Architektur

Die Idee des Gigantismus

Modell »Welthauptstadt Germania« Foto: dpa

Architektur

Die Idee des Gigantismus

Die Topographie des Terrors beleuchtete Kunst und Architektur in der NS-Zeit

von Blanka Weber  22.06.2015 17:11 Uhr

Betrachtet man die Kunstproduktion im Nationalsozialismus, so hatte die Architektur von Anfang an einen herausragenden politischen Stellenwert», erklärt der Bauhistoriker Wolfgang Schäche. Vor diesem Hintergrund sollte Berlin als Hauptstadt des Deutschen Reiches ab 1937 und in Vorbereitung der Expansionskriege ausgebaut und bis 1950 in die «Welthauptstadt Germania» umgewandelt werden.

Es waren gigantische Pläne, geprägt von einer Sucht nach Größe und einem Wahn, der keine Grenzen kannte. Nicht nur für Berlin war die Idee des Gigantismus Vorgabe für eine neue Architektur, auch für kleine und mittlere Städte sollten Bauwerke geschaffen werden, ganz im «gemeinschaftsbildenden Sinne für die Angehörigen einer Volksgemeinschaft».

Ästehtik Mit Fragen zur Ideologie, Ästhetik und den Protagonisten setzte sich seit Anfang des Jahres eine Reihe der Stiftung Topographie des Terrors auseinander. Am 23. Juni wurde diese Reihe mit einer Podiumsdiskussion beendet.

Sechs Monate ging es um Literatur, Musik, Film, Theater, bildende Kunst und eben auch Architektur. Um das bewusste Überstülpen von Propaganda, einer Hybris, eines monumentalen Kultes in allen Formen der Kunst.

«Man spricht, wenn vom Dritten Reich die Rede ist», so der Antisemitismusforscher Wolfgang Benz, «gerne von den emigrierten Künstlern, den geflohenen Musikern, den vertriebenen Dichtern, den verjagten Musikern. Man spricht kaum davon, was sich im Dritten Reich unter dem Firmenschild ›Kunst‹ abgespielt hat. Was war staatskonforme Kunst, was wurde gefördert, und was wurde aus diesen Künstlern?»

Wolfgang Benz hatte mit der Stiftung Topographie des Terrors die Reihe «Kunst im NS-Staat» konzipiert. «Daran muss erinnert werden», sagt er. Vielleicht auch, weil es eben kein Bestandteil der Gedenkkultur ist. Es geht nicht um Relikte, vielmehr um die Frage, welche Formen die NS-Kunstpolitik annahm und was wir heute darüber wissen, zum Beispiel über Filme wie Der ewige Jude (1940). «Hier wurde Film als Medium des Antisemitismus eingesetzt, um Politik zu machen», so Benz.

Kolloquium Die «Architektur im NS-Staat am Beispiel Berlin» war Thema eines Kolloquiums im Rahmen der Reihe. «Das bedeutet in erster Linie, dass wir uns vergewissern, wo wir herkommen», erklärt Benz. «Auf welchem Grund steht das heutige Berlin? Die Topographie des Terrors liegt ganz in der Nähe der ehemaligen Reichskanzlei, das ist alles kontaminierter Boden.»

Generalbauinspektor Albert Speer verantwortete ab 1937 die Planungen für den Gigantismus der Architektur. Er war es, der die Skizzen des «Führers» als Basis für Entwürfe und Modelle nahm. Beispiel: die überdimensionale Kuppelhalle, als Zentrum für die «Welthauptstadt Germania».

180.000 Menschen sollten darin Platz finden. Eine Halle, die alles überbieten würde, was Menschen in den vergangenen Jahrhunderten geschaffen hatten. Das zumindest waren die Pläne Hitlers und damit die Aufgaben für Albert Speer. Ein Blick in Hitlers Arbeitszimmer offenbart, welche Dimensionen er für sich selbst beanspruchte: 18 mal 24 Meter, ein hallenartiges Zimmer. «Da ist nichts Zufall», erklärt Wolfgang Schäche. Der Bauhistoriker ist Spezialist für die Architektur im NS-Staat. «Wer mit Hitler redete, saß nie auf Augenhöhe.»

Die Pläne für «Germania» waren geheim. Nur eine kleine Clique habe Bescheid gewusst, so Schäche. Er erwähnt eine geplante Halle zu Ehren von Soldaten, die damals noch gar nicht gestorben waren. Das Palais für Adolf Hitler, so sahen es Planungen vor, sollte eine geschlossene Front zur Straße haben. Kein Fenster nach vorne sollte auch nur eine minimale Chance für einen Angriff bieten. Fenster mit Tageslicht sollte es nur an der Rückseite geben. Hitler lebte in Unruhe, Angst und Größenwahn zugleich. Industriebauten wurden nur als kleine Bilder veröffentlicht, «um nicht dem Feind in die Hände zu spielen», sagt Schäche.

Skizzen Dabei fällt die Ähnlichkeit zur Bauhaus-Architektur auf. Klare Formen, schlichte Konstruktion, nüchterne Optik. Ein Stil, der zum Teil zur Moderne gehört, der avantgardistische Züge trägt, der Glas und Stahl integriert und Flächen betont. Bekannt sind Skizzen von Flughallen, Hangarkonstruktionen und Stahlbetonrahmen. Das Bauhaus, betont Wolfgang Benz, fand Hitler «abscheulich, aber es war die beste Form für Industriebauten». Hitler war «an der monumentalen Repräsentation interessiert».

Das hieß zum Beispiel: Fassaden von 400 Metern Seitenlänge mit Natursteinoptik. «Mit Bauhaus hat das gar nichts mehr zu tun. Auch so monumentale Anlagen wie das Olympiastadion oder der Flughafen Tempelhof sind nicht Bauhaus. Das war die neue Industriearchitektur, und da kam es darauf an, dass unter bestmöglichen Bedingungen Granaten hergestellt werden. Wie das Gehäuse aussieht, hat nicht interessiert. Hitler am wenigsten.»

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