Der Deutschlandfunk (DLF) habe das »geradezu unkritisierte Image des stabilsten Senders für saubere aktuelle Information«. Mit diesen gespreizten Worten hat Willi Steul, der Intendant des deutschlandradios, im vergangenen Jahr eines der drei von seinem Haus verantworteten Radioprogramme gepriesen. Kurz darauf bekannte Steul, er fordere von seinen Mitarbeitern jeden Tag »das Bemühen um Exzellenz. Wir müssen uns quälen.«
Am Freitag, den 4. März, greift der Deutschlandfunk nun zur besten Sendezeit, um 19.15 Uhr, ein Thema auf, für das sich niemand hätte quälen müssen. »Die Entführungslegende oder: Wie kam Eichmann nach Jerusalem?« lautet der Titel des Features. Die Frage ist längst geklärt: Am 11. Mai 1960 entführte der Mossad Eichmann aus Buenos Aires, wo er zehn Jahre lang unter dem Namen Ricardo Klement gelebt hatte, nach Jerusalem. 1962 wurde er dort hingerichtet.
spekulationen Der Beitrag der in Buenos Aires lebenden Journalistin Gabriele Weber ist in der Rubrik »Dossier« programmiert, die Inhaltsangabe klingt indes eher nach einem C-Movie: »Geheimverhandlungen« zwischen der israelischen und der bundesdeutschen Regierung »über eine Unterstützung für das israelische Atomprogramm« hätten zum Zeitpunkt von Eichmanns Verschwinden stattgefunden. »Wurde Israels Justiz der Kriegsverbrecher Eich- mann eher aufgenötigt? Gab es zwischen dem israelischen Staatspräsidenten David Ben Gurion und der Bonner Führung Absprachen über Eichmanns Aussagen im Jerusalemer Verfahren, um Ex-Nazis in bundesdeutschen Diensten zu schützen?«
Raphael Gross, der Leiter des Frankfurter Fritz-Bauer-Instituts, meint dazu nüchtern: »Wir wissen relativ viel über die Art und Weise, wie Eichmann gesucht wurde, und auch über die Umstände seiner Ergreifung. Das wissen wir von zahlreichen Mossad-Agenten und Nazijägern. Derart viele Zeugenaussagen stehen Webers Spekulationen entgegen, dass ich diese als Historiker nicht besonders ernst nehme.«
Gabriele Weber hat als Journalistin ihre Verdienste. 2001 deckte sie in dem Buch Die Verschwundenen von Mercedes Benz auf, dass Todeskommandos der argentinischen Militärjunta 1977 Betriebsräte der dortigen Konzernfiliale ermordet hatten. Bei Recherchen in der Firmenhistorie stieß Weber auch auf den Namen Eichmann, der in den 50er-Jahren für die Autobauer tätig gewesen war. Der Fund erwies sich als Verhängnis, denn durch ihn driftete die Autorin ins Nirvana der Verschwörungstheorien ab, die sie zuerst in Medien veröffentlichte, denen sich kaum ein »unkritisiertes Image« nachsagen lässt. In der antizionistischen Jungen Welt etwa hat sie ihre Thesen ausführlich dargelegt: Eichmann sei »nicht entführt« worden.
»Der Grund für seinen Abtransport war nicht seine Beteiligung am Holocaust, sondern weil er zu viel redete« – nämlich über eine »geheime Zusammenarbeit auf nuklearem Gebiet« zwischen Deutschland, Israel und Argentinien. Rhetorisch fragt Weber: »War Eichmann eine Gefahr ..., weil er über seine langjährige Kooperation mit den zionistischen Organisationen berichten wollte?« Das Fazit der Enthüllungsfachfrau: »Wahrscheinlich war nicht nur Eichmanns Wissen über das brisante Dreiecksgeschäft und die Lieferung von Natururan und Schwerem Wasser ausschlaggebend dafür, dass man ihn aus dem Verkehr gezogen hat.«
Den »Junge Welt«-Text veröffentlichte die Neonazi-Website Altermedia in der Rubrik »Bei Andern gelesen«. Dass es den dortigen Schriftleitern gefällt, wenn den Israelis nachgesagt wird, ihnen sei Eichmanns Rolle als obers-ter Organisator von Judendeportationen weniger wichtig gewesen als sein »Wissen« um Geschäfte mit Schwerem Wasser, ist nachvollziehbar.
olle kamellen Ihren jüngsten Coup landete Weber im Februar in der Wochenzeitung Freitag: Mit investigativem Gestus zitierte sie dort aus BND-Akten, denen zufolge Eichmann nach 1945 mehrere Jahre in Österreich gelebt und dort einer klandes-tinen Nazi-Organisation angehört habe, die »Die Spinne« und »Das Sechsgestirn« genannt worden sei. »Die Gerüchte über diese Gruppierungen tauchen zum ersten Mal Ende der 40er-Jahre auf«, sagt dazu Bettina Stangneth, die Autorin des im April erscheinenden Buchs Eichmann vor Jerusalem.
Das unbehelligte Leben eines Massenmörders. Simon Wiesenthal habe diese Legende »verbreitet, weil er es zu diesem Zeitpunkt nicht besser wissen konnte, und auch die Organisation Gehlen, der Vorläufer des BND, hat sie für wahr gehalten«. Nachdem der Mossad Eichmann aus Buenos Aires nach Jerusalem überführt hatte, kam die reale Flucht- und Versteckgeschichte ans Licht: Der Massenmordorganisator lebte zwischen 1946 bis 1950 als Holzfäller und Hühnerzüchter unter dem Namen Otto Heninger im Örtchen Altensalzkloth in der Lüneburger Heide.
»In vielen Büchern über Nazis auf der Flucht und in jedem Buch über Wiesenthal ist dieser Irrtum ausführlich geschildert, meistens garniert mit unangemessen lästerlichen Seitenhieben gegen Wiesenthal«, sagt Stangneth. Gestreut hatte die Gerüchte ursprünglich der ehemalige österreichische SS-Offizier Wilhelm Höttl, der sich nach 1945 im Geheimdienstmilieu verdingte und weiterhin für die braune Sache im Einsatz war. Die Österreich-Spur sei also Teil einer »Desinformationsstrategie der Nazis« gewesen. Höttl habe so eigene Kumpane schützen wollen.
nazi-story Dass Medien alten Wein in neuen Schläuchen verkaufen, ist wenig überraschend, das ist Teil des Geschäftsmodells. Aber eine Geschichte, die sich vor einem halben Jahrhundert als falsch erwiesen hat, heute als frische Recherche auszugeben, ist dann doch ein bisschen zu dreist, als dass man es noch clever nennen könnte. Zumal der Urheber der Story ein alter Nazi war.
Die Pressestelle des DLF ließ auf Anfrage ausrichten, Webers Feature werde erst kurzfristig produziert. Das Manuskript wolle man nicht herausgeben, weil man die »exklusiven Recherchen« der Autorin nicht vorab anderen Medien zugänglich machen wolle. Mit der Exklusivität ist das auch hier so eine Sache. 2007 lief auf SWR 2 schon einmal ein vom DLF koproduziertes Feature Webers mit ähnlichem Tenor.
»Wie und warum wurde Eichmann aus Argentinien entführt?«, lautete der Untertitel. Schon damals galt Eichmann laut Programmvorschau als der Mann, der »zu viel wusste«. Die Sendung gilt ARD-intern offenbar noch als frisch: Der MDR wiederholt sie im April.
»Die Entführungslegende oder: Wie kam Eichmann nach Jerusalem?« Deutschlandfunk, Freitag, 4. März, 19.15 Uhr