» Juden – warum stört mich andauernd irgendetwas an ihnen?«, so lautet ein Eintrag im Tagebuch der renommierten US-amerikanischen Krimiautorin Patricia Highsmith vom 31. Oktober 1944. Mitten im Zweiten Weltkrieg, auf dem Höhepunkt der deutschen Mordkampagne gegen die europäischen Juden, sinniert die Schriftstellerin über ihr Verhältnis zu Juden.
Man könnte es abtun als privates Gedankenspiel einer 23-Jährigen. Aber was hier bereits erschreckend klar formuliert wird, entwickelt sich im Leben von Highsmith geradezu zu einer Obsession, die in einem hässlichen Antisemitismus mündet. Nicht ohne Grund hatte die im vergangenen Jahr verstorbene Highsmith-Biografin Joan Schenkar die Autorin sogar als »Judenhasserin« bezeichnet.
Zu finden sind einige dieser Zeugnisse in der Auswahl aus den Tage- und Notizbüchern, die jetzt bei Diogenes erschienen ist. Zufällig fanden die Highsmith-Lektorin Anna von Planta und der Verleger Daniel Keel die 18 Tage- sowie 38 Notizbücher, insgesamt rund 8000 Seiten, nach dem Tod Highsmiths 1995 in ihrem Schweizer Haus. Mit Welterfolgen wie Der talentierte Mr. Ripley und Zwei Fremde im Zug galt Highsmith als Grande Dame des Krimigenres.
PRIVATLEBEN Über ihr Privatleben hingegen war bisher wenig bekannt, weshalb gerade durch den Fund mehr Aufschluss erwartet wurde. Und tatsächlich bietet der vorliegende Band faszinierende Einblicke in das Leben, Lieben und Schaffen von Highsmith. Banale Gedanken, aber auch Zeugnisse eines spannenden intellektuellen Lebens sind dort niedergeschrieben. Gut lässt sich die Autorenkarriere nachvollziehen von einer mittellosen Journalistin in New York zu einer gefeierten Schriftstellerin von Weltrang. Man trifft auf die einsame Misanthropin, aber auch auf die Partygängerin und die unstillbare Liebhaberin junger Frauen.
Die andere, die dunkle, antisemitische Seite hingegen wird zwar nicht unterschlagen, aber man könnte sagen, kleinredigiert. In ihrem Vorwort gibt die Herausgeberin Anna von Planta das offen zu, wenn sie schreibt: »Wir wollten High-smith so getreu wie möglich abbilden; in wenigen extremeren Fällen empfanden wir es aber als unsere redaktionelle Pflicht, ihr eine Bühne zu verweigern, so wie wir auch gehandelt hätten, als sie noch lebte.«
Es ist klar, dass in einem Auswahlband nicht alles enthalten sein kann oder muss. Aber wenn man bereits im Vorwort dieses Thema so explizit anspricht, dann würde man sich dazu zumindest eine Ausführung wünschen. Denn was heißt das nun? Was genau wurde gekürzt? Und warum gesteht man dem Lesenden nicht die Fähigkeit zu, sich selbst ein Urteil über die vermeintlichen Ausfälle zu machen? Dieses Vorgehen ist fragwürdig, editorisch unlauter und schmälert den Wert des Bandes erheblich.
Die Tagebücher bieten faszinierende Einblicke in Highsmiths Schaffen.
Dabei reicht Highsmiths Antisemitismus mindestens bis in ihre frühen Jahre in New York zurück. Als sie im jüdischen Verlagshaus des Herausgebers Ben-Zion Goldberg anfing, schrieb sie am 24. Juni 1942 über ihn: »Er wird wahrscheinlich versuchen, mich auf typisch jüdische Art auf achtzehn (Dollar) die Woche herunterzuhandeln.«
STEREOTYP Hier bedient Highsmith das antijüdische Stereotyp des Juden als geldgierig, der Nichtjuden für den eigenen finanziellen Vorteil stets übers Ohr haut. Der Highsmith-Biograf Richard Bradford hat darauf hingewiesen, dass die Schriftstellerin Goldberg in den Original-Tagebüchern immer wieder »kike« genannt habe, eine diffamierende Bezeichnung für Juden. Diese Beleidigung taucht im vorliegenden Auswahlband allerdings nicht auf.
Auch Manfred Pabst hat in der »Neuen Zürcher Zeitung« auf editorische Umdeutungen hingewiesen. So wird der französische Originaleintrag über einen Besuch bei dem jüdischen Literaturkritiker Stanley Hyman und seiner Frau vom 27. Juni 1943 von einem »Les (Ces) juifs dégoûtant« zusammengekürzt zu »Furchtbar!«.
Das Wort »Juden« wurde also kurzerhand weggelassen und damit der antisemitische Gehalt verschleiert. Das hat nichts mehr damit zu tun, Patricia Highsmith eine Bühne zu verweigern, wie es von Planta eingangs behauptete. Vielmehr werden hier editorische Schönheitsoperationen vorgenommen, die die hässliche Fratze des Judenhasses verstecken sollen.
Sie kann ohne Zweifel als Unterstützerin der BDS-Bewegung avant la lettre bezeichnet werden.
Sicher ist, dass Highsmith eine notorische Antisemitin war, die alle Spielarten dieses Ressentiments beherrschte. So war sie auch eine Holocaust-Leugnerin und von dem Thema geradezu besessen: Sie sprach laut dem Biografen Richard Bradford ständig von »Holocaust Inc.« – also einer Holocaust GmbH – oder von »Semicaust«, eine Anspielung darauf, dass »nur« die Hälfte der Juden ermordet wurde.
Dieser Duktus zog sich durch ihr gesamtes Leben und wurde ab Ende der 70er-Jahre um einen virulenten Israelhass erweitert. Sie kann ohne Zweifel als eine Unterstützerin der BDS-Bewegung avant la lettre bezeichnet werden. So verbot sie die Übersetzung ihrer Bücher ins Hebräische. Ihren Roman Leute, die an die Tür klopfen widmete sie dem Kampf des palästinensischen Volkes und seiner Anführer.
In einem für einen deutschen Radiosender geplanten Beitrag warf sie 1990 dem damaligen israelischen Premierminister Jitzchak Schamir vor, einen neuen Holocaust provozieren zu wollen, weil das für Israel Spenden bringen würde. Der Sender weigerte sich, diesen Aufsatz zu senden, und die zuständige Redakteurin Christa Maerker fühlte sich an einen »Nazi-Text« erinnert.
UNGEHEUERLICHKEITEN Auch zu diesem antizionistischen Antisemitismus finden sich im vorliegenden Band Ungeheuerlichkeiten. So hält sie am 20. Mai 1982 fest: »Jüdische Einstellungen im Jahr 1982. Nicht einmal bei den Deutschen bestimmt die Rasse so vollkommen das Verhalten des Einzelnen. (…) Wann hat man je gesehen, dass ein solcher Gefallen ausgenutzt wurde, um für mehr Land Krieg zu führen oder einen Rassismus zu praktizieren, vor dem man selbst erst vor Kurzem gerettet wurde.« Dieser Eintrag zeigt eindrücklich, dass Highsmith spätestens ab hier den Weg vom klassischen Vorurteil zum aufrichtigen Judenhass gegangen ist: Die Juden sind für sie die Nazis von heute.
Wenn es solche Aussagen in den Band geschafft haben, dann fragt man sich, wie schlimm erst die Passagen gewesen sein müssen, die von der Herausgeberin geschönt oder weggelassen wurden? Aber schon die enthaltenen Einträge belegen Highsmiths Antisemitismus zur Genüge. Es sollte jetzt an der Zeit sein, sich intensiv und offensiv mit diesem verwerflichen Aspekt der Autorin auseinanderzusetzen.
Patricia Highsmith: »Tage- und Notizbücher«. Herausgegeben von Anna von Planta. Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Melanie Walz, pociao, Anna-Nina Kroll, Marion Hertle und Peter Torberg. Diogenes, Zürich 2021, 1376 S., 32 €