Vor 50 Jahren prägte Max Frisch einen seither oft zitierten Satz: »Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen.« Von Gast- oder Fremdarbeitern sprach man, Floskeln, die sich hart an der Wirklichkeit derer stießen, die blieben. Aus Gästen wurden Einheimische, Inländer, Schweizer oder Deutsche. Werden wir dereinst im Rückblick auf die Migrationsströme der Gegenwart zu einem ungleich traurigeren Satz greifen müssen? Dass man Flüchtlinge aufnahm und Antisemiten kamen?
Es mag noch eine Weile im Unklaren bleiben, ob im Kalenderjahr 2015 über eine Million Flüchtlinge, Asylbewerber, illegale Einwanderer ihr Glück in Deutschland gesucht haben werden. Fakt bleibt: Die Mehrzahl der Neuankömmlinge ist gering qualifiziert. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles hält zehn Prozent der Zuwanderer für arbeitsmarkttauglich.
Antisemitismus Und mehr noch: In diesen Ländern ist überwiegend der Islam die vorherrschende Religion. So gelangt »eine tief verwurzelte Kultur eines tödlichen Antisemitismus« nach Europa. Diese scharfen Worte wählte nun Benjamin Weinthal, um die Leser der »Jerusalem Post« mit den Schattenseiten deutsch-österreichischer »Willkommenskultur« bekannt zu machen.
Weinthal zitierte ferner Oskar Deutsch, den Präsidenten des Bundesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden Österreichs. Deutsch weist darauf hin, dass in Syrien und Afghanistan der Judenhass seit mehreren Jahrzehnten verbreitet wird, »in Schulen, Zeitungen und sozialen Netzwerken«. Zur traurigen Wahrheit gehört darüber hinaus, dass der syrische Arzt viel seltener unter den Flüchtlingen anzutreffen sein wird als der syrische Antisemit.
Ist die nichtmuslimische Mehrheitsgesellschaft, ist der Westen auf diese Herausforderung, diese Gefahr für das friedliche Miteinander hinreichend vorbereitet? Leider nein. Der Westen verwechselt nicht nur im Fall des muslimischen Antisemitismus Toleranz mit Ignoranz und Freiheit mit Laissez-faire. Toleranz aber ist ohne Haltung unter keinen Umständen zu haben.
Attentäter Es war ebenfalls Oskar Deutsch, der im Januar seine Entrüstung öffentlich machte. Kurz zuvor war die Redaktion der Satirezeitschrift »Charlie Hebdo« nahezu ausgelöscht worden, dann traf es Kunden eines Pariser Supermarkts für koschere Lebensmittel. Judenhass war das Motiv des aus Mali stammenden Attentäters. Auf einer Kundgebung am Wiener Ballhausplatz aber hieß es danach verschwiemelt, »Angehörige verschiedener Religionen, die zur falschen Zeit am falschen Ort waren«, hätten den Tod gefunden.
In einem offenen Brief an den österreichischen Bundeskanzler wies Deutsch auf das Offensichtlichste hin: »Die vier Terroropfer im jüdischen Supermarkt starben, weil sie am Freitagnachmittag für den kommenden Sabbat Einkäufe tätigten. Sie starben, weil sie Juden waren!«
Auch in Deutschland geschah Bizarres. Eine Kundgebung des Zentralrats der Muslime und der Türkischen Gemeinde am Brandenburger Tor, angeführt von Bundespräsident und Bundeskanzlerin, eröffnete ein Imam mit einer Suren-Rezitation. Muslime unter den Teilnehmern musste man mit der Lupe suchen. Die Mehrheitsgesellschaft feierte sich selbst für ihre vermeintliche Toleranz.
Koran-Suren Der Politologe Wolfgang Kraushaar urteilte über das skurrile Event: »Hätte es Fernsehzuschauer gegeben, die zufällig von den Geschehnissen in der französischen Hauptstadt nichts mitbekommen haben, dann wären sie vermutlich zu dem Schluss gekommen, dass es sich dabei um eine Trauerfeier für islamische Opfer handeln würde.«
Tatsächlich mutet es seltsam an, dass eine Berliner Gedenkfeier für die Opfer islamistischen Terrors mit einer Rezitation aus jenem Buch begann, auf das sich die Terroristen beriefen. Denn durch die islamistischen Attentate von Paris wurde dem Westen und den Juden als dessen besonderen Exponenten der Krieg erklärt.
Vergessen wir nicht: Möglich wurde die freie westliche Welt, wie sie sich im späten 18. Jahrhundert formierte, überhaupt erst durch die Entzauberung des Diesseits, durch jenen aufklärerischen Monotheismus also, auf dem die griechische Frage nach dem Guten und die römische nach dem Gerechten wie auch die jesuanische nach dem Wahren aufbauten. Der bedrückend stabile Antisemitismus der islamischen Welt ist das Schwungrad antiwestlichen Furors. Er kann sich dabei sogar auf Religionsgründer Mohammed berufen, der rund 700 Juden köpfen ließ.
antiwestlich Zur antisemitischen Versuchung des Islam kommt dessen kaum minder abgründige Geschlechterpolitik. Dass etwa eine Flüchtlingsfamilie auf Wohnungssuche jeden Kontakt mit der Maklerin ablehnte und nach einem Mann verlangte, ist symptomatisch. Mit den Migrationsströmen dringt ein antiwestlicher Habitus ins Herz Westeuropas. Laut dem Historiker Tamim Ansary, selbst Muslim aus Afghanistan, zeigt die Rolle der Frau in der Gesellschaft die »Unvereinbarkeit zwischen der islamischen Welt und dem Westen am deutlichsten«.
In der muslimischen Welt, so Ansary weiter, habe sich »die Vorstellung durchgesetzt, dass die Gesellschaft in einen männlichen und einen weiblichen Bereich geteilt wird, und dass sich diese beiden Welten nur im Privaten begegnen, um die Sexualität als Faktor im öffentlichen Leben der Gemeinschaft auszuschalten. Ich muss gestehen, ich erkenne nicht, wie eine einheitliche Gesellschaft geschaffen werden kann, in der ein Teil der Menschen der Ansicht ist, die Welt sollte in einen männlichen und einen weiblichen Bereich aufgeteilt werden, und ein anderer meint, die beiden Geschlechter sollten sich in den gleichen gesellschaftlichen Bereichen bewegen.«
hass Vor dieser großen Aufgabe steht der Westen. Wenn sich keine »einheitliche Gesellschaft« der Neuankömmlinge und Alteingesessenen bildet, triumphieren Hass und Argwohn. Darum darf der Westen sich seine Freiheiten nicht abhandeln lassen. Er muss entschlossen die »Dos and Don’ts« definieren und neu aus seiner eigenen Geschichte lernen, dass Toleranz auch Grenzen meint.
Dass der gemeinsame Raum des Tolerablen dort endet, wo Gewalt angewendet wird und wo Menschen aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Religion, ihrer sexuellen Orientierung drangsaliert werden. Die Migranten müssen bereit sein, einen Teil ihres Herkommens hinter sich zu lassen, um im Westen anzukommen. Übermenschliches wird nicht verlangt. Der Blick in die Geschichte wie in die Alltagserfahrung könnte hoffnungsfroh stimmen: Wer sich aufmacht, der verändert sich.
Der Autor ist Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Von ihm erschien jüngst das Buch »Keine Toleranz den Intoleranten!«. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2015, 184 S., 18 €