Jedes Mal der Anblick dieser lachenden Gesichter. Jedes Mal das Gefühl im Körper, dass sich der Magen jetzt gleich umdreht.
Seit am Samstagabend bekannt wurde, dass unterhalb Rafahs sechs Geiseln ermordet wurden, und zwar nur kurz vor ihrer Entdeckung, wird mir andauernd schlecht. Schon der Gedanke, dass das Feuer von sechs wunderschönen Menschen - lebensfroh, lustig, mitten in ihrem jungen Leben stehend - für immer erloschen ist, verursacht diese Übelkeit.
Das Wissen, dass immer noch eine ungeklärte Anzahl unschuldiger Menschen in Tunneln festgehalten wird, aus dem einzigen Grund, weil sie Juden sind, verlangt mir jeden Tag enorm viel Kraft ab. Aber die Tatsache, dass für sechs Mütter und Väter das Schlimmste, was Eltern überhaupt widerfahren kann, eingetroffen ist, nämlich das eigene Kind zu verlieren, korreliert nicht mehr mit dem eigenen Fassungsvermögen.
Es gibt keine Relativierung, keine Legitimation dafür, dass einem das Kind weggenommen wird. Und zwar von Menschen, denen das Morden wie Butter von der Hand geht. Der Verlust des eigenen Kindes – und dazu noch auf die brutalste Art und Weise – hinterlässt eine Wunde, die unheilbar ist.
Wenn man als Mutter ein Kind in sich trägt und 40 Wochen darauf wartet, dass es gesund und ohne Komplikationen zur Welt kommt, so verspürt man mit jedem Tag, mit jedem Monat, der vor und nach der Geburt verstreicht, eine unglaubliche Dankbarkeit, dass es dem Kind gut geht. Es ist der immer wieder zurückkehrende Moment des unfassbaren Glücks, dass alles so ist, wie es sein sollte. Und das zieht sich immer weiter. Ein ganzes Leben lang.
Gewiss, man katapultiert sich durch den Alltag, bestreitet Hürden und Herausforderungen, erträgt Niederlagen. Doch der Tod bleibt in den Tiefen der eigenen Vorstellungskraft versteckt. Oder besser gesagt, er lauert. Denn er fragt nicht, wann er in Erscheinung treten soll. Weshalb sollte er auch? Tut er es dennoch, erfahren wir die bittere Lebenslektion, damit umgehen zu müssen. Die einen können es besser als die anderen.
Die Eltern so vieler Töchter und Söhne, die seit dem 7. Oktober ums Leben gekommen sind, deren Kinder geradezu aus dem Leben gestohlen wurden, kämpfen weiter und das in vielerlei Hinsicht. Sie kämpfen mit der letzten Kraft um die Freilassung der Geiseln, sie kämpfen um Verhandlungen und um sich Gehör zu verschaffen. Doch Politiker, die nicht wissen, was es bedeutet, ein Kind unfreiwillig in die Hände mörderischer Diebe, wie die Hamas-Terroristen es sind, zu geben, hören nicht hin und können nicht nachfühlen, wie sich dieser Diebstahl anfühlt.
Rachel Goldberg-Polin, die Mutter des getöteten Hersh, stand jeden Morgen auf, ohne zu wissen, ob ihr Sohn lebte oder tot war, und kämpfte wie eine Löwin. Sie betete für ihren Sohn. Sie traf sich mit führenden Persönlichkeiten der Welt. Sie klebte sich jeden Morgen ein Stück Klebeband auf die Brust und zählte die Tage, die seit seinem gewaltsamen Verschwinden vergingen. Und sie forderte alle auf, sich darum zu kümmern, dem Hass nicht nachzugeben und für die Liebe zu kämpfen.
330 Tage lang erlebten wir, wie Rachel Goldberg-Polin der Welt die Liebe zwischen einer Mutter und ihrem Sohn zeigte. Wir haben gesehen, wie sie beim Democratic National Convention zusammenbrach, dann aber wieder aufstand und sprach. Noch vergangene Woche sahen wir, wie sie an der Grenze zum Gazastreifen mit gebrochener Stimme den Namen ihres Sohnes schrie. »Hersh!«, schrie sie und der Schmerz schoss aus ihrer Brust, »Hier ist Mama«. Wir wissen jetzt, dass diese Stunden wahrscheinlich zu seinen letzten gehörten.
Heute Abend werde ich meinen Kindern im Bett die Haare aus dem Gesicht streichen, sie mit Küssen zutapezieren und wissen, dass es meine Aufgabe in dieser Welt ist, für ihre Sicherheit zu sorgen. Alex, Almog, Carmel, Eden, Hersh und Ori und alle anderen, deren Namen hier nun nicht stehen – sie alle wird niemand mehr küssen. Ja, sie sind nun frei. Aber es ist eine Freiheit, die mit dem höchsten Preis zu bezahlen war. Mit dem Leben.