»Ich kann meine Geschichte nicht erzählen, ohne die meiner Großeltern«, sagt Rifka Ajnwojner, Enkelin von vier Schoa-Überlebenden. Ihre Großeltern säßen jeden Tag auf ihren Schultern, berichtet sie am Vorabend des Holocaustgedenktags im Deutschen Filmmuseum in Frankfurt am Main.
Sabena Donath, Leiterin der Bildungsabteilung im Zentralrat der Juden, brachte an diesem Abend in dem kleinen Kinosaal mit den roten Sesseln vier 20- bis 30-Jährige und damit »Facetten junger jüdischer Erinnerung« miteinander ins Gespräch: »Gedenken 3.0 – Zwischen Weitergabe und Gedächtnistheater« hat sie das Podium genannt. Die »jüdische Perspektive muss sichtbarer werden« in den Erinnerungs- und Gedenkdiskursen, fordert Donath.
Verantwortung Die Frankfurter Lehrerin Ajnwojner sagt, sie fühle eine »gewisse Verantwortung«, weil ihre Großeltern überlebt haben. Alexander Stoler geht es ähnlich: »Mein Großvater hat nicht den Holocaust überlebt, damit ich sage: ›Ich bin jüdisch, aber was soll’s?‹« Dessen Geschichte und Wissen sei für ihn »wie ein Schatz«, den er auch an die nächste Generation weitergeben wolle, sagt der Kulturreferent der Jüdischen Gemeinde Darmstadt.
Die Lehrerin Rifka Ajnwojner fordert, Antisemitismus als Problem aller Demokraten zu sehen.
Weitergeben oder vielmehr weitererzählen, das möchte auch Joëlle Lewitan, Texterin einer Kreativagentur in Hamburg. Es komme darauf an, neue Wege zu finden, das Gedenken weiterzutragen. Lewitan vertraut auf die Kraft des Narrativen: Es müssten »weniger Fakten, mehr Geschichten« erzählt werden, um die Menschen zu erreichen.
Im Kampf gegen Antisemitismus seien zudem die Medien gefragt, ein junges, positives Bild des Judentums in Deutschland zu zeigen. Pädagogin Ajnwojner fordert, Antisemitismus nicht als Problem der Juden, sondern als das aller Demokraten zu sehen – und der Demokratieerziehung einen ganz anderen Stellenwert zu geben.
Symbiose Tom Krane, in Jerusalem geboren, seit acht Jahren Wahlfrankfurter, sagt, er könne sich gar nicht anders sehen denn als jüdisch-deutsche Symbiose: Sein Vater stamme aus einer typisch deutschen Nachkriegsfamilie. Dessen Zivildienst in Israel mit Aktion Sühnezeichen führte schließlich dazu, dass er seine israelische Mutter kennenlernte.
Er weigere sich, »zu definieren, was ich bin« und in welcher Reihenfolge deutsch, israelisch, jüdisch. Sein Traum sei, dass er eines Tages auf den Satz »Ja, ich bin jüdisch« die Antwort erhalte: »Ja, na und?« Nicht aus Gleichgültigkeit, sondern aus informierter Selbstverständlichkeit.
Der Film zeigt Begegnungen mit Zeugen der Schoa in Israel, Deutschland und Österreich.
Die Bildungsabteilung hatte am Sonntag auch in das Kino geladen, um die Dokumentation Die Zeugen – Eine Reise zu den letzten Überlebenden des Holocaust zu zeigen und mit Regisseur Rouven Rech sowie Produzent Thorsten Neumann zu diskutieren.
Der Film, der lediglich 37 Minuten dauert, begleitet die Israel-Korrespondentin der »Süddeutschen Zeitung«, Alexandra Föderl-Schmid, und den Fotografen Konrad Rufus Müller bei ihrer Reise für einen Interview- und Fotoband mit eindringlichen Schwarz-Weiß-Porträts (Unfassbare Wunder, Böhlau-Verlag).
Deutschland Er zeigt aus ihrer Perspektive, und damit »durch die deutsche Brille« (Donath), Begegnungen mit Zeugen der Schoa in Israel, Deutschland und Österreich. Deren Geschichten kommen dabei nur in Ausschnitten zur Sprache. Diese lassen erahnen, was die Protagonisten er- und überlebten, und mitunter, wie sie weiterlebten.
Im Fokus des Films, der noch rund ein Jahr in der 3sat-Mediathek zu sehen ist, stehen die Interaktionen von Journalistin und Fotograf mit den Menschen, die sie aufsuchen: »Das ist Deutschland«, sagt etwa Manfred Rosenbaum, 1924 in Berlin geboren, im Film, als er seinen Besuchern im israelischen Givatayim einen Brief der SS vorzeigt, dessen Adressatin den Empfang der Uhr eines Ermordeten quittieren sollte.
»Das war Deutschland«, entgegnet ihm Fotograf Müller sofort, seither habe sich viel geändert. »Ich hoffe es«, hört man Rosenbaum leise sagen.