Jüdisches Museum Berlin

Die Erlöserin spricht Hebräisch

Viel wurde in den vergangenen Monaten darüber spekuliert, welcher Künstler die erste große Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin (JMB) unter der neuen Direktorin Hetty Berg bestreiten würde. Und viel wurde darüber diskutiert, ob die Ausstellung nach den erbitterten Streitigkeiten über die politische Ausrichtung des Hauses ein neues Kapitel aufschlagen oder genau da weitermachen würde, wo die vielfach kritisierte Jerusalem-Ausstellung aufgehört hatte.

Nun – und Hand aufs Herz, es sind gute Nachrichten – steht es fest: Die Werkschau der israelischen Künstlerin Yael Bartana steht exemplarisch für den Neuanfang des JMB. Jenseits von einseitiger »Israelkritik« und in Abgrenzung von vermeintlich jüdischer Folklore für Nichtjuden wird in der Ausstellung Redemption Now (Erlösung jetzt) die ganze Sprengkraft jüdisch-messianischer Hoffnungen erschlossen – von der Utopie einer diasporischen Renaissance ausgerechnet in Polen bis hin zur satirisch überspitzten Rachefantasie einer israelischen Eroberung Berlins.

Bei Yael Bartana mag der eine oder die andere kurz zusammengezuckt sein.

Das Jüdische Museum Berlin fiel unter der Leitung von Peter Schäfer vor allem durch unglückliches Agieren auf – überraschend viel Verständnis für die israelfeindliche und antisemitische BDS-Bewegung, überraschend wenig Gespür für die Bedürfnisse der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland.

inszenierung Bei der Ankündigung einer Werkschau der israelischen Künstlerin Yael Bartana mag daher der eine oder die andere kurz zusammengezuckt sein: Gab es da nicht 2013 energische Proteste der Synagogen-Gemeinde Köln gegen die künstlerische Inszenierung von zwei Schweigeminuten, die vermeintlich einen historischen Bogen spannten von der Schoa bis zum Nahost-Konflikt?

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Und kennt man Yael Bartana nicht vor allem für das künstlerische Projekt »And Europe will be Stunned« (Europa wird verblüfft sein), das eine jüdische »Rückkehr« nach Polen imaginierte – sozusagen als radikaler Gegenentwurf zum zionistischen Projekt?

Beim Besuch der Ausstellung (kuratiert von Shelley Harten und Gregor Lersch) zeigt sich dagegen schnell, dass die Werkschau von Yael Bartana eher als Ausdruck der Neuausrichtung des Jüdischen Museums Berlin unter der Leitung von Hetty Berg verstanden werden sollte: Einfache »Israelkritik« wird man hier nicht finden, sondern vielmehr eine faszinierende Auswahl von eigenwilligen Kunstwerken (vor allem Audio- und Videoinstallationen), die unter dem Leitmotiv der Erlösung einen weiten Bogen spannen zwischen der jüdisch-diasporischen und der zionistisch-israelischen Bildsprache.

herzl Wie Yael Bartana überzeugend herausarbeitet, können gerade das zionistische Projekt und die zeitgenössische israelische Gesellschaft nicht verstanden werden ohne das urjüdische Motiv von Erlösung und Errettung – und so finden wir in der Ausstellung alle klassischen Motive der messianischen Zeit, darunter charismatische Erlöserfiguren wie Theodor Herzl (dargestellt von der Künstlerin selbst), die ritualisierte Umkehr aller Dinge (ve-nahafoch hu) bei orthodoxen Purimfeiern und schließlich die Hoffnung auf die Erlösung des Bodens (ge’ulat ha-aretz) bei den zionistischen Pionieren (als Verfremdungseffekt dargestellt von nahöstlichen Juden und israelischen Arabern).

Utopische Motive wechseln sich dabei ab mit apokalyptischen Visionen wie einer Auslöschung Jerusalems – am Ende überwiegt aber die Hoffnung: Der Film The Undertaker verweist mit seiner rituellen Beerdigung von Kriegswaffen auf prophetische Friedensworte – und die Videoinstallation »Entartete Kunst Lebt« bezieht sich unmissverständlich auf die Auferstehung der Toten, in diesem Fall am Beispiel der »Kriegskrüppel« von Otto Dix.

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Auffällig ist dabei das Beharren auf spezifisch jüdischen Erlösungsmotiven, darunter die Erwartung eines wiedererbauten Jerusalem, die Hoffnung auf Erlösung durch Erinnerung und schließlich die Erwartung einer Sammlung der Verstreuten – auch wenn diese hier als »Rückkehr« nach Polen imaginiert wird, eine beißende Kritik nicht nur am polnischen Ethno-Nationalismus, sondern auch an allerlei nichtjüdischen Hoffnungen auf Erlösung von historischer Schuld durch eine vermeintliche »Rückkehr« der vertriebenen und ausgelöschten jüdischen Gemeinden.

abrechnung Das Kernstück der Ausstellung bildet dabei die im besten Sinne provokante Videoinstallation »Malka Germania« (Königin Germania), die nicht nur mit einer weiblich-androgynen Messias-Figur verblüfft, sondern vor allem mit einer schonungslosen Abrechnung mit nichtjüdischen Erlösungshoffnungen auf eine Rückkehr jüdischen und israelischen Lebens nach Berlin als Symbol einer vermeintlichen »Wiedergutmachung«. Wie der Film zeigt, kehren hier nicht die assimilierten deutsch-jüdischen Bildungsbürger der Zwischenkriegszeit zurück, sondern souveräne Juden – also Israelis.

Das Kernstück bildet eine im besten Sinne provokante Installation.

Der Film beginnt mit klaren Verweisen auf die deutsche NS-Vergangenheit, darunter körperliche Ertüchtigung und allerlei völkische Tänze à la Riefenstahl im deutschen Wald – schnell abgelöst von einer satirisch überspitzten jüdisch-israelischen Rachefantasie: Israelische Soldaten stürmen auf den Reichstag zu, deutsche Straßennamen verschwinden und werden mit hebräischen Straßennamen ersetzt (darunter die Rechov Ge’ula, also die Straße der Erlösung – und Rechov Ha-Kovshim, die Straße der Eroberer), aus den Straßenfenstern werden Schiller-Statuen und Luther-Bilder entsorgt – und am Brandenburger Tor, von der weiblichen Messias-Gestalt so andächtig berührt wie sonst nur die Kotel, erklingt das Schofar durch einen israelischen Militärrabbiner.

talmud Nicht alles in der Schau wird sich einem nichtjüdischen Publikum ohne Vorkenntnisse erschließen: Wer noch nie einen Talmud gesehen hat, wird sich wundern, warum der Katalog (unter anderem mit einem Beitrag von Michael Brenner) einen zentralen Text mit Nebentexten und anderen literarischen Querverweisen ergänzt; wer noch nie eine Jeschiwa von innen gesehen hat, wird sich über den Studienraum als integralen Bestandteil der Ausstellung wundern; und wer schließlich kein Hebräisch spricht, wird die Straßenschilder eines neuen, israelischen Berlin nicht lesen können – gerade für Besucher mit einem Gespür für jüdische und israelische Geschichte erschließen sich so aber umso mehr ganz neue, sehr vertraute Zugänge zur ambivalenten und vielstimmigen Kunst von Yael Bartana.

Der Autor ist Professor für Israel- und Nahoststudien an der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg (HfJS).

Yael Bartana: »Redemption Now«. Jüdisches Museum Berlin, bis 10. Oktober

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