie elektrisiert. In 14 Räumen kann sie hier ihre Themen setzen, kann ihre mal groß-, mal kleinformatigen, aber immer gleichwertig einzuordnenden Bilder zeigen.
FARBEN Zwischen Leben und Tod, verletzlich und verletzend, in einer Welt, die schön und schrecklich sein kann, rot und gelb und grün, aber auch tiefschwarz. Landschaften, Personen, Tiere, Pflanzen, militärisches Gerät … alles stellt sie unter die Überschrift MEINEJUDEN und verbindet mit diesem Buchstabencluster das Ich mit den anderen, drückt Nähe aus und Fremde.
Ihre Bilder ergreifen. Wie jenes mit dem Titel »schnell weg!, 27.+30.1.2021«, das einen Mann mit Kind mit Puppe zeigt: zwei Menschen, die zueinander gehören, verloren in einer Ödnis. Der Blick des (womöglichen) Vaters ist leer, das Kind muss er ziehen, mit langem Arm; schnell weg möchte der/die/das Kleine nicht.
Miriam Cahn, geboren 1949 in Basel und im Bergell zu Hause, definiert sich als Jüdin. Der Vater, der Archäologe und Numismatiker Herbert A. Cahn, war Jude. Er emigrierte 1933 aus Frankfurt am Main in die Schweiz. Miriam Cahns Mutter, in Paris aufgewachsene Auslandsschweizerin, war keine Jüdin.
Vom Museum Bührle forderte Cahn nach dem Streit um Raubkunst ihre Arbeiten zurück.
Doch jüdisch-mütterliche Tradition hin oder her, sie bestimme, »wer jüdisch ist in meinem Fall«, so die Künstlerin im Interview, die ihre Identität durchaus in ihrem Namen begründet sieht. Sie ist eine Cahn, und dieser Name führt zurück zu den Kohanim, den Priestern im Tempel von Jerusalem, die Autoritäten mit besonderer Verantwortung waren.
Anspruch Es sei ihr Anspruch, wehrhaft zu sein, »als Kriegerin« aufzutreten, gegen das Klischee vom Jüdischsein zu kämpfen, sagt sie. Der wie nebenbei unter Freunden an einem Silvesterabend hingeworfene Satz »Die Juden sind mir aber unsympathisch« war für sie ein Schlüsselerlebnis, weil sie sich nicht gleich dagegen verwehrte.
Cahn machte Schlagzeilen, als sie Ende 2021 ankündigte, ihre Werke »wegen dem Bührle« aus dem gerade neu eröffneten Kunsthaus Zürich abziehen zu wollen. Zu unscharf war ihr der Umgang mit der dort integrierten Sammlung des Waffenfabrikanten Emil Georg Bührle (1890–1956), dazu empören sie Äußerungen der Kunsthaus-Leitung in der Öffentlichkeit.
Und so fordert sie ihre Arbeiten zurück, will sie zum Originalpreis herauslösen und hat damit »anscheinend eine Bombe gelegt«. Dieses »starke Zeichen«, wie das Schweizer »Tagblatt« schreibt, decke auf, wie abhängig der Kunstmarkt vom »schmutzigen Geld« sei. Es sei ihre Pflicht, sagt Miriam Cahn, dem vehement zu begegnen. Kunst zu kaufen, um sich vom Vergehen weißzuwaschen, das zähle nicht.
»Arisierung« Zahlen sollen sie, findet Miriam Cahn, all jene, die aus der »Arisierung« der Nazis Profit schlugen. Vom »Holocaustgedenkstättenwahn in Deutschland« hält sie gar nichts, wie sie im Dezember 1997 in einem Brief an den Konzeptkünstler Jochen Gerz schreibt. Sie spricht von »Pseudowiedergutmachung«. In ihrer Ausstellung MEINEJUDEN zeigt Miriam Cahn zwar die Vernichtungsstätten des millionenfachen Judenmordes, verharrt aber nicht im Blick auf Vergangenes. Sie fragt im Heute zornig nach der Würde des Menschen. Und sie zeigt, wie schlecht es um sie steht.
Dass die widerständige, manchmal auch trotzköpfige Künstlerin beim Rubenspreis tatsächlich Ja (»I nehm’s«) gesagt hat, darf man durchaus als Auszeichnung verstanden wissen. Denn Miriam Cahn scheut keine Konflikte. Sie war 1982 bereits zur documenta 7 eingeladen, brach dort aber wegen Meinungsverschiedenheiten ab – der Kurator wollte Bilder eines anderen Künstlers zusätzlich zu ihren hängen. An der 14. documenta 2017 in Kassel nahm die Künstlerin teil.
Dass die Eröffnung von MEINEJUDEN just in die Diskussion um den Antisemitismus-Skandal bei der documenta fifteen fällt, zeigt, wie wichtig Miriam Cahns Stimme ist. Dem Deutschlandfunk Kultur sagte sie, die Leitung der Weltkunstausstellung in Kassel habe komplett versagt. Und was sei das Resultat? »Am Schluss fällt alles auf die Juden, wie immer.«
Die Ausstellung »MEINEJUDEN« wird in Siegen bis zum 23. Oktober gezeigt.