Kaum war im August 2018 ihre Besetzung für die titelgebende Hauptrolle der TV-Serie Batwoman bekannt gegeben worden, fand sich die australische Schauspielerin Ruby Rose inmitten eines gewaltigen Shitstorms wieder.
Den einen war sie nicht lesbisch genug, da sie sich selbst als »genderfluid« bezeichnet; anderen wiederum war sie nicht jüdisch genug, weil sie nun einmal nicht jüdisch ist. Als die massive Kritik auf Social-Media-Plattformen wie Twitter und Tumblr nicht abriss, verabschiedete sich Ruby Rose schließlich von Twitter und schränkte auch die öffentliche Kommentarfunktion ihres Instagram-Accounts ein.
Trotz des Superhelden-Hypes um Filme wie DCs Justice League und Marvels Avengers-Filme, trotz des großen Erfolges von TV-Serien wie Gotham oder Jessica Jones floppte die 1. Staffel von Batwoman – und dann gab auch noch Ruby Rose ihren Ausstieg aus der Serie bekannt. Hashtags wie #KeepKateJewish wurden wieder auf allen Social-Media-Kanälen reaktiviert, doch es kam ganz anders: In der zweiten Staffel wird die bisexuelle afroamerikanische Schauspielerin Javicia Leslie in der Rolle der neuen Figur von Ryan Wilder die erste schwarze Batwoman sein!
kontroverse Vielleicht werden diejenigen, die mit DC den District of Columbia assoziieren und nicht Detective Comics, also den Verlag, der für Comic-Serien wie Superman, Batman und Wonder Woman bekannt ist, sich gerade fragen: Batwho?
Ja, sie haben richtig gehört: Nicht Batman, sondern Batwoman! Zugegeben, auch Batman-Besetzungen kommen selten ohne Kontroverse aus: Michael Keaton ist zu luschig, Val Kilmer zu blass, George Clooney zu albern, und Ben Affleck ist, nun ja, einfach Ben Affleck.
Lediglich Christian Bale in Christopher Nolans Dark Knight-Trilogie wurde von Fans und Kritik gleichermaßen gefeiert. Man darf also durchaus gespannt sein, wie das Urteil über Richard Pattinson in The Batman ausfallen wird, der als ehemaliger Vampir der Herzen aus der Twilight-Trilogie aber immerhin an die Dunkelheit von Gotham City gewöhnt sein sollte. Allerdings standen noch nie bei der Auswahl der männlichen Darsteller Identitätsaspekte wie sexuelle Orientierung oder religiöse, kulturelle oder ethnische Verortung zur Diskussion.
Folglich stellt sich die Frage: Wieso sollte eine genderfluide nichtjüdische Person wie Ruby Rose nicht eine lesbische jüdische Superheldin darstellen können? Die ebenfalls nichtjüdische US-Schauspielerin Rachel Brosnahan jedenfalls spielt Miriam »Midge« Maisel in der Amazon-Serie The Marvelous Mrs. Maisel mit einer komödiantischen Verve und Präzision, die ihr nicht nur den Durchbruch und zahlreiche Auszeichnungen und Preise, sondern auch eine breite und diverse Fanbase einbrachte.
Wieso sollte eine genderfluide Nichtjüdin keine lesbische jüdische Superheldin spielen?
Im Fall von Batwoman scheint es folglich nicht um bloße Darstellungsfähigkeit und Leinwandpräsenz der Akteurin zu gehen. Vielmehr geht es um Repräsentation oder genauer gesagt darum, ob die darstellende Person auch repräsentiert, was sie verkörpert. Repräsentation ist ein politischer Begriff, es geht um die Sichtbarmachung und Anerkennung der vertretenen Positionen und Identitäten.
Dementsprechend ging es vielen Kritikern bei der Auswahl der Hauptdarstellerin also weniger um Optik oder schauspielerisches Talent als um ein identitätspolitisches Statement; nämlich um dem Bedürfnis Ausdruck zu verleihen, dass eine Vertreterin, die Erfahrungen der hier angesprochenen marginalisierten Gruppen teilt, die Geschichte der Figur erzählt und darstellt. Also um das, was man in der Literatur als »Own Voice« bezeichnet.
Zwar ist Batwoman nicht die erste lesbische Superheldin – und auch nicht die erste jüdische. Aber sie gilt gerade auch durch ihre Intersektionalität als diejenige mit dem höchsten Bekanntheitsgrad. Und die titelgebende Rolle in einer Fernsehserie, die ein breiteres Publikum erreicht als das Medium Comic, ist ein enormer Schritt, was die Sichtbarmachung und Repräsentation von queeren und jüdischen Frauen betrifft.
psychiater Aber wer ist nun eigentlich Batwoman? Blickt man zurück in die Comic-Historie des sogenannten »Silver Age of Comics« zwischen den 50ern und den 70ern, fällt die Antwort zunächst ernüchternd aus: Im Zuge der Popularität der erweiterten Superhelden-Familie um Superman wollten auch die Macher von Batman die »Bat-Familie« um Batman und Robin um weitere Mitglieder erweitern. Allerdings reagierten sie wohl auch auf das 1954 erschienene Buch Seduction of the Innocent, in dem der amerikanische Psychiater Fredric Wertham Comics wegen ihrer Darstellung von Gewalt, Sexualität, Drogen und Verbrechen als jugendgefährdende Schriften charakterisierte und in Figuren wie Superman, Batman und Wonder Woman klare homosexuelle Tendenzen ausmachte.
Batwoman, die ihren ersten Auftritt 1956 hatte, erfüllt also in gewisser Weise eine Alibifunktion, indem sie als Geliebte von Batman herhalten muss, damit erst gar nicht der Eindruck entstehen könne, der Kapuzenmann sei am Ende schwul, da er ja die ganze Zeit mit seinem Sidekick Robin abhängt.
»Bromance« war in den 50er-Jahren sicherlich noch kein Konzept, wohl aber, dass Batwomans Alter Ego Kathy Kane sowohl eine Dame der Gesellschaft als auch Zirkusartistin ist!
Je nach Comic-Universum (dazu später noch) wurde Batwoman ermordet oder aber hing ihren Superheldenumhang an den Nagel, nachdem Batman Catwoman geheiratet hatte. Gleich einem griechischen Drama dürfen Superhelden und -heldinnen nunmal kein glückliches Privatleben führen. Doch wenngleich sie auffälliger Weise den gleichen Nachnamen führt wie Batman-Schöpfer Bob Kane, so ist sie anders als dieser eines explizit nicht: nämlich jüdisch!
wiederbelebung 2006 aber wurde Batwoman schließlich doch wiederbelebt. Aus Kathy Kane wird Katherine Rebecca Kane, genannt Kate, die Tochter von Jacob und Gabrielle Kane, zweier ehemaliger US-Berufssoldaten, beide jüdisch.
In Brüssel, wo ihre mittlerweile Eltern für die NATO arbeiten, wird Kate gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrer Zwillingsschwester Beth entführt, die beide scheinbar bei dem Befreiungsversuch ums Leben kommen. Dem Vorbild ihrer Eltern nacheifernd geht Kate später auf die US-Militärakademie in Westpoint, wird aber aufgrund einer homosexuellen Beziehung zu ihrer Mitbewohnerin unehrenhaft entlassen.
Sie kehrt nach Gotham City zurück, verbringt die Zeit auf wilden Partys und fängt schließlich eine Beziehung mit der Polizistin Renee Montoya an. Nach einem Streit mit Renee wird Kate auf der Straße überfallen, doch aufgrund ihres Trainings wird sie mit dem Angreifer fertig, als plötzlich Batman am Tatort erscheint. Inspiriert durch die Begegnung bereist Kate mit Unterstützung ihres Vaters die Welt, um bei dessen ehemaligen Special-Ops-Freunden zu trainieren. Nach zwei Jahren kehrt sie schließlich als Batwoman nach Gotham zurück, um fortan wie Batman auf Verbrecherjagd zu gehen.
Kates Geschichte erinnert wohl nicht ganz zufällig an biografische Motive von Batmans Alter Ego Bruce Wayne: eine traumatische Erfahrung als Ausgangspunkt für eine spätere Superheldenkarriere, ein Sich-Verlieren und Treibenlassen, ein transformierendes Weggehen und Zurückkommen, um schließlich die eigene Bestimmung zu finden. Fast so, als hätte hier die Heldenreise des amerikanischen Mythologieforschers Joseph Campbell als narrative Grundlage gedient. Doch es ist ihre offen thematisierte sexuelle Orientierung, die Kate Kane von anderen Superhelden und -heldinnen unterscheidet. Das Coming-Out von Kate beziehungsweise Batwoman als lesbische Superheldin machte 2006 Schlagzeilen; CNN und USA Today berichteten darüber, und es wurde auch von der LGBTQ-Community positiv aufgenommen.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Kate Kane eine junge Frau auf der Suche nach Struktur und Sinn in ihrem Leben ist; was ihr schließlich Fokus gibt, ist, Verbrecher zu bekämpfen und dadurch das eigene Trauma aktiv zu verarbeiten. Wichtiger aber ist: Sie ist nicht länger bloßes Anhängsel von Batman, sondern sie hat sich zu einer unabhängig agierenden Superheldin emanzipiert.
Heute ist Batwoman eine unabhängig agierende Superheldin, die sich von Batman emanzipiert hat.
Mit der sogenannten The New 52-Serie wagte DC Comics ab 2011 den radikalen Reboot oder Neustart sämtlicher seiner Comicserien. Die Serien fangen deshalb wieder bei Heft #0 beziehungsweise #1 an und spielen oft in einem alternativen Universum.
Ein Reboot bedeutet Abschied von etablierten Narrativen und bestehenden Beziehungsgeflechten, bietet aber im Gegenzug die Möglichkeit, mit den gleichen Bausteinen oder Komponenten etwas völlig Neues zu arrangieren oder zu erschaffen. Im Rahmen der Kulturindustrie machen solche Reboots durchaus Sinn, denn sie erlauben, neue Leser- und Kundenkreise zu erschließen, etwa indem durch eine entsprechende Diversifizierung von Superhelden Identifikationsmarker neu gesetzt werden. Sie reflektieren und reagieren aber damit folglich auch auf gesellschaftliche Veränderungen. Andere Zeiten brauchen andere Identifikationsfiguren, brauchen andere Helden und Heldinnen, brauchen andere Geschichten darüber, wer wir als Gesellschaft sind und sein können.
halacha Im Rahmen der »New 52«-Serie wird Kate nun als Cousine von Batmans Alter Ego Bruce Wayne eingeführt, womit nun eine familiäre Verbindung zwischen den beiden hergestellt ist. Heißt das nun, dass Batman jüdisch ist? Leider nein (auch wenn ich es wünschte), da die Verwandtschaft über Bruce’ Mutter und Kates Vater Jacob besteht und anders als in der »52«-Serie nur Kates Mutter Gabrielle jüdisch ist.
Aber wie sieht es nun mit Kates Judentum aus? Nun, ganz einfach: Sie ist jüdisch, nicht mehr und nicht weniger. Anders als ihre sexuelle Orientierung ist ihr Jüdischsein kein zentrales Motiv in den Comics und wird lediglich am Rande thematisiert.
Und seien wir ehrlich: Ihre primäre Aufgabe besteht darin, Verbrechern das Handwerk zu legen und nicht im Kerzenzünden oder darin, den nächsten
WIZO-Basar zu organisieren. Frau muss Prioritäten setzen!
Wer auf der Suche nach einer sichtbareren jüdischen Superheldin ist, wird bei DCs Konkurrenten Marvel fündig: Katherine »Kitty« Pryde, besser bekannt als »Shadowcat«, die wie Magneto eine Schöpfung von Chris Claremont ist und seit Mitte der 80er-Jahre durch das Tragen ihres Magen David deutlich erkennbar markiert ist. Doch ihre Geschichte muss angesichts der Zeichenbegrenzung dieses Beitrages auf ein anderes Mal verschoben werden.
Im hier Skizzierten ging es mir vor allem um Fragen von Repräsentation und Reboot. Und um die vielleicht eigentliche Empowerment-Lektion der Diversifizierung des Superhelden-Genres: Letztendes ist es völlig egal, wie du aussiehst, woran du glaubst, wie du dich definierst oder was deine 99 Probleme sind: Hauptsache, du kämpfst für die gerechte Sache, mit all den dir zur Verfügung stehenden Kräften!
Der Autor ist Professor für Jüdische Philosophie an der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg.