Das schwarz-weiße Foto ist berühmt. Eine Frau sitzt in einer Badewanne und wäscht sich. Mit kühlem Blick schaut sie aus dem Bildrahmen. Schließlich bemerkt man am linken Rand ein Hitler-Bild, dann die schweren dreckigen Stiefel, die vor dem gekachelten Bad stehen, die Uniform auf dem Stuhl, und man ahnt, dass es hier um viel mehr geht als um die schöne Frau.
Es ist der 30. April 1945, das Badezimmer befindet sich in Adolf Hitlers Wohnung in München, und die Frau in der Wanne ist die Kriegsfotografin Lee Miller, die mit ihren Stiefeln gerade die Asche aus Dachau auf Hitlers weißen Vorleger getragen hat. Sie gehörte zu den ersten Fotoreportern, die am Morgen desselben Tages Abbilder des Unfassbaren im gerade befreiten Todeslager machten. Wie auf dem Foto, dessen Geschichte der Film Die Fotografin erzählt, geht es auch auf der Leinwand um so viel mehr.
Kate Winslet hat sich durchgesetzt
Kate Winslet, die sich mit jeder Faser in Lee Miller hineinspielt, und die den Film ko-produziert hat, hätte es sich einfach machen können mit einem Film über das atemberaubend schöne Model Lee, über die Muse, die die Surrealisten in Paris um den kleinen Finger wickelte und die Man Ray nicht nur die Kamera hielt. Die wilden 1920er, Freiheit, Party, Sex, dafür hätten Hollywood-Produzenten sofort Geld lockergemacht. Aber daran hatten weder die Oscar-Gewinnerin noch die Regisseurin Ellen Kuras Interesse.
»Es passierte so langsam und doch so plötzlich. Über Nacht war Europa im Krieg.«
Lee Miller
Und sie haben sich durchgesetzt. Nach jahrelangen Verhandlungen und Finanzierungsmühen haben sie einen Film geschaffen, der mit entschieden weiblichem Blick davon erzählt, wie eine Frau mit Kamera ihren Weg an die Front machte, um mit eigenen Augen zu sehen, was Menschen Menschen antun können. Was Miller sah und festhielt, hat sie für den Rest ihres Lebens gezeichnet.
Beschreibt man den Akt des Fotografierens als das, was zwischen dem Fotografierenden und der Realität steht, wird deutlich, dass die Kamera auch ein Schutzschild ist. So sei es wohl bei seiner Mutter gewesen, sagt Antony Penrose, Lee Millers Sohn, der erst nach deren Tod davon erfahren sollte, was sie so sehr leiden ließ, dass sie ihre Depressionen in Alkohol zu ertränken suchte, bis sie 1977 mit nur 69 Jahren starb.
Der Film beginnt am anderen Ende, als die Welt noch frei und frivol war, als Miller in Südfrankreich mit ihren Künstlerfreunden das Leben genoss, trank, aß und liebte. »Wir fühlten uns sicher«, sagt sie im Film. »Es passierte so langsam und doch so plötzlich. Über Nacht war Europa im Krieg.« Sie geht mit dem Surrealisten Ronald Penrose nach London, ihre Pariser Freunde gehen in die Resistance.
»Mit eigenen Augen sehen«
Miller arbeitet als Fotografin für die britische »Vogue«, um sich weniger »unnütz« zu fühlen. Sie fotografiert Frauen im Krieg, in der Luftabwehr, als Pilotin, als Überlebende des Blitz. »Nur eine Frau konnte diese Bilder machen«, sagt Chefredakteurin Audrey Withers. Aber es reicht Miller nicht. Sie will auf den Kontinent, sie will »mit eigenen Augen« den großen Krieg sehen. Und wissen, wie es ihren Freunden in Paris geht.
Obwohl Frauen als Kriegsreporter nicht zugelassen sind, erkämpft sie sich die Überfahrt und trifft dabei auf David Sherman, den US-Fotografen des »Life«-Magazins, der das berühmte Foto in der Badewanne schießen wird.
Andy Samberg, bekannt aus »SNL« und »Brooklyn Nine-Nine«, spielt Sherman auf wunderbar warme wie präzise Art. Er liefert den jüdischen Blick auf das, was Miller in Europa vorfindet. Die Freunde in Paris, die »verschwunden« sind und die Miller »in Arbeitslagern« in Deutschland zu finden hofft. Bis sie in Dachau ankommen. Miller und Sherman stehen vor einem offenen Waggon, in dem Tote liegen. »Kein Lebenszeichen«, ruft ein Soldat. Dann wendet Sherman den Kopf, und der Blick öffnet sich auf eine schier endlose Waggonreihe des Todes.
Miller und Sherman funktionieren nur noch, lichten ab, damit die Welt sieht, werden zu Zeugen.
Im Lager selbst steigert sich der Horror von Raum zu Raum. Miller und Sherman funktionieren nur noch, lichten bestmöglich ab, damit die Welt sieht, werden zu Zeugen. »Alle wollten den Blick abwenden, ich konnte es nicht«, sollte Miller später sagen. Und: »Wenn du es einmal gesehen hast, kannst du es nicht ungesehen machen.« In Hitlers Wohnung bricht Sherman schließlich zusammen. »All diese Menschen, das waren meine Leute.« Miller kann ihn nur festhalten.
Auch von ihm gibt es ein Foto in Hitlers Badewanne. Anders als Lee Miller sucht der dünne junge Mann Halt im Humor, wäscht sich übertrieben die Haare, zieht ein Gesicht. Als Miller auf den Auslöser drückt, kippt sie die Kamera etwas nach oben, sodass auch der Duschkopf zu sehen ist. »Warum sie das machte? Weil Sherman Jude war und sie am Morgen zusammen in einer sehr anderen Art von Duschraum waren, einem, der nur wie einer aussah, aber eine Gaskammer war«, sagt Penrose. »In diesen beiden Fotos stecken 1000 Worte.« Allerdings ist das Foto von Sherman kaum bekannt.
Als Lee Miller nach dem Krieg nach Großbritannien zurückkehrte und sah, wie wenige der Bilder, die sie in Dachau gemacht hatte, tatsächlich abgedruckt worden waren, konnte sie es nicht ertragen. Sie nahm eine Schere und fing an, die einer monströsen Realität abgetrotzten Negative zu zerschneiden. Eine Fotoassistentin habe versucht, sie aufzuhalten, berichtet ihr Sohn, doch Miller rief: »Ich will nicht, dass irgendjemand sehen muss, was ich erlebt habe, aber ich hinterlasse genug, um sicherzustellen, dass es keinen Zweifel daran geben kann, was passiert ist.«
»Die Fotografin« ist ab dem 19. September im Kino zu sehen.