Unter dem Motto »A never ending story –Erinnerung und Trauma in der 3. Generation« haben sich von Mittwoch bis Freitag in Berlin mehr als 100 Teilnehmer darüber ausgetauscht, wie die Verfolgung ihrer jüdischen Großeltern während der Schoa bis heute in ihnen nachwirkt.
Zu der ausgebuchten Veranstaltung der Bildungsabteilung des Zentralrats der Juden mit Diskussionen, Lesungen und analytischen Workshops kamen nicht nur Enkel von Schoa-Überlebenden, sondern auch Angehörige der ersten und zweiten Generation: Menschen völlig unterschiedlichen Alters, von Mitte 20 bis über 90 Jahre, aus der gesamten Bundesrepublik.
Doron Kiesel, wissenschaftlicher Direktor der Bildungsabteilung, sagte, die »dritte Generation« sei kein geschützter Begriff: »Es gibt zehnjährige Kinder, die sich zur dritten Generation zählen dürfen, und es gibt 50-Jährige. Der Begriff der dritten Generation ist relativ breit.« Wissenschaftlich sei das Thema des Traumas der dritten Generation »noch nicht wirklich durchdrungen«.
Nicht nur Kinder von unmittelbaren Schoa-Überlebenden, sondern auch Kinder von »child survivors« (Menschen, die im Kindesalter aus Nazi-Deutschland fliehen konnten) könnten zur zweiten und die Enkel also zur dritten Generation gerechnet werden.
Erbin Bei der Eröffnung der Tagung am Mittwochabend berichtete Sabena Donath, Leiterin der Bildungsabteilung, sie selbst sei schon als Kind Teil der Erinnerungen ihres Großvaters geworden. Er habe ihr seine Geschichten erzählt, als sie noch sehr jung war: »Darüber bin ich sehr froh und auch sehr stolz darauf. Aber ich bin auch Teil seines Traumas geworden, und ich bin auch Erbin dieses Traumas geworden.«
Am Donnerstagvormittag begannen die nicht presse-öffentlichen »analytischen Reflexionsräume« mit den Psychoanalytikern und Psychologen Kurt Grünberg, Marina Chernivsky, Ilan Diner, Elli Kaminer-Zamberk und Yigal Blumenberg. Kurt Grünberg vom Sigmund-Freud-Institut zog am Freitag eine vorläufige positive Bilanz der ingesamt drei Gruppengespräche. Die Teilnehmer hätten ein großes Bedürfnis gehabt, sich in kleinerem Kreis auszutauschen und zu verständigen, sagte er: »Ich finde es gut, dass die Tagung so konzipiert wurde.«
Auf dem Programm stand auch eine Lesung von Channah Trzebiner, die den Organisatoren mit ihrem Buch Die Enkelin den Anstoß zu der Tagung gegeben hatte. »Wir arbeiten hier alle an etwas Großem und Unumgänglichem«, sagte Trzebiner.
Auschwitz Viele Angehörige der dritten Generation hätten Schwierigkeiten damit, »das eigene Leben so zu leben, wie man es möchte« – wegen des großen Bedürfnisses, es den Eltern und Großeltern recht zu machen. Es gelte, den »Nicht-Raum für eigene Gefühle« wegen des großen Leids, das der eigenen Familie zugefügt worden sei, zu benennen, um die eigene Zukunft positiv und nicht destruktiv zu gestalten, betonte Trzebiner, deren Großvater Auschwitz überlebt hat.
Die Berliner Kinderärztin und Familientherapeutin Marguerite Marcus sagte der Jüdischen Allgemeinen, es sei ihrer Meinung nach wichtig, nicht nur über Traumata, sondern auch über Ressourcen zu sprechen. Angehörige der dritten Generation sollten eine positive jüdische Identität jenseits der Opferperspektive entwickeln können.
Viele Schoa-Opfer hätten trotz ihrer schrecklichen Erfahrungen eine positive Lebenseinstellung bewahrt und ihre Kompetenzen, die ihnen beim Überleben geholfen hätten, an Kinder und Enkel weitergegeben, betonte Marcus. Ihr gehe es heute darum, »dass wir nicht nur die Schoa im Kopf vermitteln. Wir leben nicht nur in Deutschland, um den Nichtjuden zu beweisen, dass wir noch leben. Sondern wir leben auch in Deutschland, um für uns hier jüdisches Leben zu reaktivieren – und uns daran zu erfreuen.«
Mehr zur Tagung der Bildungsabteilung in der kommenden Printausgabe der Jüdischen Allgemeinen.